Donnerstag, 6. Juli 2017

Vintage und so

Bonjour und hallo! Hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich übersetze und dol­met­sche (Französisch und aus dem Englischen). Wie wohnen wir, wie leben wir? Ich schaue mich in Neukölln um und der Berliner Avantgarde auf die Schnauze.

Heute treib' ich's bunt
Vintage heißt das neue Mo­de­wort, der gebrauchte Schick alter Zeiten, der aber der Moder­ne entspingt. Er ist von Shabby Shic zu un­ter­schei­den. Vintage ist die Arm­band­uhr, Shabby Chic mein Kü­chen­buf­fet, das noch seinen Originalanstrich aus den 1950-er Jahren aufweist (weiß) und das mit aus­la­den­den Formen eines Stream­li­ners über­zeugt. (Das ist aber nur so, weil ich mich für keine Farbe ent­schei­den kann und im Haus immer an­de­re Sachen drin­gen­der zu ändern sind.)

Neulich hab ich die Farbauswahl sogar geträumt. Die Malerarbeiten müssen jetzt auf das Ende der verlängerten Dolmetschsaison warten.

Eine schicke Küche gehört bei vielen Menschen durchaus zu den Dis­tink­tions­merk­ma­len. In den Wohnungen, die ich mit meinen Privatkunden besichtige, hier geht es um Re­lo­ca­tion oder Erstbezug in Berlin im Fall von Geflüchteten, fallen die ab­ge­rock­ten Kaufhausküchen negativ auf, für die eine nicht erklärbar hohe Ab­lö­se­sum­me zu zahlen ist.

Bei mir muss die Küche vor allem meinen Gewohnheiten entsprechen, gemütlich und einfach zugleich sein. Die neue avantgardistische, wertkonservative ge­sell­schaft­li­che Mit­te der Postmaterialisten erkennt einander eher an Selbstbauküchen oder an Armbanduhren vom Flohmarkt für sieben Euro, die für sieben Euro fuffzig einen neuen Verschluss bekommen, damit das elend lange Ge­nes­te­le mor­gens am unpassenden Karabiner ein Ende hat, als an der 2000- oder 200.000-Euro-Uhr, an der sich jene erkennen, die das offenbar schwer nötig haben. Ein solch' teures Stück würde schon deshalb nicht zu meinen Gewohnheiten passen, da ich Protz hasse. Ich bin achtsam, aber nicht panisch — und schnell muss es gehen mit den nicht so wichtigen Sachen. Mehr Zeit fürs Wesentliche! Und eine Uhr für das Dolmetschen der Veranstaltungen, bei denen Handy und Laptop verboten sind, muss Low tech sein.

Früher hießen Vintageobjekte einfach "Flohmarktsachen" oder "Trödel". In Berlin wurde Vintage Mode, weil immer mehr Menschen ihre Bedürfnisse aus öko­no­mi­schen, ökologischen oder praktischen Gründen auf Parallelmärkten decken. Ich habe seit 20 Jahren meine Wohnung in Neukölln (wenn ich nicht in Frankreich bin); der hier oft aufzufindende Chic leitet sich direkt vom Dictum des frü­he­ren Bür­ger­meis­ters Wowereit ab: "Arm, aber sexy". Und nein, das ist nicht mein "State­ment am Handgelenk", um Werbedeutsch zu zitieren. Ökonomisch betrachtet: die Rest­nut­zungs­dau­er­ver­län­ge­rung schla­fen­den Kapitals. Meine Eltern sind stolz auf mich.

Wahrscheinlich in der DDR hergestellt, dann im westlichen Versandkatalog angeboten
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Foto/Collage: C.E.

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