Dienstag, 28. April 2020

COVIDiary (48)

Ob ge­plant oder zufäl­lig, Sie sind auf den Sei­ten des ers­ten Dol­met­scher­blogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine gelandet. In Coronazeiten lesen wir intensiv Zeitung.

Die Politik meiner beiden Heimat­länder steckt mitten in der Coronakrise. Dass die Bürger:innen jetzt zuhause bleiben müssen, ist die einfachste Antwort auf eine Pandemie, die ein noch unbe­kannter Virus mit kaum erforschten An­ste­ckungs­we­gen auslöst.

Der Mensch als Industriepalast, historische Grafik
Der Mensch als Industriepalast
La poli­ti­que fran­çaise est au pied du mur, steht in der Zeitung. Être au pied du mur bedeutet, sich in einer prob­le­ma­ti­schen Lage zu befinden, die nur noch wenig Aus­weich­op­tio­nen lässt. Strenge Co­ro­na­re­geln ruft derzeit nicht nur die französische Re­gie­rung aus. 

Ihr Handeln könnte auch als être acculé au pied du mur be­zeich­net werden, mit dem Aller­wertesten am Fuße der Wand stehen. Das Körper­teil ist im Origi­nal einen Deut def­ti­ger, also mit dem A..., während wir im Deutschen nicht mit dem verlängerten Rücken, sondern mit dem Rücken selbst zur Wand stehen, in einer Krise sind, eine kri­ti­sche Situation oder ange­spann­te Lage erleben.

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Illustration: Dr. Fritz Kahn (1926)

Montag, 27. April 2020

COVIDiary (47)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich in­des vom Über­set­zerschreibtisch aus, denn es ist mal wieder alles im Umbruch. Der Blog aus dem Be­rufs­all­tag wird zum COVIDiary. (Die fehlenden Tage sind geschrieben, aber noch nicht editiert.)

Kanne ohne Deckel
"Es ist alles da, sagt der nächste Mitmensch, es ist alles da in dieser großen Stadt, die Lä­den kön­nen gut und gerne ein Jahr zu­blei­ben!" Ich frage nach. Er meint Tauschhandel auf Verschenkbasis. "Du ahnst gar nicht, wie viel nie Ge­brauch­tes bei den Leuten daheim so rumliegt. Und wir werden es immer häu­fi­ger auf der Straße finden!"

Deutschland im Shutdown, Deutschland räumt auf. Letzte Woche ist meine Kaf­fee­kan­ne ka­putt­gegangen, heute finde ich eine am We­ges­rand, allerdings ist sie un­voll­stän­dig. Im Topf- und Werk­zeug­schrank liegt doch noch der Deckel der alten Kanne, die kaputtging und der bei­sei­te­ge­legt wurde, weil bei meinen Eltern zwei Kannen ohne Deckel auf Ersatz warten. 

Dem überlebenden Deckel fehlt allerdings nicht nur die Kanne, sondern auch der Griff, dort ist ein schiefes Loch. Beim Werkzeug findet sich auch ein Möbelknauf, der nie zum Einsatz kam. Zwei Minuten später haben wir eine neue, ge­brauchs­fer­ti­ge Kaffeekanne. (OK, theoretisch, denn die Kanne darf noch zur Doppelspülung in die Maschine.) Später im Jahr werde ich einen Freund bitten, das etwas aus­ge­franst­e Loch vom abgebrochenen Griff geradezufeilen, weil das mit Schmir­gel­pa­pier nicht geht. Dann brauchen wir noch etwas Moosgummi statt der Un­ter­leg­schei­be — und die Chose ist perfekt.

Kanne mit neualtem Deckel

Das, was wir hier gemacht ha­ben, nennt sich übrigens Up­cy­cling: Recycling durch Auf­wer­tung von Kaputtem. Ob der Shutdown noch mehr Men­schen zum Nach­den­ken an­regt über das, was sie wirk­lich brauchen? Ja, die Über­fluss­ge­sell­schaft könnte durch die Voll­bremsung zum Nachdenken und dadurch zu Bewusstsein kommen, was angesichts der Klimakrise al­ler­höchst wün­schens­wert wäre.

Ich finde die neue Kaffeekanne "Neukölln Style" übrigens sehr schick. Hier ist es ja in Mode gekommen, um einen Tisch komplett verschiedene Stühle herumzustellen, sogar in manchem Szenerestaurant. Und auch wenn "Café" ein französisches Wort ist und hier auf einem Gefäß steht, so bezeichnet das auf Französisch überwiegend den Ort, weil die Kaffeeart dort üblicherweise gleich klarstellt wird, also un café crème (Milchkaffee), un express (Espresso), un noisette (Espresso mit einem Hauch Milch), un allongé (verlängerter, entspricht am ehesten der deutschen Tasse Kaf­fee).

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Fotos:
C.E.

Montag, 20. April 2020

COVIDiary (41)

Bon­jour, herz­lich will­kom­men auf den Sei­ten des di­gi­­ta­len Ta­ge­­buchs ei­ner Fran­zö­­sisch­­dol­­met­scherin und -übersetzerin aus Paris und Berlin. Als Über­setzerin habe ich Ka­pa­zi­tä­ten frei. Die Umstände machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher pri­va­te COVIDiary.

Spazierengehen in Neukölln: Wir sehen fast keine alten Menschen, das überrascht uns nicht. Denn das Virus ist für sie besonders gefährlich. Zu­dem werden die Sitz­mög­lich­kei­ten immer weniger.

