Freitag, 31. Mai 2024

Städte und Blumen

Per Zu­fall oder mit Ab­sicht: Sie le­sen ge­ra­de ein di­gi­ta­les Ta­ge­buch aus der Ar­beits­welt. Was Dol­met­scher und Über­set­zer ma­chen ist hier Thema. (Ich nut­ze heu­te für die Auf­find­bar­keit im Netz den männ­li­chen Ober­be­griff, ob­wohl in un­se­rem Be­ruf Män­ner ei­ne Aus­nah­me sind.) Der­zeit kämp­fen wir um Ho­no­rare und An­er­ken­nung, da die KI über­schätzt wird.

Vor zwei Ta­gen hat­te ich über ei­ne Fir­ma ge­schrie­ben, die mit ih­rer Web­sei­te in­ter­na­tio­nal Kü­chen­ge­rä­t­schaf­ten ver­mark­ten möch­te und die mit ei­ner Pseu­do-Agen­tur hef­tig auf die Na­se ge­fal­len ist.

Dann sen­det mir ei­ne Freun­din ein ver­meint­li­ches Fo­to vom Bran­den­bur­ger Tor zu. Es stammt aus der Tou­ris­mus-Wer­bung. An die­sem Bild stimmt so gar nichts.

Fake-Berlin

Lon­do­ner Dop­pel­de­cker sind auf ei­ner Stra­ße "Un­ter den Lin­den" zu sehen, die ir­gend­wie mit Ge­bäu­de­fo­tos aus al­ler Welt zu­sam­men­ge­klatscht wor­den ist.

Das Brandenburger Tor in einem Häusermeer an einer Straße mit den falschen Fahrzeugen und Rädern ohne Menschen drauf
Al­les Fake
Vor dem Bran­den­bur­ger Tor (im Bild mit fal­schen Pro­por­tio­nen) liegt in Wirk­lich­keit ei­n gro­ßer Platz mit Fon­tä­nen und Blu­men­ra­bat­ten; auf dem Bild: Fehl­an­zei­ge! Jen­seits des To­res zeigt das Bild an­stel­le des Tier­gar­tens nur ei­ne Baum­rei­he. Der un­te­re Teil die­ser Fake­stra­ße liegt im Tal, wo doch je­des Kind weiß, das ein­mal in Ber­lin war, dass die Stadt auf frü­he­rem Mee­res­bo­den ge­baut wur­de, al­so topf­eben ist. Der Fern­seh­turm steht da­für in Wil­mers­dorf rum, das In­ter­na­tio­na­le Han­dels­zen­trum wur­de nach Moa­bit ver­frach­tet.

Nichts Neu­es unter der Son­ne

In den letz­ten Jahr­zehn­ten ha­ben Rei­se­bü­ros per Pho­to­shop ih­re Il­lus­tra­tio­nen von Rei­se­des­ti­na­tio­nen frei­hän­dig zu­sam­men­ge­bas­telt, um al­les in ei­nem Bild zu ha­ben. Das 'spart' mög­li­cher­wei­se Druck­kos­ten und si­cher Ent­gel­te für die Nut­zung der Bil­der, die sonst an die Fo­to­gra­fin­nen und Fo­to­gra­fen zu zah­len ge­we­sen wä­ren.

KI als Gefahr

Die KI ist noch bil­li­ger, denn sie kos­tet nicht ein­mal Zeit. Aber hier wer­den Fak­ten "ma­ni­pu­liert". So­l­che Bil­der neh­men wir als Sym­bol für die Be­dro­hun­gen ernst, die über uns schwe­ben, ce sont les ser­pents, qui siff­lent sur nos têtes (*), die Schlan­gen, die über un­se­ren Köp­fen zis­chen: Des­in­for­ma­ti­on, Infox und Pro­pa­gan­da, die Kon­trol­le von Al­go­rith­men und Agen­tu­ren und der KI über al­les Krea­ti­ve (Fo­to­gra­fie, Kon­zep­te, Tex­te, Über­set­zun­gen) und die Re­duk­ti­on auch der Spit­zen­leis­tun­gen auf Durch­schnitts­ni­veau, le ni­vel­le­ment vers le bas, die Ba­na­li­sie­rung des all­ge­mei­nen Ni­veaus des­sen, was wir se­hen/le­sen kön­nen, letz­ten En­des auch der Ho­no­ra­re bis zu ih­rem dro­hen­den Weg­fall. This is ali­men­ta­ry, my dear Watson.

