Heute treib' ich's bunt |
Neulich hab ich die Farbauswahl sogar geträumt. Die Malerarbeiten müssen jetzt auf das Ende der verlängerten Dolmetschsaison warten.
Eine schicke Küche gehört bei vielen Menschen durchaus zu den Distinktionsmerkmalen. In den Wohnungen, die ich mit meinen Privatkunden besichtige, hier geht es um Relocation oder Erstbezug in Berlin im Fall von Geflüchteten, fallen die abgerockten Kaufhausküchen negativ auf, für die eine nicht erklärbar hohe Ablösesumme zu zahlen ist.
Bei mir muss die Küche vor allem meinen Gewohnheiten entsprechen, gemütlich und einfach zugleich sein. Die neue avantgardistische, wertkonservative gesellschaftliche Mitte der Postmaterialisten erkennt einander eher an Selbstbauküchen oder an Armbanduhren vom Flohmarkt für sieben Euro, die für sieben Euro fuffzig einen neuen Verschluss bekommen, damit das elend lange Genestele morgens am unpassenden Karabiner ein Ende hat, als an der 2000- oder 200.000-Euro-Uhr, an der sich jene erkennen, die das offenbar schwer nötig haben. Ein solch' teures Stück würde schon deshalb nicht zu meinen Gewohnheiten passen, da ich Protz hasse. Ich bin achtsam, aber nicht panisch — und schnell muss es gehen mit den nicht so wichtigen Sachen. Mehr Zeit fürs Wesentliche! Und eine Uhr für das Dolmetschen der Veranstaltungen, bei denen Handy und Laptop verboten sind, muss Low tech sein.
Früher hießen Vintageobjekte einfach "Flohmarktsachen" oder "Trödel". In Berlin wurde Vintage Mode, weil immer mehr Menschen ihre Bedürfnisse aus ökonomischen, ökologischen oder praktischen Gründen auf Parallelmärkten decken. Ich habe seit 20 Jahren meine Wohnung in Neukölln (wenn ich nicht in Frankreich bin); der hier oft aufzufindende Chic leitet sich direkt vom Dictum des früheren Bürgermeisters Wowereit ab: "Arm, aber sexy". Und nein, das ist nicht mein "Statement am Handgelenk", um Werbedeutsch zu zitieren. Ökonomisch betrachtet: die Restnutzungsdauerverlängerung schlafenden Kapitals. Meine Eltern sind stolz auf mich.
Wahrscheinlich in der DDR hergestellt, dann im westlichen Versandkatalog angeboten |
Foto/Collage: C.E.
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