Schild: "Bitte Bank nicht herunterklappen!"
Gesehen in der Hobrechstraße (Neukölln)
Et­li­che Bän­ke, ge­ra­de die­je­ni­gen, die Nac­hbarn in die Ein­fassung von Baumscheiben integriert hatten, wurden vom Amt ab­ge­baut. Bäu­me stehen wieder ohne Schutz da, zum Bei­spiel auf dem Kott­bus­ser Damm. Prompt liegen auf einer Baum­scheibe ein aus­ge­dien­ter Com­pu­ter­mo­nitor, mehrere Hun­de­häuf­chen, sind Tritt- und Rei­fen­spu­ren zu erkennen.

Mehr noch: Die Rinde ist auf der Höhe der Pedale verletzt; da hat wohl jemand sein Fahrrad etwas zu unvorsichtig wieder entparkt. In der Parallelstraße lagert auf und neben einem Straßenbaum jetzt neuerdings eine halbe Küche.

Wie wollen wir leben, wie den gemeinsamen Raum gestalten? Das fragen sich der­zeit viele, denn Zeit fürs Nachdenken ist ja plötzlich da. In Neukölln ist er noch nicht ausdiskutiert, auch wenn das Rathaus vor einiger Zeit Baum­schei­ben­zäun­chen, die Sitz­mög­lich­keiten anbieten, verboten hat.

Müllablagerung am Rand von Straßenbäumen
Ebenfalls in der Hobrechtraße
Insgesamt fehlen Parkbänke in der deutschen Hauptstadt. Auch vor den Cafés und Bars sind die Sitzgelegenheiten verschwunden, weg­ge­klappt, überklebt. Zum Glück brau­che ich sie nicht mehr, aber in den Wochen nach meiner üblen Virusgrippe waren Sitz­mög­lich­kei­ten sehr wich­tig. Ich ha­be mich damals von Bank zu Bank gehangelt und war froh um alles aus Holz.

Die Bänke von Bushäuschen sind oft aus Metall und mit Bügeln abgetrennt, um Ob­dach­lose zu verscheuchen. Ich finde das inhuman. Der Fokus der Ge­sell­schaft ist derzeit überwiegend auf die Gesunden, aufs Gesundbleiben gerichtet; an die Ge­ne­sen­den denkt kaum jemand. Dabei scheint das Gesund­werden jener, die es übel erwischt hat, zu dauern. Je größer diese Gruppe wird, desto mehr wird sich das mit der Aufmerksamkeit hoffentlich ändern. Und auch in Sachen Baum­zäunchen mit Sitzplatz ist in Neu­kölln hoffent­lich nicht das letzte Wort ge­spro­chen.

Treffen sich zwei Pessimisten in Coronazeiten. Zum Abschied sagt der eine: „Machen Sie's Beste draus!“ Darauf der andre: „Bleiben Sie bloß negativ!“

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Foto: C.E.

Freitag, 17. April 2020

COVIDiary (38)

Ob geplant oder zufällig, Sie sind auf den Sei­ten des ers­ten Dol­met­scher­­blogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine gelandet. Dabei schaue ich gerne meinen Mitmenschen aufs Maul, auch und besonders im COVIDiary. 
 
Die Grußformeln bei der Verabschiedung ändern sich, sowohl in Mails als auch auf der Straße.

Gespraytes Virus mit Text: Berlin bleibt stabil
Gruß vom Wegesrand (Neukölln)
Bleibt gesund!
Wir sehen uns wieder!
Pass gut auf Dich auf!
Ich wünsche Ihnen eine gute Gesundheit!
Gesundheit ist die erste Bürgerpflicht!
Haltet durch und seid gesund!
Mach' das Beste draus!
Halt' Dich wacker!
Einen milden Verlauf!
Bleib' übrig! (Danke nach Sachsen!)

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Foto: C.E.

Donnerstag, 16. April 2020

COVIDiary (37)

Herzlich willkommen auf meinen Blogseiten, dem digitalen Arbeitstagebuch aus der Perspektive einer Dol­met­scherin und Über­set­zerin. In diesen Zeiten allerdings ruht das Büro, das Virus macht aus meinem Blog das eher private COVIDiary.

Kein Coronavirus
Die Kunst- und Kulturszene, zu der wir Dolmetscher zäh­len, ist weiterhin tief irritiert bis betroffen von den Regeln der "Rettungsfonds" für die Solo-Selbständigen. Ge­wer­be­mie­te, Lea­sing­ver­trä­ge, Kre­dit­ra­ten seien da­von zu be­glei­chen, sonst nichts. Über­setzt heißt das: Nicht die So­lo-Selb­stän­di­gen wer­den ge­ret­tet, son­dern ih­re Zah­lungs­fä­hig­keit ge­gen­über Ban­ken.

Die Regelungen des Bundes gehen an der Lebenswirklichkeit vieler vorbei, die ir­gend­wo ein Büro untermieten, bewusst ohne Kredite leben, weil sie von den kurz­fris­ti­gen Un­bil­len des Alltags wissen, trotzdem auf separaten Quadrat­metern für den nächsten Auftritt üben müssen oder in einem getrennten Zimmer der Wohnung malen, weil trocknende Ölfarben sich nun mal nicht für den Wohnbereich eignen.

Auch Dolmetscher haben in der Regel keine hohen Grund­kosten. In der Summe und auf ein halbes Jahr gerech­net dann aber leider doch. Darüber hinaus brauchen wir alle Geld für die private Lebensführung. Was nützt es den erhal­tenen Ateliers, Werk­stätten, Büros, die zwar frisch geweißelt worden sind in der auftragsfreien Zeit, wenn aber der- oder diejenige, die hier aber normalerweise arbeitet, nicht mehr da ist?

Ja, wir schnallen alle den Gürtel enger, helfen über Kreuz, die Familien zeigen sich solidarisch, wo sie können, das ist gut. Aber das geht nicht über Wochen, Mo­nate gut.