Ver­fla­chung droht al­le­ror­ten

Wir Kul­tur­ar­bei­te­r:in­nen müs­sen jetzt da­zu bei­tra­gen, dass die All­ge­mein­heit sen­si­bi­li­siert wird für die­se Art von Ei­ne­bung al­ler Höchst­leis­tun­gen, für die Ge­fahr von Fake News durch die com­pu­ter­ge­ne­rier­ten Tex­te und Bil­der, bei de­nen na­tür­lich, wie bei der Il­lus­tra­ti­on oben, kei­ne Zah­lun­gen an ir­gend­wel­che Urheber fäl­lig wer­den.

Es droht die Ni­vel­lie­rung al­ler Le­bens­be­rei­che, le com­plet ni­vel­le­ment vers le bas, die gro­ße Ver­fla­chung von na­he­zu al­lem, denn das Wort "Durch­schnitt­lich­keit" kommt be­kannt­lich von "Durch­schnitt" und ge­nau den lie­fert die KI. "Das reicht für un­se­re Be­dürf­nis­se ..." ist ei­ne Ant­wort, die wir lei­der im­mer häu­fi­ger hö­ren. Vor Wo­chen ha­be ich Dol­metsch­be­glei­tung bei ei­ner Stu­di­en­rei­se von Ju­gend­li­chen nach Ber­lin an­ge­bo­ten. Ant­wort nach län­ge­rem Hin und Her: "... wir wer­den für die Kom­mu­ni­ka­ti­on ein Ge­rät für 'au­to­ma­ti­sche Über­set­zung' tes­ten!"

Kri­tik von den Use­r:in­nen? Fehlanzeige!

Die jun­gen Leu­te wer­den von der Stadt be­geis­tert und von der Rei­se ver­zau­bert sein, ein paar Bro­cken ver­ste­hen und sich ver­mut­lich mit dem Un­ge­fäh­ren zu­frie­den ge­ben und sich über Wi­der­sprü­che kurz wun­dern. Das ist mei­ne gro­ße Sor­ge, vor al­lem, weil im Rah­men der kol­lek­ti­ven Er­zie­hung Frank­reichs das In­di­vi­du­um sich nur un­gern in den Vor­der­grund rückt und Kri­tik als Un­dank­bar­keit ge­wer­tet wer­den könn­te.

Blu­men­beet

Ge­se­hen in Ber­lin-Mit­te
Zum Ab­schluss gibt's gleich noch ei­nen Hin­gu­cker. Hier, was mir die KI-un­ter­stütz­te Soft­ware "Ap­ple Fo­tos" von mei­nen Fo­tos aus­ge­wählt hat, als ich "Blu­men" ins Such­feld ein­ge­ge­ben hat­te. Lo­gisch: un­ten grün, die Um­ge­bung grün bis neu­tral­grau, und dann bun­te Punk­te in ur­ei­ge­nen For­men.


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Foto: C.E. ; KI-Fundsache: Merci à Amandine Thiriet !
(*): "Für wen sind die­se Schlan­gen, die über un­se­ren Köp­fen
zis­chen ...“ Quel­le: An­dro­maque, Ra­ci­ne. Die Al­li­te­ra­ti­on mit
dem be­droh­li­chen S-Laut fällt in der Über­set­zung lei­der weg.

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