Freitag, 24. Juni 2022

Amor vs. Hermes, die Erste

Ob zu­fäl­lig oder ge­plant: Sie sind hier auf Sei­ten eines digi­talen Tage­buchs aus der Ar­beits­welt gelan­det. Ich bin (mit Deutsch als Muttersprache) Dol­met­scherin für die fran­zösische Spra­che (und aus dem Eng­li­schen), und ich be­rich­te hier aus dem All­tag.

Ohne Dolmetschbedarf
Kurioses aus dem Dol­metsch­bü­ro: Eine Frau ruft an, stellt sich vor, bittet um Ent­schul­di­gung für die Störung. Sie sei in gerade Frank­reich und würde leider nach einigen Jahren Schul­fran­zö­sisch kaum Fran­zösisch spre­chen. Sie habe einen Mann ken­nen­ge­lernt, der kein Deutsch und kaum Eng­lisch spräche. Nun ha­be sie seine Tele­fon­num­mer ver­lo­ren. Sie wisse aber, wo er ar­bei­tet. 

Nur sei er dort nicht an­zu­tref­fen. Er habe ihr un­längst etwas von arrêt de tra­vail gesagt. Was er ihr habe mit­tei­len wollen, möchte sie wissen.

Ich grinse still. Nor­ma­ler­weise wird in Kun­den­ge­sprä­chen nach der Er­klä­rung des Be­darfs über Geld gesprochen. Nicht so hier. 

Wenn der kecke Ben­gel Amor seine Pfeile verschießt und Götter­bote Her­mes, das ist jener, der für die Kom­mu­ni­ka­tion zuständig ist, ihm in den Arm fällt, ist ein wenig Dolmetschpower Ehrensache.

Arrêt de travail heißt üb­li­cher­weise Krank­schreibung, sage ich ihr. Das hät­te sie auch her­aus­ge­fun­den, meint die An­ru­fe­rin. Viel­leicht habe er etwas an­de­res sagen wollen, denn er sei kern­gesund. Er habe sich möglichst ein­fach aus­ge­drückt, um ihre mini­malen Fran­zö­sisch­kennt­nis­se nicht über­zu­stra­pa­zieren.

Cette semaine, j'arrête de tra­vailler, hat er vielleicht gesagt, wörtlich: "Die­se Wo­che höre ich zu ar­bei­ten auf." Ich spre­che den Satz laut vor, sie bejaht. Wie kann das sein ge­meint sein? "Diese Woche beende ich die Arbeit", ich habe bei der Firma gekündigt, na klar, aber auch: "Das ist meine letzte Ar­beits­wo­che" für im­mer und ewig. (Ich kenne je­man­den, der in Frank­reich mit 55 Jahren in Rente ge­gan­gen ist, da er als jun­ger Mensch eine Zeit­lang für ein Berg­bau­un­ter­neh­men tätig war. Glück­wunsch auch auf diesem Weg!) Oder aber er hat schlicht gemeint, dass es die letzten Ar­beits­ta­ge vor der Som­mer­pau­se sind.

Leider kom­men wir nicht weiter, kann ich hier nicht weiter­helfen. Ich wünsche der Dame alles Gute und erlaube ihr, mich bei Be­darf wieder zu stören. Solche Stö­run­gen sind selten, kommen vor und nein, dies hier ist keine Er­mu­ti­gung, mich als lau­fen­des Wör­ter­buch an­zu­spre­chen. Ich bin Kon­fe­renz­dol­met­scherin und Über­set­zerin, ver­di­ene damit mein Geld, und werde den Sommer über gro­ßen­teils die Stel­lung halten, wäh­rend die Kol­leg:innen im Ur­laub sind (oder sich von Covid-19 er­ho­len).

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Foto:
Motiv von der Frankfurter Buchmesse (2017)

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