Wir fühlen uns wie Berufstätige zweiter, nein, sogar dritter, vierter Klasse. Wie ist die Fortzahlung bei Beamten geregelt? Darüber habe ich noch nichts gelesen. Fest­an­gestellte bekommen (wohl zu wenig) Kurzarbeitergeld; haben sie einen gro­ßen Arbeitgeber, profitieren sie vielleicht von den Milliardenförderung, die einigen Großunternehmen zuteil wird, diese sollen auch den Differenzbetrag zu 100 Pro­zent aufstocken, gut. Hier wird Bedarf gesehen.

Künstler brauchen den Politikern zufolge wohl nichts zum Leben außer Luft und Liebe. Das ist der arme Poet in seiner Kammer unter dem undichten Dach, der nicht essen muss, keine Energie braucht um zu heizen, ein Plumeau reicht doch aus, frei nach Spitzweg. Je härter dran am Exitus, desto kreativer. Deutschland 2020, meinst Du das wirklich?

Die Selbständigen werden nun aufgefordert, Hartz IV zu beantragen. Eine be­vor­zug­te Bearbeitung, unbürokratisch und schnell, wurde zugesichert.

Jetzt flattern Kollegen die ersten Bescheide ins Haus, andere warten noch auf Rück­meldung. Die Ämter scheinen weder auf den Ansturm vorbereitet, noch eine wei­tere Schulung erhalten zu haben. So würden weiterhin die Vermögens­werte von Le­bens­ge­fähr­ten und WG-Mitbewoh­nern abgefragt. Nun ist das WG-Leben heute nicht mehr auf Studenten beschränkt, sodass sich im Kreise der lieben Mit­be­woh­ner natürlich Men­schen finden, die über Vermögen verfügen … und sei es das Cello des Berufsmu­sikers oder die Skizze aus der Hand eines Impressionisten, von der Oma geerbt. Vermögenswerte seien zunächst zu liquidieren, darauf das Amt.

Die Süddeutsche hat dazu gestern einen Artikel veröffentlicht, in "Frust, Wut und Fas­sungs­losigkeit" beschreibt Till Briegleb die Lage. Der Stern zieht heute nach: Kein Geld, keine Hoffnung: Die Kultur wird in der Corona-Krise schamlos im Stich gelassen von Tim Sohr.

Ökonomisch betrachtet ist vermutlich das Einschalten des Jobcenters viel teurer als es eine ECHTE Soforthilfe wäre. Und wir alle zusammengenommen, Musik, Film, Theater, Kon­fe­renz- und Konzertwesen, freie Lehre, Kulturvermittler in Museum, Städten, Frei­zeit­ein­rich­tungen sowie Print (Foto, Text, Grafik) sind ein Sek­tor mit Mil­liar­den­um­sät­zen. Das, was wir "produzieren", hilft übrigens nahezu allen Menschen der­zeit, durch die Zeit des Shutdown zu kommen.

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Foto: C.E.

Mittwoch, 15. April 2020

COVIDiary (36)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich vom Büro aus, das brachliegt (mehr dazu hier). Das Coronavirus macht aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher pri­vate COVIDiary. 

Die Zahl der Kriegsgewinnler steigt. Und denen wünsche ich alles Mögliche an den Hals, nur nicht das Virus. Ich wünsche ihnen vor allem Erkenntnis.

Home office may seriously harm your office plants. Homeoffice kann Ihre Büropflanzen ernsthaft schädigen.
Gesehen in Kreuzberg
  Dolmetschagentur S. aus H. lässt sich im Internet feiern. Während der Corona-Kri­se bietet die Agentur nämlich ihren Te­le­fon­dolmetschservice für Krankenhäuser bun­des­weit kostenlos an. Schon seit ei­ni­gen Jahren verkauft die Firma diese Dienst­leis­tung, ab jetzt und bis zu Mo­nats­en­de arbeiten alle gratis. Begründung der Fir­men­in­ha­be­rin: „Das Kran­ken­haus­perso­nal leistet für unsere Gesellschaft eine großartige Arbeit. (...) Ich möchte deshalb gern etwas zurückgeben.“ Und es folgt eine Bereitschaftsnummer.

Im Angebot sind zehn Sprachen; weltweit stünden 150 Sprachprofis hinter der Fir­ma; die Wartezeit betrüge 15 Minuten.

Für mich ist das ein Ärgernis. Was hier wie eine Geste der Wohltätigkeit da­her­kommt, nimmt anderen das Brot. Ich frage nach. Von welchem Einkommen sie lebe, will ich wissen. Antwort: „Wir als Agentur leben nicht nur vom Te­le­fon­dol­met­schen und wenn wir in der jetzigen Situation etwas ‚zurück geben’ können, dann tun wir das sehr gerne.“ (Schreibweise wie im Original.)

Ich hake nach, frage: „Und was ist jetzt, wenn dadurch freie Dolmetscherinnen und Dolmetscher weniger bezahlte Aufträge bekommen?“ Antwort: „Die Dol­met­scher/in­nen und wir sitzen im selben Boot und helfen gerne.“ Ich wiederhole: „Und wovon zahlen die ihre laufenden Kosten?“ Da mischt sich eine andere Person ein und schreibt: „Könnt ihr besser macht es besser, Menschen haben immer was zu meckern, auch wenn der Gott vor euch steht! Macht man was gutes - schlecht, macht man was schlechtes - schlecht Leben und leben lassen!“ (Schreibweise wie im Original.)

