Freitag, 15. November 2024

Throwback thursday (3)

Bonjour und hal­lo! Hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Wie le­ben und ar­bei­ten wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen, wie woh­nen wir? Hier ein kur­zer Ein­blick auf Neu­kölln und die Avant­gar­de, im Rah­men des Throw­back thurs­day: Am Don­ners­tag rei­sen wir ger­ne mal et­was in der Zeit, denn ich sehe beim Blick zu­rück auf al­te Blog­sei­ten ei­nen Trend, der bleibt.

Über Vin­tage habe ich schon 2017 ge­schrie­ben. So wird der ge­brauch­te Chic al­ter Zei­ten ge­nannt, so­wie ein Stil zwi­schen Prag­ma­tis­mus, Geld­knapp­heit und dem öko­lo­gi­schen Ge­dan­ken, die Rest­nut­zungs­dau­er von Ob­jek­ten zu ver­län­gern.

Al­ter Ober­schrank mit Glä­sern und Tas­sen, da­run­ter Obst, Es­sig, Öl, Mör­ser für die Ge­wür­ze
Das Licht ist noch pro­vi­so­risch.
Vin­tage ist et­wa mei­ne al­te, me­cha­ni­sche Arm­band­uhr mit neu­em Ka­ra­bi­ner oder aber der al­te Kü­chen­ober­schrank, der blei­ben darf, wäh­rend das Buf­fet vis-à-vis mit dem Ori­gi­nal­an­strich von 1950 bald wei­ter­wan­dern darf. Un­se­re Kü­che schritt­wei­se um­ge­stal­tet, bleibt je­doch im glei­chen Stil er­hal­ten. Wir op­ti­mie­ren den Stau­raum. Zu­gleich soll al­les luf­ti­ger, leich­ter, visu­ell ru­hi­ger wer­den. (Klas­si­sches Co­coo­ning in Kri­sen­zei­ten by the way.)
Kü­chen ha­ben für vie­le bis heu­te ei­nen ho­hen Dis­tink­tions­wert. Ich er­in­ne­re mich mit Grau­sen an ei­ne De­si­gner­kü­che zum Preis ei­ner klei­nen Woh­nung, ge­se­hen bei der Ab­nah­me von Räu­men zu­sam­men mit ei­nem (ver­meint­li­chen) Re­lo­cation­kun­den.

In den po­ten­zi­el­len Woh­nun­gen an­de­rer Pri­vat­kun­den so­wie für Ge­flüch­te­te fal­len mir oft ab­ge­rock­te Kauf­haus­kü­chen auf, für die ei­ne nicht er­klär­bar ho­he Ab­lö­se­sum­me ge­for­dert wird. Und noch im Jahr 2023 ha­ben laut Sta­tis­ta die Ver­brau­che­rin­nen und Ver­brau­cher Auf­trä­ge für die Ein­rich­tung von Neu­kü­chen im Wert von durch­schnitt­lich rund 11.300 Eu­ro ver­ge­ben. Geld ist al­so bei vie­len da.

Bei uns zählt Ge­müt­lich­keit. Die klei­ne Kü­che in­klu­si­ve Sitz­ecke hat we­ni­ger als 3000 Euro ge­kos­tet, et­li­ches ist ge­erbt oder er­trö­delt, das meis­te Geld ging in lang­le­bi­ge wei­ße Wa­re. Grund­sätz­lich be­ob­ach­te ich in Ber­lin ei­nen neu­en wert­kon­ser­va­ti­ven Post­ma­te­ri­a­lis­mus. We­ni­ger ist mehr, das von gu­ter Qua­li­tät, da­zu ger­ne der Rück­griff auf Be­währ­tes.

Ganz frü­her hieß Vin­tage ein­fach „Floh­markt­krem­pel“ oder „Trö­del­wa­re“. Dass im­mer mehr Men­schen ih­re Be­dürf­nis­se aus öko­no­mi­schen oder prak­ti­schen Grün­den auf Pa­ral­lel­märk­ten de­cken, ist auch ei­ne Ant­wort auf die Kri­sen. Das vor­han­de­ne Geld wird sinn­voll in­ves­tiert, da­ne­ben wer­den Rück­la­gen ge­bil­det für das, was kommt und Angst macht.

Wir ha­ben ein Wirt­schafts­sys­tem, das in sei­nen Eck­da­ten die­ses Ver­hal­ten kaum ab­bil­det, da­bei wä­re das glei­cher­ma­ßen aus öko­no­mi­schen wie öko­lo­gi­schen Grün­den wich­tig. Wir brau­chen an vie­len Stel­len den Rück­griff auf Alt­be­währ­tes, z.B. im Na­tur­schutz, da­ne­ben ei­ne Mo­der­ni­sie­rung un­se­rer Sys­te­me und kei­nen Rück­schritt in eine ver­meint­lich gu­te al­te Zeit, die es nie ge­ge­ben hat.

Ein bö­ser po­li­ti­scher Witz sei mir heu­te als Raus­schmei­ßer er­laubt, une fois n'est pas coutume, ein­mal ist kein­mal. Ich lie­be als Dol­met­sche­rin nun mal Sprach­wit­ze: „War­um fin­det die Bun­des­tags­wahl im Fe­bru­ar statt?“ — „Weil da­nach Merz kommt.“

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Foto: C.E.

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