Mittwoch, 8. Juni 2022

Schwierig, schwierig ...

Herz­lich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, und na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ma­chen, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Wir ar­bei­ten oft nah am Kun­den und der Kun­din, was un­se­ren Alltag nicht er­leich­tert.

Kunden aus der Höl­le, die kein Mensch braucht, sollte diese kleine Por­trait über­schrie­ben sein. Es ist beschämend — bis hin zur eigenen Scham.

Kinder der 70-er kennen diese Nerven­säge
jemand an und braucht eine Über­setzung. Das ist erstmal nicht unge­wöhnlich für ein Büro, in dem Über­set­zun­gen ent­ste­hen. Nur, dass es hier um of­fi­ziell beglaubigte Über­set­zun­gen geht. Was ich nicht an­bi­ete.

Warum biete ich das nicht an? Warum hatte ich einen Hinweis dazu ein Jahrzehnt lang auch im Google-Firmen­hinweis stehen?

Dem Gesetzgeber ist vor vielen Jahren in seiner un­ver­gleich­lich weisen Art ein­ge­fal­len, die Honorare der be­ei­dig­ten Übersetzer:innen für of­fi­ziel­le Dokumente zu kürzen. Sie haben richtig ge­le­sen, zu kürzen.

Einige Sätze wurden erhöht und zugleich wurde die Kategorie, die am meisten Ar­beit macht und die gefühlt 95 Prozent der Fälle ausmacht, einfach abge­schafft, der höchste Satz für die Über­setzung von "nicht editier­baren Doku­menten". Sprich: Das ist nichts, was sich per Copy and Paste mit "aus dem Original exzerpieren und die For­ma­tie­rung überneh­men" lässt, sondern es sind Dokumente auf Papier, oft noch hand­schrift­lich, auf verbli­chenem, hadernhaltigen Papier und mit vielen Stem­peln. Hier ist alles zu übersetzen, von der Anschrift der Behörde bis hin zur unleser­lichen Unter­schrift. Kärrnerarbeit.

Abgeschafft, gestri­chen, ersatzlos. Durch die Presse ging: "Honorarsätze wurden erhöht." In Wirklich­keit ist der Rückfall auf den zweit­höchsten Satz auch nach des­sen Erhöhung eine Honorar­kürzung. Viele Kol­leg:in­nen haben anschlie­ßend aus Pro­test die Stempel zurückgegeben.

Der Bedarf bleibt gleich. Das Telefon klingelt bei mir täglich zwei Mal zu diesem Thema. Bislang habe ich 'nein' gesagt und für Freun­de dann doch übersetzt, Kol­le­gin­nen haben be­glaubigt.

Dann traf ich eine Kollegin im einstigen Ostd­eutschland. Sie macht den Job weiter gerne. Sie muss keine über­höhte Ber­liner Miete zahlen. Wir tüteten eine Ko­ope­ra­ti­on ein. Die Sachen gehen nur über meinen Schreib­tisch, ich werfe einen Blick auf die Original­do­kumente, sehe, dass sie nicht gefälscht sind (soweit ich das be­ur­tei­len kann), dazu verpflich­tet unser­einen zurecht der Gesetz­geber, denn es ent­steht mit der beglaubigten Übersetzung ja ein neues Original. Der Rest ist die Sache der Kollegin. Mir verlangt es einige Termin­zusagen ab, that's all. Keine große Sache, no big deal.

Ab und zu komme ich dann doch an meine Grenzen. Da ist der Kunde, der, obwohl ihm wiederholt gesagt worden ist, die Original­do­ku­mente mitzubringen, ohne sie vor der Tür steht. Und dann anfängt, mich zu beschimpfen. Er sei extra vom an­de­ren Ende der Stadt angereist und was ich mir raus­neh­men würde. Ich solle aber subito mit ihm ins Auto steigen, wir würden zu ihm nach­hause fahren, dort könne er mir das Original zeigen.

Es gibt Menschen, die explo­dieren von jetzt auf gleich. Die sind nicht nur jäh­zor­nig, sondern auch körper­lich dominant. Ich war froh, ihn vor der Tür ab­zu­fer­ti­gen. Eigentlich hatte ich ihm die Anwei­sung gegeben, im Hofgarten auf mich zu waren. Aber er liest nicht nur nicht, er hört auch nicht.

Im Hof hätte es zur Not mehr Men­schen gegeben, die eingeschritten wären, als nur auf dem Treppen­absatz.

Ein Mann ohne Empa­thie und Mitdenken, ohne Interesse an den anderen, ohne Höf­lich­keit, Freund­lichkeit, Respekt, Zuhören. Dabei ist meine Rolle hier die einer Dienst­­leis­te­rin an der dokumen­ten­armen Mensch­heit und der Kollegin, das war's. Damit verdiene ich nicht meine Bröt­chen. Selbst, als ich ihm das sage, bleibt er bei seinem Text.

Zwischen­durch hatte er schon x-fach dasselbe gefragt, nach 22.00 Uhr angerufen (macht mensch einfach nicht), hatte uns mit Mails bombar­diert und war schließlich zur Abholung ohne meine Adresse los­ge­gan­gen und alles mög­liche andere, was sich unser­einer so vorstellen kann ... und noch viel mehr, denn meine Phan­tasie in Sa­chen Schief­lauf­po­ten­tial war begrenzt. 

Ich schaffe es an besagtem Tag, ihn |rauszu­schmeißen| hin­aus­zu­kom­pli­men­tie­ren, bin aber kurz davor, die ge­sam­te Nachbarschaft her­bei­zu­brüllen. [BRÜLLEN. Ich? Wir Dolmetschpersonen sind derart in Diplo­matie gewalkt, dass wir eher zu den Leise­tretern zählen.]

Zwei Tage später kommt er wieder vorbei, pünktlich, bleibt brav auf der Straße, bedankt sich (ein erster Schritt) und hört sich sogar den Hinweis geduldig an, dass es für Zuge­wanderte exzel­len­te Deutsch­kurse an den Volks­hoch­schulen ge­be, dass die All­ge­­mein­­heit diese auch finan­ziere, und für jene, die mit der lateinischen Schrift Probleme hätten, sogar Lese- und Schreibkurse. 

Denn irgendwann ist meiner Kollegin und mir eingefallen, dass dieses Pracht­ex­em­plars eines HB-Männchens vielleicht ein Analphabet sein könnte. Und nun sind wir doppelt peinlich berührt.

Ein Tag im Leben des HB-Männchens

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Foto: HB und YouTube

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