Auf Wand: WE ARE ONE
Alles kommt irgendwann zurück, so oder so
Darauf ich: „Das Wort Solidarität muss großgeschrieben werden und bei allem, was ich mache, muss ich auch an meine Kolleginnen und Kollegen denken. An den Nachbarn, der auch sein Essen kaufen muss.“ Die Unternehmerin spricht am En­de ihr Machtwort: „Wir tun etwas Gutes, das darf gern befürwortet werden oder gar nicht kommentiert werden.“

Nein, Berufsausübung ist per se kein phi­lan­thropes Werk, wir haben studiert und arbeiten, um uns zu finanzieren. Dol­metsch­diens­te im KH werden üb­li­cher­wei­se bezahlt. Ärzte arbeiten derzeit auch nicht kostenlos, nur weil eine Pan­de­mie gras­siert.

Schlimmer noch, mit ihrer Arbeit in unmittelbarer Nähe zum Virus gehen sie große Gefahren ein. 25 bis 30 Prozent der unmittelbar am Patienten Tätigen steckt sich an. Die Liste des gestorbenen medizinischen Personals ist lang.

Sich hier mit ihnen auf eine Stufe stellen zu wollen — sie geben etwas, wir geben zurück — , ist perfide.

Die Unternehmerin kalkuliert so: Wenn ich hier jetzt gratis arbeite, haben bald alle meine Rufnummer gespeichert, auch dann, wenn die Gratiszeit vorüber ist. Ich kann damit meinen Unternehmensgewinn steigern und bekomme Gratis­wer­bung, weil alle Zeitungen berichten.

Wie kann es sein, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher gratis für sie ar­beiten? Bei Agenturen ist außer Projektmanagern, Buchhaltung und Chefs in der Regel niemand festangestellt. Oder wird hier etwa Soforthilfe­geld für Un­ter­ne­hmen ver­wen­det, um in unlauteren Wettbewerb einzutreten? Traurig. Wie im Krieg muss ich mir jetzt merken, wer sich in der Krise wie verhalten hat.


P.S.: Ich gebe derzeit einer Schülerin mit Migrationshintergrund per Bildtelefonie Nachhilfe, ehrenamtlich, ihre Eltern hätten ohnehin nicht genug Geld, um mich zu bezahlen. Ich engagiere mich, um etwas an die Gesellschaft zurückgeben. Ach, der Ausdruck wirkt verbrannt nach dieser Erfahrung.
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Fotos: C.E.

Dienstag, 14. April 2020

COVIDiary (35)

Willkommen auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem In­ne­ren der Dol­metscher­kabine. Gerade schreibe ich coro­na­bedingt vom Büro aus.

Der Regenwald schrumpft, in Ost­europa fällt der letzte Urwald dem Holzhandel zum Opfer, wildlebenden Tierarten werden die natürlichen Lebens­räume ge­nom­men, unsere Lebens­weise zer­stört die Meere (Mikro­plastik, Öl, Schrott), die Böden (Verarmung der mikrobiel­len Vielfalt, Über­düngung, Ergebnis: Erosion), Bin­nen­ge­wäs­ser kippen, weil überdüngt (Folge des Vor­stehenden). Kurz: Wir stecken mitten im sechsten Arten­sterben auf dem Globus. Das Arten­sterben geht so rasant vor sich wie nie zuvor in der 4,5 Milliarden Jahre langen Erd­ge­schichte. So sieht der An­thro­pozän aus, das von Menschen dominierte Zeitalter.

Die Jagd auf seltene Tiere, intensive Tierzucht sowie die industrialisierte Land­wirt­schaft schaffen ideale Bedingungen für das Entstehen von Pandemien. Das hat die englische Primaten­forscherin und Umweltakti­vistin Jane Goodall zu Protokoll gegeben: "Unsere Miss­achtung der Natur und unsere Respekt­losigkeit gegenüber den Tieren haben die Pandemie verursacht."

Der Sender n-tv berichtet über ihre Stellung­nahme zur Lage. Wenn wilde Tiere auf immer engerem Raum zusammen­leben müssen, springen Krank­heiten leichter von Tier zu Tier und von Art zu Art, Muta­tionen werden häufiger, das Über­springen auch auf den Homo Sapiens Sapiens ist nur eine Frage der Zeit. Das Coronavirus wird kein Einzel­fall bleiben.

Gleichzeitig appellierte die 86-Jäh­rige, mit der Umwelt scho­nender um­zugehen, was jede(r) einzelne leisten könne. Den Westen sieht sie in der Pflicht, die Le­bens­grund­la­gen in anderen Ländern nicht zu zerstören, sondern die Menschen dort in der Schaffung einer nach­haltigen Wirtschaft zu unter­stützen. So seien viele Men­schen in Afrika derzeit auf Wild­tier­verkauf angewiesen, um ihren Un­ter­hal­t zu verdienen.

Sie hoffe, dass diese Krise eine Chance dafür sei, dass "mehr Men­schen auf­wachen und endlich darüber nach­denken, wie sie ihr Leben anders leben können."

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Link statt Foto:
Jane Goodall Institut Deutschland

Montag, 13. April 2020

COVIDiary (34)

Bon­jour und herz­lich will­kom­men auf den Sei­ten des di­gi­­ta­len Ta­ge­­buchs ei­ner Fran­zö­­sisch­­dol­­met­scherin und -übersetzerin. Ich habe als Über­setzerin Ka­pa­zi­tä­ten frei, die Konfe­renz­sai­son ist abgesagt. Die Umstände machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher private COVIDiary.

Netzfund: Schrödingers Frei­be­rufler.
Vor dem Corona­ausbruch: "Ach, Du bist so ein Voll­profi, das kannst Du mir doch eben mal kurz machen, das wird doch nicht so viel kosten!"
Nach dem Corona­ausbruch: "Wie, Du hast keine Rück­lagen für acht Monate? Sogar acht Wochen sind kritisch? Hast wohl den Beruf verfehlt, wie?"

