Weil mich die Nutzung neuester Technik interessiert, wollte ich neulich auf eine Landwirtschaftsmesse fahren, auf der "Simultanübersetzung" angeboten werden sollte, also irgendwas Schnelles in Schriftform. Siehe die Unterschrift dieses Blogs, zusätzlich verweist der Begriff "simultan" in meiner Branche aufs Dolmetschen. Angeboten wurde tatsächlich eine KI-unterstützte "schnelle" Übertragung in Textform. Beim Buchen habe ich dann bemerkt, dass dieses Angebot nicht mehr auf der Webseite stand, es war durch "Simultandolmetschen" ersetzt worden. Huch, es gab bei der Wunderlösung doch nicht etwa Qualitätsprobleme?
Menschmaschine oder Maschinenmensch? |
Der Artikel porträtiert auch eine Naturillustratorin, die ebenfalls spürt, wie die KI derzeit ihren Markt verändert.
Meine Argumente, die im Artikel stehen, können Sie hier seit Monaten mitlesen.
Interessant, dass die Anbieter solcher "Wundermaschinen", wie sie oben beschrieben wurden, keine Presse haben möchten. Dabei klingt deren Selbstdarstellung doch so traumhaft offen und so wundervoll inklusiv! Die DLG erreiche, Zitat: "... auf ihren Messen dank Transkription und Übersetzung mit 'transcribbyAI' der Deutsche Telekom MMS ein noch größeres Publikum. Der KI-Simultanübersetzer der Telekom-Tochter kann Sprache in Echtzeit erfassen, verarbeiten und in mehr als 100 Sprachen übersetzen und fördert so die Inklusion von Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen."
Als wären Menschen mit körperlichen Einschränkungen der Motor für diese Entwicklungen! Es geht um ganz andere Dinge.
Grundsätzlich werden neue technische Entwicklungen gerne überschätzt. Eine große Technikgläubigkeit hat das Land seit Jahrzehnten fest im Griff. (Huch, Atomkraft macht gefährlichen Müll? Ach, klären wir später!) Aus dem geschönten Blick entsteht ein Hype, die Werbung kommt noch obendrauf. Letztere suggeriert, dass die KI so gut wie Menschen "arbeiten" könnte ... oder sogar besser. Dann geht's schief und Menschen werden angeheuert, die hinterher aufräumen müssen. Am Ende loben alle einander selbst: "Wir sind innovativ", "Wir geben Technik eine Chance", "Wir bereiten die Zukunft vor", sogar dann, wenn die Rechnung am Ende teurer war. (Dass hier vor allem Männer den Mehrwert einstecken, habe ich hier beschrieben: klick.)
Die Kollateralschäden, das Nichtverstehen, die Nichtkommunikation, fehlende Rückfragen und die Frustration des Publikums, werden ausgeblendet und rasch ausgebucht. Kund:innen scheinen nur dann wichtig zu sein, wenn sie sich beschweren. Ich kann daher alle nur zu Rückmeldungen ermutigen!
Es ist schon lange ein Teil unserer Grundinformationen an potenzielle Kund:innen, dass sie sich auch Zeit für die Ergebnisse (der Übersetzungs- oder Dolmetscherarbeit) nehmen und ein Gespür für Qualität entwickeln sollten. Sonst wird immer wieder dasselbe Setting bemüht und es gibt keine positive Entwicklung. So ein Beispiel habe ich erst gestern wieder bei einer Filmpremiere erlebt. Leider war da großes Fremdschämpotenzial. Ich muss mich dann immer am Sessel festkrallen, um nicht auf die Bühne zu springen und zu dolmetschen, oder ich verlasse den Raum. Was ich erleiden musste, hätte in anderen Zeiten oder mit anderen Beteiligten sogar ein Anlass für diplomatischen Ärger sein können. Keine Details!
