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Vielleicht Jean? |
Ihr Büro liegt in einem Berliner Hinterhof, dritter Stock. Der Postbote kommt hoch, hört sie drin telefonieren und klopft vorsichtig, einmal, zweimal, dreimal. Er ist eine Nachwuchskraft, sie waren einander noch nie begegnet. An diesem Morgen überrascht er sie mit über 100 Umschlägen, alles Bewerbungen!
Die Stelle ist nicht übermäßig dotiert, die Anforderungen alles andere als beliebig. Dagmar rechnete mit fünf bis zehn Zuschriften.
Online melden sich nochmal weit über 500 Kandidat:innen. Dagmar setzt kurzerhand ihre Tochter zur Vorauswahl ein, sie geht in Brandenburg zur Schule und hat |schon Ferien| frei, während die 13. im Abi schwitzt. Die Oberschülerin ist schnell, hat klare Kriterien, die professionell klingen. Ihr fällt auf, dass viele Anschreiben und Lebensläufe fast wortgleich sind, durchgestylt bis in den letzten Halbsatz. Der Ton: hochprofessionell und austauschbar. Arbeitssuchende nutzen Tools wie ChatGPT, um mit Minimalaufwand massenhaft maßgeschneiderte Bewerbungen zu erzeugen.
Dagmar schaltet sich rasch ein. Was auffällt: Viele Bewerber:innen passen überhaupt nicht, bitten aber um eine Eingangsbestätigung fürs Arbeitsamt. OK, diese Art von Bürokratiezunahme kennen wir.
Paradox bei den ernstgemeinten Zuschriften: Keine Tippfehler in den Unterlagen ist kein Merkmal für Gewissenhaftigkeit mehr. „Glattgebürstet“, nennt Dagmar das, und sie meint nicht die Bewerber:innen, sondern die Unterlagen.
Manche Firmen stellen schon feste Mitarbeiter:innen ab, die oder der sich durch die Flut an Dokumenten kämpft. Andere nutzen KI zur Vorauswahl. Und das ist ein Problem: Denn die KI sortiert gnadenlos nach festen Mustern aus. Wer einen Auslandsabschluss hat und die KI erkennt ihn nicht, ein Jahr zu alt ist oder eine Lücke im Lebenslauf hat, fliegt raus, auch wenn die Person ideal gewesen wäre.
In den USA nennt man das Phänomen „Hiring Chaos“, und es schwappt herüber. Auf Plattformen wie LinkedIn rauschen pro Minute hunderte Bewerbungen durchs System, vermeldet die Berufsplattform LinkedIn selbst; sieben würden minütlich angestellt.
Dagmar schaltet sich rasch ein. Was auffällt: Viele Bewerber:innen passen überhaupt nicht, bitten aber um eine Eingangsbestätigung fürs Arbeitsamt. OK, diese Art von Bürokratiezunahme kennen wir.
Paradox bei den ernstgemeinten Zuschriften: Keine Tippfehler in den Unterlagen ist kein Merkmal für Gewissenhaftigkeit mehr. „Glattgebürstet“, nennt Dagmar das, und sie meint nicht die Bewerber:innen, sondern die Unterlagen.
Manche Firmen stellen schon feste Mitarbeiter:innen ab, die oder der sich durch die Flut an Dokumenten kämpft. Andere nutzen KI zur Vorauswahl. Und das ist ein Problem: Denn die KI sortiert gnadenlos nach festen Mustern aus. Wer einen Auslandsabschluss hat und die KI erkennt ihn nicht, ein Jahr zu alt ist oder eine Lücke im Lebenslauf hat, fliegt raus, auch wenn die Person ideal gewesen wäre.
In den USA nennt man das Phänomen „Hiring Chaos“, und es schwappt herüber. Auf Plattformen wie LinkedIn rauschen pro Minute hunderte Bewerbungen durchs System, vermeldet die Berufsplattform LinkedIn selbst; sieben würden minütlich angestellt.
Die Reaktion der größeren Unternehmen erfahren Dagmar und ich am Abend bei einem Unternehmerinnencocktail: Die letzte Auswahlrunde wird oft mit eigenen KI-Systemen gemacht. Es bewirbt sich nicht mehr ein Mensch bei Menschen, sondern ein Bot beim Bot. Eine Personalvermittlerin berichtet von mehr Betrugsversuchen. Erste KI-Anbieter, ausgerechnet die!, raten Bewerber:innen mittlerweile davon ab, ihre Technik für Lebensläufe zu nutzen.
So kehren erste Unternehmen zu dem zurück, was sich nicht automatisieren lässt: Probearbeiten, echte Aufgaben im Feld. Das direkte Gespräch per Zoom findet früher statt. (Corona sei Dank, kennen alle die Technik.) Das könnte trotz allem ein Hoffnungsschimmer sein: für eine Zukunft, in der das Individuum zählt.
Die KI kann für beide Parteien im Bewerbungsprozess ein Problem sein. Nur, wer auf der Bewerber:innenseite sie gut und unsichtbar nutzen kann, hat einen Vorteil. Die KI denkt nicht selbst, sie ist ein Werkzeug in den Händen informierter Menschen.
Zurück zu Dagmar. Sie ist froh über ihren Auswahlprozess per Hand. Und das ist buchstäblich gemeint. Es sind auch drei handgeschriebene Lebensläufe im Stapel bzw. im Mailpostfach (als Fotodatei), zwei davon sind hervorragend, eine dieser Personen ist es dann auch geworden.
Tipp von Dagmar: Den Inhalt des handgeschriebenen Materials immer auch in maschinengeschriebener Fassung mitsenden — und das am oberen Blattrand auch deutlich machen. Wer weiß denn schon, was die Maschine im Einzelfall heute leistet.
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Foto: C.E.
2 Kommentare:
Huhu, die Ferien sind bei uns dieses Jahr wieder analog zu Berlin, an Lilis Schule waren grad Abiprüfungen! LG, Petra
Ach so, liebe Petra! Danke für die Erklärung. Grüße, auch an Euren Sohn ... und über Eck an die Lütte! :-D
Herzlich, C
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