Hinter dem Begriff "Schrödingers Katze“ verbirgt sich ein quanten­physisches Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment. Da mein physikalisches Grundwissen nicht sehr groß ist, hier nur die grobe Versuchs­anordnung: Eine Katze wird in eine nicht einsehbare Kiste gesperrt und dort bestimmten physika­lischen Prozessen unterworfen, die sie mit 50-prozentiger Wahrschein­lichkeit töten. Solange niemand in die Kiste schauen kann und die Katze still ist, ist auch nicht bekannt, ob sie lebt oder tot ist.

Vier Katzen, die gestaffelt hintereinanderstehen. Die Figuren überschneiden sich, aus manchem Hinterpfotenpaar wird ein Vorderpfotenpaar.
Küchenleinen als Wandschmuck, hier habe ich zählen gelernt
Die Frage nach dem Zustand des Haustigers — lebt er oder lebt er nicht — gilt als Analogie zur Frage nach dem quan­ten­me­cha­nischen Zustand eines Systems, so­lan­ge niemand nach­ge­messen hat. Logische Antwort auf die paradoxe Situation: Die Katze ist sowohl lebendig als auch tot.

So, weg von der Bequem­lich­keits­zone, raus an die Luft. Nach einem fast som­mer­lichen Sonntag ist es heute frisch, ein kalter Wind weht. Am Ufer sind wir Ge­wohn­­heits­läufer wieder unter uns, den Mucki­bu­den­ge­le­gen­heits­­jog­gern, die aus der Pis­te in letzter Zeit eine Mas­sen­sla­lom­strecke gemacht haben, ist es zu kalt. Der Him­mel ist hell, das Kon­zert der gefiederten Mitbe­wohner der Stadt unfassbar laut.

Zweibeinige Katze, Kreidezeichnung auf Asphalt
Asphaltkatze
Die Stadt schlum­mert ihren Shut­down-Schlaf. Ich renne an einigen Gotteshäusern vorbei. Ostern und Pessach über­schnei­den sich wieder einmal. Heute ist Feier­tag und es ist kein Feier­tag, die Kir­che und Synagoge sind geschlos­sen. Kein Chor­ge­sang hinter dicken Steinmauern, keine Me­lo­die­läufe, die beim Öffnen dicker Türen unvermittelt nach drau­ßen dringen. Was in den Gebäu­den statt­findet, wird maxi­mal ge­streamt. Schrö­dingers Gottes­dienste. Und die den Kanal ent­lang­flie­genden Schwä­ne klingen wie 'ne rostige Gieß­kanne.

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Illustrationen: eigener Hausrat; Lou

Sonntag, 12. April 2020

COVIDiary (33)

Hello, bon­jour und gu­ten Tag! Hier be­rich­te ich aus mei­nem Berufsleben als frei­be­ruf­liche Konferenzdolmetscherin. Im eigenen Büro plane ich Termine, lerne, bewahre Arbeitsmaterial und meine vier Regalmeter Wörterbücher auf, sehr bald soll es dort auch eine Sprecherkabine für digitale Einsätze geben. Das Coronavirus hat auch mir eine Zwangs­pau­se ver­ord­net, mehr dazu letzten Mittwoch. Es ver­än­dert mehr als die Arbeitswelt. 

Immer derselbe Balkon: Grüße aus dem Osterurlaub / Pfingsturlaub / Sommerurlaub / Herbsturlaub
One image fits all
Ei­ni­ge Welt­­re­­li­­gio­nen sollen die Verschie­bung der ho­hen Feiertage er­wo­gen ha­ben, die Frage war aller­dings, auf wann. 

Die Auszeit in der Auszeit ohne Auszeit von der Auszeit ist eine besondere Er­fah­rung. Auch der ganz große Break wird die­ses Jahr an­ders begangen werden; den Europäern wur­de gerade empfohlen, keine Som­mer­rei­sen zu pla­nen.

Englische Entsprechungen für "Balkonien" wurden schon nach 2008, der letzten großen Krise, erfunden: staycation (AE, 'stay-at-home-vacation') oder ho­lis­tay (BE, holiday und stay zusammengefasst. Auf Fran­zö­sisch haben mich die Fe­rien in Balkonstadt, va­can­ces à Balconville, überzeugt.

Eine Kollegin hat das ergänzt: Ja, es gibt auf Fran­zö­sisch la bal­co­nie, daher las­sen sich dort auch Fe­rien ver­brin­gen, passer ses va­can­ces en bal­conie, oder auf Sa­fa­ri­tour ge­hen, sa­fari en bal­conie. Die ein­fa­che­re Va­rian­te ist das "Bal­kon­land", sé­jour­ner au pays du balcon.

Und beim Satz: "Die Kommissionspräsidentin rät ab jetzt Ur­laubs­rei­sen zu bu­chen" ist mal wie­der schön zu erkennen, wie wichtig so ein Komma ist (und die Stelle, an der es steht).

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Illustration: C.E. (Archivfoto)

Samstag, 11. April 2020

COVIDiary (32)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus der Dol­metscherkabine, aktuell coronabedingt aus dem Büro. Der Blog aus dem Be­rufsall­tag wurde zum COVIDiary, und da sehen wir auch schon mal dort hin, wo sonst niemand hinsieht. Links der Woche!