Dieser Tage sitze ich viel in der Kabine, kann daher nicht weiter auf die Publikation und auf die zum Teil interessanten Leser:innenkommentare eingehen. (Hier hilft ein Probeabo zu einem Euro, wer die ZEIT nur einen Monat lesen möchte, kündige beizeiten.) Was mich allerdings überrascht: Nur bei gefühlt 20 Prozent der Kommentare geht es wirklich um den Inhalt.
Ins Mark getroffen hat mich allerdings dieser Kommentar: "Scheiße bezahlt und herablassend behandelt von Leuten ohne Ahnung vom Job wurden wir eigentlich schon immer. Da braucht es viel Arbeit, Aufklärung und Durchsetzungskraft, (um) sich ein Geschäftsverhältnis auf Augenhöhe zu erkämpfen. Gehen Sie mal durch die Welt und denken Sie zweimal darüber nach, was eine 'Illustration' alles sein kann, wie sie im Detail entstanden sein mag und wie oft am Tag sie Ihnen begegnet." So ist es. Die Ergebnisse werden einfach so "absorbiert", weil sie "leicht" erscheinen, ich vermenge jetzt die Zumutungen, die die zusammen mit mir porträtierte Illustratorin Janine Sommer hören muss mit denen, die ich so erhalte: "Gemalt hab ich als Kind auch, das ist doch kein Beruf!", "Leben Sie Ihr Hobby doch in der Freizeit aus!", "Sie haben einmal die Sprache gelernt und können sie jetzt, warum ist Ihre Arbeit dann so teuer?", "Sie sind von Beruf Papagei, wie?" ...
Herablassend auch das, Zitat aus dem Artikel von Louisa: "Je nachdem, in wie viele Sprachen übersetzt werden soll, kommen locker mehrere Zehntausend Euro zusammen, weiß der Geschäftsführer der Veranstaltungstechnikfirma Hotelco, Manuel Steffan. Seit Anfang des Jahres bietet er ein KI-Dolmetschsystem an. 'Stellen Sie sich vor, genau während wir sprechen, mache ich gerade die Arbeit von acht Dolmetschern. Ist das nicht geil?', fragt Steffan bei einem ersten Telefonat. Seine Begeisterung, so versichert er, gilt nicht der Tatsache, dass acht Dolmetscher ersetzt werden, sondern allein der Technologie. Ungefähr 5.000 Euro verlange er von seinen Kunden für die Anwendung, je nach Anzahl der Sprachen und der Dauer des Events. 'Die Anzahl der Sprachen ist nach oben offen.'"
Und wir sehen, es geht, wie immer, nicht um Technologie, die Begeisterung ist Mittel zum Zweck, das Inklusionsargument eine perfide Nebelkerze. Es geht ums Geld, wieder mal "Geiz ist geil" oder "Raffke sein ist geil", dabei gilt das Gegenteil: "Geist ist geil". (Beim Lernen und intellektuellen Erkenntnissen werden im Hirn die gleichen Areale angesprochen wie beim Sex. Sagt das bitte den Schülerinnen und Schülern.)
Weiter im ZEIT-Artikel: "Auf einem Liveevent dürfen Journalisten sich das Produkt allerdings nicht ansehen – weder bei der Telekom noch bei Hotelco. Steffan gibt zu: 'Fehlerfrei ist das natürlich nicht. Die Qualität technologischer Dolmetschersysteme ist nicht auf dem Stand eines menschlichen Dolmetschers, das ist ganz klar.'"
... und dann schließt er, dass sich das alles bald ändern könne, bla und peng, meine Argumente finden Sie oben links über die Suchfunktion und den Begriff "KI". Das älteste Buch über automatisches Übersetzen meiner Sammlung stammt aus dem Jahr 1959, und in ihm steht, dass von jetzt an automatische Sprachübersetzung praktisch möglich" sei.
So, weiterlernen. Morgen geht es (inhaltlich) nach Afrika!
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Illustration: Pixlr.com (Zufallsfund)
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