Freitag, 3. Juni 2022

Höhen und Tiefen

Ein­blicke in den Berufs­all­tag von Über­setzer:in­nen und Dol­met­scher:in­nen be­kom­men Sie hier. Die meis­ten von uns sind selb­stän­dig. Die Co­ro­napandemie hat die wirt­schaft­li­chen Grundlagen der meis­ten von uns er­schüt­tert, die Arbeit an­stren­gen­der ge­macht. Und es hört und hört nicht auf ...

Der netteste Moment dieser Berliner Arbeitswoche: In der sonnigen Pause auf ei­nem Mäuerchen der Spree sitzen, das Metall­tab­lett von der indischen Garküche vor und ei­nen fran­zö­si­schen Industrie­manager (Kunde) neben mir und infolge einer ex­zel­len­ten Frage begreifen, dass vor 28 Jahren exakt fünf Mi­nu­ten über meine beruf­liche Zukunft entschie­den haben. Und dann um­ge­hend vom Ma­na­ger geduzt werden. (Diese Story erzähle ich später mal.)

Sinnbild für eine Online-Reise nach Marokko
Der traurigste Moment der Ar­beits­wo­che: Der CO2-Auditor, mit dem ich nächste Wo­che nach Marokko reisen sollte, hat Covid-19. Das Auditing soll jetzt on­line statt­fin­den. Nun wird meine Vergütung aufgrund in­terner Regeln beim Kunden so berechnet, dass ich nur durch die Zu­la­ge für den Auslands­einsatz auf meinen üb­li­chen Tages­satz komme. Und durch den Wech­sel zu einem rei­nen Online-Termin entfallen die Be­triebs­füh­run­gen vor Ort, die für mich beim Ein­ar­beiten in ein neues The­ma wichtig sind. Die zu­nächst ge­plan­te "Be­suchs­kern­zeit" bleibt un­ver­än­dert, was zur Ver­dich­tung des Programms führt, das jetzt so aus­sieht, als ob es bes­ser von ei­nem Dol­met­scher­team und nicht von einer Ein­zel­dol­met­sche­rin be­treut werden sollte.

Die Be­rech­nungs­grund­lage meiner Zu­sa­ge hat Covid-19 also kom­plett verändert.

Der Hin­ter­grund der be­son­de­ren Hono­rar­be­rech­nung, die mich mög­li­cherweise den Job kosten wird, weil der Kunde mit Verständnis für mei­ne Lage reagiert, aber of­fen­bar an den Ber­ech­nungs­grund­sätzen fest­hält, ist wohl der, dass Auditoren auf Hono­rar­basis weniger ver­lan­gen als wir Dolmet­scher:innen. Nun haben Fach­in­ge­nieu­r:innen in der Regel nicht maxi­mal 70 bezahlte Arbeits­tagen per annum in vorcoronösen Zeiten wie ich (und die in Pandemie­zei­ten groß­ar­ti­ge Zahl von ca. 30 vol­len Ta­gen im drit­ten Corona­jahr), sondern mehr. Ein kurz befragter Kunde, Bau­sach­ver­stän­diger aus Berlin, kommt auf 190 bis 200 (von 250 möglichen) Ar­beits­ta­gen; das Corona­virus habe ihn kaum be­ein­träch­tigt.

Wir Dolmet­scherinnen haben ein sehr hohes Berufsethos. Wenn wir ein­mal zu­ge­sagt haben, bleiben wir in der Regel dabei. Wie an­stren­gend unser Beruf ist, er­ah­nen viele Men­schen nicht. Wir Dol­met­scher:innen müssen häufig viel frisch An­ge­­lern­tes durchs Hirn schleu­sen und das lässt es schneller heiß­laufen wie Alt­be­kann­tes. Das führt zu größerer Ermü­dung und Qua­li­täts­ver­lusten, wenn Pau­sen fehlen. Ver­gleich­bar ist das mit einem Computer, der entweder von der Festplatte arbeitet (= Altbekanntes) oder eine Riesen­menge Tabs und Programme parallel ge­öff­net hat. Daher brau­chen wir immer mehr Zeit: Zur Vorbe­rei­tung und zur Er­ho­lung nach stres­sigen Einsätzen.

Also Gespräche, Nach­denken, Zögern ... und ich bereite mich weiter­hin parallel dazu vor. Man weiß ja nie.

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Foto:
C.E. (der deutsche doppelkammrige
Teebeutel mit einem Hauch von Marokko)

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