Gesehen in Neukölln
Wollmäuse treffen sich unter der Kom­mode zur Klassenfahrt. Auf Englisch hei­ßen die Teile übrigens dust bunnies. Passt zur Ja­hre­szeit. Ich muss dringend aktiv werden gegen die kleine Stören­friede. Wegen Co­ro­na bekomme ich keine Staub­sau­gerbeutel nach, der Nachschub fehlt, putze also à l'ancienne, auf die her­kömm­liche Art und Weise: Staubwedel, Staub­pinsel, Staub­tuch, Be­sen, Handfeger und Kehr­schippe aus Blech. Nur eine Teppich­klopf­stange fehlt im Hof (und einen Tep­pich­­klop­fer hab ich auch nie be­ses­sen).

Die Anberaumung des oben beschriebenen Meetings habe ich übrigens nicht mit­be­kom­men. Ich habe gelesen.

Ich schnappe mir dieser Tage immer die Unterlagen der Konferenzen, die genau vor einem Jahr dran waren. Es tut meinem Kopf gut, Bekann­tes zu lesen, aber auch Unbekanntes oder schlicht Verges­senes zu lesen. Dass ich immer akribisch die Dokumente, Re­den, Powerpoints zu erhalten versuche bei Konferenzen, zahlt sich aus.

Für die Behaltenskurve ist es gut. Nach der Konferenz ist vor der Konferenz.

Meine Bürsten habe ich vom Bürstenhaus Redecker, die in Berlin in diversen Kauf­häusern und im gut sortierten Einzel­handel gelistet sind. Auch schön: Bürs­ten­ma­cherei Reinke aus dem Schwarz­wald.

Von dust bunnies, Staubhasen, zum Mund­schutz: Frohe Ostern!

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Foto: C.E.

Donnerstag, 9. April 2020

COVIDiary (30)

Hallo und gu­ten Tag auf mei­nen Blog­seiten. Ich ar­bei­te seit 2005 in Pa­ris und Berlin als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin, früher auch oft als Über­set­ze­rin. Für den Unterschied: siehe die Unter­zeile oben. Derzeit schreibe ich vom Büro aus. Der Coronavirus machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher private COVIDiary.  

"Strapaziergang?", fragt der nächste Mitmensch.
Ich so:
🙂😮😷😶
Der Rest des Tages war bislang wie alle an­de­ren Ta­ge. Ich muss mir was Neu­es ein­fal­len las­sen. Wo­bei, Lan­ge­wei­le hat auch was Schö­nes. Fördert die Kreativität.

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Illustration: Emoji

Mittwoch, 8. April 2020

COVIDiary (29)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich in­des vom Büro aus. Die Umstände machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher private COVIDiary.

Heute bin ich nach einer Unterbrechnung erst den zweiten Tag wieder im Büro. Für all das gibt es einen Grund: Coronavirus.

Corona muss sterben, damit wir leben können! (Sozi 36)
Öffentliche Feststellung
Einmal bezogen auf die Bran­che: Die Früh­lings­sai­son war vorbei, noch ehe sie richtig angefangen hatte, zu Beginn der Vor­saison: Voll­bremsung! Und einmal bezogen auf mich selbst: Je mehr über Symp­tome und Ver­lauf von Co­vid-19 zu lesen ist, desto mehr sehe ich die schwere aty­pische Grip­pe, die ich zu Jah­res­an­fang hatte, in einem an­de­ren Licht.

Dem kollektiven The hammer and the dance kann ich so meine persönliche Va­rian­te hinzufügen: Erst der Holzhammer auf den Kopf, jetzt übe ich einen merk­wür­digen Tanz mit meinen Ge­ne­sungs­fort­schritten: vor-vor, seit-seit, rück. Es dauert!

Ab den ersten Minuten im Büro bin ich mit Corona-Folgen konfrontiert. Aufträge: Null. Anfragen: Null. Laufendes Projekt eines Großkunden: ruht beim Amt (Bau­an­trag). Daher plane ich, in der Zwischenzeit das Büro weiterzurenovieren (womit ich im Dezember angefangen hatte), und ich kümmere mich um Fortbildung.

Außerdem kann ich das Projekt weiter­be­trei­ben, das ich schon letztes Jahr zaghaft an­ge­schoben habe: Den Bau einer Spre­cher­box, einer Dolmet­scher­ka­bi­ne in der Office-Ausführung, für die Betreu­ung von Kunden aus der Wirtschaft bei Kurz­ei­nsätzen sowie im juris­ti­schen und medi­zi­ni­schen Feld. Hier gibt es wohl noch Ar­beit.

Streat art plus Ergänzung
Das ist die konkrete An­pas­sung mei­nes Ar­beits­plat­zes an Corona. Die Folgen werden bei uns Dolmetschern länger dauern als bei der hü­te­her­stel­len­den Nach­barin. Die Modistin kann, wenn sie am Freitag hört, dass die Re­geln ge­lockert werden, am Sams­tag wie­der im La­den stehen. In den Wo­chen der Schlie­ßung hat sie au­ßer­dem an ihrer Kol­lek­tion wei­ter­ge­ar­beitet.

Wir können nicht nur nicht auf Vorrat dolmetschen, wir haben auch einen län­ge­ren Anlauf, den wir zudem nicht be­ein­flus­sen können. Nehmen wir mal an, dass ab dem 4. Mai wieder Kon­fe­ren­zen geplant werden würden, so hätten diese (wie in nor­ma­len Zeiten auch) einen Vorlauf von sechs bis zwölf Wochen und es ginge ab dem 15. Juni wieder los. Das wäre genau 14 Tage vor dem gewöhnlichen Saison­ende.

Bei längerem Vorlauf könnte die erste Septemberwoche zur ersten offiziellen Kon­fe­renz­wo­che des Jahres werden. Wenn ich den Me­di­zi­nern in meinem Umfeld glau­ben soll, wird das wahr­schein­lich nur von kur­zer Dauer sein oder sogar später statt­­fin­­den, denn ab dem Herbst rechnen die­se Fachleute mit der zwei­ten In­fek­tions­wel­le. Sie haben die Frage neulich diskutiert, Résumé: "Denkt bloß nicht dran, vor Ostern wie­der in der Dol­met­scher­ka­bine zu sitzen. Ostern 2021."
 
