Mittwoch, 29. Juni 2022

Konferenzen und Fernreisen

Aus dem Arbeits­alltag einer Dol­met­scherin können Sie auf diesen Seiten einiges er­fah­ren. Meine Muttersprache ist Deutsch, ich arbei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Die Pandemie hat unseren Beruf verändert, die Umweltkrise verändert ihn weiter

Der Ton ist metal­lisch, voller Echo, die Sil­ben schei­nen ein­zeln durch­ge­scho­ben zu werden, dann knal­len die Wör­ter so schnell aus der Lei­tung wie eine Salve aus dem Ge­wehr­lauf. Wir sind im Dol­metsch­stu­dio bei einer Arbeit, die in­zwischen zur ei­ner Grund­übung unse­res Berufs avan­ciert ist. Dabei sit­zen jene, die wir ver­to­nen, an einem an­de­ren Ort, vie­le Ki­lo­meter von uns ent­fernt.

Vor einigen Jahren haben wir An­bieter von Fern­dol­met­schen alias Re­mote Si­mul­ta­neous In­ter­pre­ting (RSI) noch ausge­lacht, so geschehen in Berlin auf einem Be­rufs­kon­gress. Wir haben uns ver­äp­pelt gefühlt. Das konnte doch nicht ernst­ge­meint sein: Irgend­wo in einer Box sitzen, ganz ohne Kon­takt- und Nach­fra­ge­mög­lich­keit in der Kaf­fee­pause oder die kurze Erin­ne­rung an aus­ste­hende Prä­sen­ta­tionen, ohne den Be­suchs­an­teil vor Ort, ohne Be­sich­ti­gungen und di­rek­ten Ein­blick zum Thema zu er­hal­ten, wie das sonst häufig der Fall ist? Statt­des­sen ir­gend­wo ab vom Schuss in einer Box zu hocken wie eine x-be­li­ebige Person im Te­le­fon­mar­ke­ting, das hat un­se­xy und vor allem wenig prak­ti­kabel geklungen.

Online-Kon­fe­renz­sof­tware hat un­sere Arbeit ver­ändert

 

Dann schlug auch bei uns die Pan­demie ein wie eine Bombe. Die di­gi­tale Re­vo­lu­tion wird indes von den Ge­ge­ben­heiten hier­zu­lan­de ausgebremst. Deutsch­lands Ruf in Sachen Technik ist bes­ser als das, was vor­han­den ist. Sogar jetzt, im 3. Corona­jahr, gibt es noch Prob­leme mit ver­zerr­tem Ton, der kompri­miert ist oder ab­ge­hackt, mit schwachen Lei­tungen und unzu­rei­chenden Set­tings bei den Teil­neh­men­den "drau­ßen". Die meisten Probleme, so meine Be­ob­ach­tung, entstehen tat­säch­lich dort, an der Aus­gangs­seite mit ge­rin­ger Leis­tung, ab­we­sen­der Netz­an­bin­dung des Rech­ners (Wlan reicht oft nicht) und ­ feh­len­den Head Sets.

Um mehrs­pra­chi­ge Sitzungen erfolg­reich betreuen zu können, ist viel Team­ar­beit zwischen den Dol­met­scher:innen nötig, aber auch mit den Red­ne­r:in­nen, die lang­sam be­grei­fen, was ihr An­teil ist.

Und die auch sonst Ver­ant­wortung übernehmen. Vorbe­reitung auf ein Event, der Redner bleibt zu­hau­se und schreibt sehr freund­lich: "Ich wurde ge­be­ten, den Key­note-Vortrag zu hal­ten. Das habe ich zunächst abgelehnt, weil ich ein Flug­zeug für die Reise hätte be­nutzen müssen, denn die Nacht­züge sind ausgebucht (...) Seit Jah­ren nehme ich keine Einla­dun­gen mehr außerhalb Europas an. Innerhalb des Kontinents reise ich, wo immer möglich, mit dem Nacht­zug. Daher werde ich jetzt zum Event zugeschaltet."

Ja, finde ich über­zeu­gend, zumal er weiter schreibt, er könne als Wissenschaftler nicht ständig die Verschwen­dung von Res­sour­cen und die Ver­schmut­zung der Um­welt anpran­gern und unver­ändert so weitermachen: "Wie kann ich sonst mei­nen Kin­dern erklä­ren, wie der Pla­net in Zu­kunft aus­sehen wird?"

Es ist wichtig, dass das stän­dige Flie­gen nicht mehr als eine nor­ma­le Sache ver­­stoff­wech­selt wird. Ja, Flug­scham muss statt­des­sen nor­mal werden. Und gleich noch ein Ja: Freun­de von uns leben in den USA, die Groß­eltern in der Schweiz. Natür­lich wird da ge­flo­gen. Aber eben auch nicht häu­fig (und sie spen­den viel für Ausg­leichs­pflan­zun­gen). Wir brauchen mehr Viel­flieger, die sich verant­wortlich verhalten, und, wenn mög­lich, auf den Zug um­steigen.

An deut­schen Flug­häfen herrscht dieser Tage Chaos, denn in der Kri­se wurde dort (trotz hoher Sub­ven­tio­nen) Per­so­nal ein­ge­spart. Wir müssen in die Schiene in­ves­tie­ren, die gut beim Pub­li­kum an­kommt, wenn sie be­zahl­bar ist, was das Ex­pe­ri­ment Neun-Euro-Ticket gerade beweist. "Wir brau­chen mehr Züge" sa­gen auch die Fach­leute, hier ein ak­tu­eller Link.

Zurück in die Kabine. Erst Stil­le, dann macht es einmal plopp! ... und poly­per­kus­sive Pat­tern pum­pen sich durchs Netz. Ja, RSI ist häu­fig noch eine Zu­mu­tung, auch hier muss inves­tiert werden. Es ist wohl die schwie­rigste Ar­beits­wei­se in unserem Berufs. Wie gut, dass wir alle im Netz­werk in den letzten Jahr­zehn­ten viel Er­fah­rung sam­meln konnten, so dass wir ge­­wapp­net wa­ren dafür.

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Foto:
C.E. (Archiv)

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