Mittwoch, 29. Mai 2024

Mittelmäßigkeit und alte Zöpfe

Sie le­sen hier in ei­nem Blog aus der Ar­beits­welt, ge­nau­er: aus dem All­tag ei­ner Dol­met­sche­rin. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­si­sch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Heu­te geht es wei­ter mit Hin­ter­grund zu un­se­rem Be­ruf, der für vie­le akut vom Ver­schwin­den be­droht scheint.

Men­schen, die am Te­le­fon ver­nünf­tig und auch dif­fe­ren­ziert klin­gen, emp­feh­le ich, wenn sie mich bit­ten, au­to­ma­tisch über­setz­te Tex­te "mal eben kurz" zu lek­to­rie­ren (für 'n Ap­fel und 'n Peanut), sie möch­ten doch bit­te ger­ne mal die Funk­ti­on "au­to­ma­ti­sches Schrei­ben" tes­ten, also ei­ni­ge Be­grif­fe zu ei­nem The­ma, das sie gut ken­nen, ein­fü­gen und dann als Prompt z.B. schrei­ben: "Bit­te lie­fe­re mir ei­nen per­sön­li­chen, ori­gi­nel­len und über­zeu­gen­den Text zum The­ma für meine Web­sei­te."

Herren, die im Zimmer rauchen, die einzige Dame hängt als Aktbild an der Wand
Aus­schnei­den, zu­sam­men­knül­len, weg­wer­fen
Sehr oft reicht das als Hin­weis, dass bei au­to­ma­ti­schen Über­tra­gun­gen die Er­geb­nis­se ähn­lich durch­schnitt­lich, höl­zern, stel­len­wei­se schräg und nach gaaanz al­ten Ma­cho­zei­ten klin­gen, in de­nen es noch Wähl­schei­ben­te­le­fo­ne gab.

Ei­ne Kun­din, sie ar­bei­tet im Ver­trieb von Koch­ge­rät­schaf­ten, hat nicht nur die KI-Text­funk­ti­on aus­pro­biert, son­dern auch ei­ge­ne Web­sei­te hin- und wie­der zu­rück­über­tra­gen las­sen. Ihr fiel auf, dass aus Re­de­wen­dungen wie "wenn Sie Ihre Liebs­ten ver­wöh­nen möch­ten" sys­te­ma­tisch et­was wur­de à la "wenn Sie Ih­ren Mann ver­wöh­nen möch­ten". Al­les, was mit Ko­chen, Kü­che und Haus­halt zu tun hat­te, wur­de auf Fran­zö­sisch so wie­der­ge­ge­ben, dass Frau­en die Han­deln­den wa­ren. (Im Fran­zö­si­schen se­hen wir das un­ter Um­stän­den am Verb, das manch­mal an­ge­gli­chen wird.)

Und der Out­put hät­te höl­zern und steif ge­klun­gen. Na­ja, es ist im­mer der Quer­schnitt des­sen, was sich an­ders­wo fin­det, und da­von dann die ma­the­ma­tisch er­reich­te Wahr­schein­lich­keit. Dop­pel­ter Durch­schnitt al­so.

Die Kun­din war übri­gens bei der "Sprach­rei­se" Ih­res Mus­ter­tex­tes über DeepL noch über Spa­nisch und Por­tu­gie­sisch ge­gan­gen und hat vie­le Be­grif­fe der Spra­chen, die sie aus dem Ur­laub ein we­nig kennt, dann als "Blind­darm" in der ver­meint­lich fran­zö­si­schen rück­über­setz­ten Form ent­deckt, da­bei wa­ren die Wör­ter un­ver­än­dert.

Ihr Zi­tat: "Wenn ich ei­ne Ziel­spra­che nicht be­herr­sche, darf ich mich kei­nes­falls dar­auf ver­las­sen, dass das KI-Er­geb­nis reif zur Ver­öf­fent­li­chung ist. Da müs­sen wei­ter­hin Pro­fis ran."

Ein Bei­spiel ge­fällig? Für "klei­nes Töpf­chen" wur­de in der letz­ten "Übel­set­zung" ein Wort ver­wen­det, das das weib­li­che Ge­schlechts­or­gan be­zeich­net, denn aus con­cha, wört­lich "Mu­schel" oder eben "klei­ner Topf", wur­de con.

P.S.: Spä­ter kommt her­aus, dass das Bei­spiel einer KI-"Übel­set­zung" aus ei­nem Text stammt, den eine "Über­set­zungs­agen­tur" der Kun­din für viel Geld ver­kauft hat. Die­se "Firma" hat eine Brief­kas­ten­adres­se in Frank­reich, sit­zt aber in In­dien. Die Rück­for­de­rung des schon be­zahl­ten Gel­des scheint we­ni­g aus­sichts­reich. Das Er­geb­nis un­se­res Ge­sprächs ist nun der be­zahl­te Auf­trag ei­ner ech­ten Über­set­zung.

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Foto: "Alt­herr­lich­keit" aus dem Lehr­buch
En français, s'il vous plaît, Grenz u.a., 1982

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