Letzte Woche wurde mein Antrag auf Sofort­hil­fe für Solo-Selb­stän­dige bewilligt. Das hilft mir, mein Büro auf­rechtzu­er­hal­ten und an die Krisenzeit anzupassen. Ich kann jetzt Kolleg­innen und Kollegen sowie den Techniker des letzten Einsatzes zahlen, meine "Lieferanten" für eine Konferenz, die auch noch nicht beglichen ist. Der Puffer ist klein, weil in meiner Kranken­zeit das Büro brachlag mit allen Kon­se­quen­zen.

Die Investitionsbank Berlin-Brandenburg hat mir zwar sowohl Landes- als auch  Bundes-Soforthil­fe­gel­der zugestanden und angewiesen, doch wurden bei mir (wie bei einigen anderen) diese Gelder jetzt gesperrt und prüft (EDIT: Die Überprüfung hat zehn Tage gedauert). Es muss viele miss­bräuch­li­che Anträge gegeben haben. Es war schon eine wun­derbare Erfahrung, dass das Wort "Soforthilfe" derart wörtlich ge­nom­men wurde und es in Berlin mustergültig schnell ging.

Indes, der angehaltene Zustand ist nicht witzig. Die Büroarbeit geht weiter, und mit meiner Rekonvaleszenz laviere ich mich gesundheitlich noch ziemlich durch den Alltag (sprich: kleiner Rückfall), so dass ich nicht jeden Tag am Schreib­tisch sitzen kann. (Die holprige Veröffentlichung meiner Tagebuchnotizen hier spricht Bände. Etliches ist geschrieben, aber unlektoriert.)

Werbung: Wir belohnen Ihre Treue in dieser schweren Zeit: 70 € Einkauf -> 1 Pckg Toilettenpapier gratis! 100 € Einkauf -> 1 Pkg (100 Stück) Handschuhe oder 1 Pkg Desinfiktionsmittel (200 ml) gratis!
Unsere Zeit: Schlechte Fiktion
Alternativen: null. Ich habe in letzter Zeit Stel­len­an­zei­gen durchwühlt. In meinen Bereichen gibt es aktuell nichts, die Be­stands­mit­ar­bei­ter dre­hen selbst schon vermehrt Däumchen.
Wenn ich das richtig mitgeschnitten habe, haben wir im Land Berlin bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem der Bund die Hilfen be­wil­ligt hat, unsere Anträge stellen kön­nen. Ich muss meine Screen­­shots prüfen, aber ich meine ge­le­sen zu haben, dass die Soforthilfe für Solo-Selbstständige und deren Be­triebs­kos­ten für den Zeit­raum eines Viertel- bis halben Jahres bestimmt war.
Inzwi­schen ist nur noch von drei Mona­ten die Rede, die Regeln wurden verändert. Wich­ti­ge Frage: Gilt das auch rückwirkend?

Drei Monate sind nicht mein Zeitraum, sechs und mehr Monate schon eher. Nor­ma­ler­wei­se verfüge ich über Rücklagen, aber zwei Krisenjahre in Folge hatten sie ab­schmel­­zen lassen: Im ersten Halbjahr 2018 waren die meisten po­li­ti­schen Kon­fe­ren­zen ausgefallen, da wir über Monate keine neu­ge­wähl­te Bun­des­regierung hat­ten; 2019 bestand das Frühjahr vor allem aus Brexit-Debatten, für mich als Fran­zö­sisch­­dol­­metscherin war wenig los.

2020 ist für Berliner Französisch­dolmetscher mit Politikschwerpunkt das 3. Kri­sen­früh­jahr in Folge. Da könnten wir doch mal ein wenig Wahr­schein­lich­keits­rech­nung betreiben: Wie wahrscheinlich ist so etwas? 

Ich denke und suche weiter. Passend dazu mein Linktipp: "Überleben als Über­set­zer", derzeit als kostenloses E-Book, von der geschätzten Kollegin Miriam Neid­hardt, hier: klick.

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Fotos: C.E. (aus Kreuzberg und Neukölln)

Dienstag, 7. April 2020

COVIDiary (28)

Ob geplant oder zufällig, Sie sind auf den Sei­ten des ers­ten Dol­met­scher­­blogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine gelandet. Die Umstände ma­chen aus meinem Blog aus dem Be­­rufsall­tag das eher private COVIDiary. Spoiler: Hier gibt es Privatmeinung zu lesen; etwas, das im Dolmetschalltag sonst tabu ist.

Schaufensterdeko aus dem Januar 2020
Das Schick­sal hat schlech­ten Ge­schmack und bö­sen Hu­mor noch oben­drein: Ges­tern wur­de der Pre­mier Groß­bri­tan­­niens, bis vor kurzem Leugner der Gefähr­lich­keit des Coronavirus, auf die Intensiv­station eines Londoner Kranken­hauses verlegt. Möge seine Gesundung voll­um­fäng­lich aus­fal­len! (... sich auch ge­sun­der Men­schen­ver­stand einstellen.)

Der Wunsch passt: Heute ist Welt­ge­sund­heits­tag. Auch unter diesem Aspekt be­fas­sen sich gerade viele Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher in­ten­­siv auf Online­­kon­fe­ren­zen mit Gegenwart und Zu­kunft un­se­res Berufs. (Ich schnupper' nur rein, freue mich auf die Zusam­men­fas­sungen.)

Das Thema Gegenwart ist schnell beschrieben: Außer für wenige fest­an­gestellte Dolmetscher gibt es der­zeit so gut wie keine Arbeit. Wer übersetzt, hat es noch etwas besser. Da aber die Wirt­schaft zunehmend zum Erliegen kommt, ebbt auch das ab.

Gestern hätten wir eigentlich für Privat­kunden aus der Wirtschaft eine drei­stün­di­ge Videokon­ferenz aus zwei im Hin­ter­raum eines Technik­an­­bieters aufgebauten Kon­fe­renz­­dol­­met­­scher­kabinen übertragen sollen. Wir wären die drei bzw. sechs Kilome­ter zu Fuß zur Arbeit gegangen (und zurück). Der Termin wurde auf un­be­kann­te Zeit ver­schoben.

Digitales Dolmetschen bieten die ersten Technik­firmen auch vom "Home Office" aus an. Also zumindest die Mög­lich­keit dazu, einen Namen hat das Kind auch schon, RSI, remote simultaneous interpreting. Die beste­hen­den Settings be­trach­ten wir Profis zum aktu­el­len Zeit­punkt ziemlich kritisch, weil die Arbeit ohne Ton­tech­­ni­ker stattfinden würde, die uns immer vor zu großen "Peaks" und damit vor Hör­­schä­den schützen.

Außerdem sind Fragen der Kol­le­­gen­­zu­­sam­­men­­ar­beit und der Stafet­ten­über­gabe an zwei verschiedenen Arbeits­orten noch nicht geklärt. Dolmet­schen ist hoch­an­stren­gen­de Teamarbeit, wir spre­chen im Wechsel bzw. recher­chieren bzw. notieren Zah­len, Daten und Namen. Der Vor­schlag, noch einen weiteren Kanal für einen Kol­le­gen­chat aufzuma­chen, könnte uns Multitas­ker, wir machen ja bereits Zwöl­fer­lei pa­ral­lel, über­fordern. (Hier zur Liste der Vorgänge: klick.)

Am Sonntag hatte ich mich überfordert mit un­se­rem Fuß­marsch über die Gren­zen von drei Be­zirken hinweg. Heute habe ich nochmal viel geschlafen und ein wenig im Gar­ten |gearbeitet| zu ar­beiten versucht.


Dinge, die wir nur sehen / hören / riechen, wenn wir einen Gang runterschalten:
— Eine ältere Nachbarin: "Berlin wirkt gerade wie in den 70ern. Da war auch alles stil­ler, weniger aufge­regt, weniger trendmäßig drauf. Au­ßer­dem war die Luft bes­ser." (Oha, bes­sere Luft? Viel­leicht im Sommer, garantiert aber nicht im Winter mit den alten Braunkohleöfen.)
— Bleiben wir in der Stadtnatur: Die deutsche Hauptstadt ist gerade ein Vo­gel­pa­ra­dies. So viel Gezwitscher wie der­zeit habe ich hier noch nie gehört.
— Bleiben wir bei der Akustik: Im Sommer werde ich 23 Jahre in unserer Miet­woh­nung leben, nie zuvor hatte ich die U-Bahn zwischen Kottbusser Damm und Gör­lit­zer Park gehört. Nie, wirklich nie. Jetzt ist die Stadt so ruhig, dass ich diese (hier) Hochbahn re­gel­mä­ßig höre. Bei geöffneter Balkontür. Es ist mild.
— Sprüche von Eltern wie diesen: "Wenn es in Berlin einen In­ter­nat­kin­dergarten gäbe, würde ich das Gör dort gerne abgeben."
— Fotos von Kindern, die die Haare geschnitten bekommen. Mmnnaja, geht so. Sieht ja keiner.
— Düfte im Raum sowie Aromen im Essen verbessern die Laune, zum Beispiel La­ven­del- oder Rosenöl, oder aber Zimt, Safran und Minze. Jetzt denke ich an Milch­reis mit Apfelkompott und Zimt, ein Kranken- und Kinderessen.

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Foto: C.E., die Komik erhielt das Bild
erst später. Klassischer Fall von Kontext.

Montag, 6. April 2020

COVIDiary (27)

Herzlich willkommen auf meinen Blogseiten. Ich schreibe hier im 13. Jahr mein digitales Arbeitstagebuch aus der Perspektive einer Dol­met­scherin und Über­set­zerin. In diesen Zeiten allerdings ruht das Büro mehr oder weniger, denn es finden kaum noch ver­dol­metsch­te Konfe­renzen statt. Die Umstände machen aus meinem Blog das eher private COVIDiary.

Im Jahr 2020 hat das Wort „frühlingshaft“ einen Beigeschmack von Wahrheit, al­ler­dings als Nomen: Die Frühlingshaft. (Kleine Hom­mage an Karl Kraus: Das Wort Fa­­mi­­lien­­ban­de hat einen Beige­schmack von Wahrheit.) Ein Land im Lager­kol­ler.

Dabei geht es uns in Deutsch­land noch sehr gut. Die einen Fran­zo­sen dürfen nur kurz raus zur Arbeit, die anderen zum Joggen und alle, um im Umkreis von einem Kilometer Waren des täglichen Bedarfs zu besorgen. Verglichen mit den stres­si­gen Ar­beits­ta­gen in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen, in den Bereichen Lo­gis­tik, Sau­ber­keit, Ver- und Entsorgung sind die Kontakt- und Be­we­gungs­ein­schrän­­kun­­gen von uns Men­schen im Heim­büro 'ne Lappalie.

Mein Sonntagsbild gestern war wenig spek­ta­ku­lär. Ich hole das nach. Hier:

Auf der Eisenbahnbrücke des früheren Görlitzer Bahnhofs
Das Bild wurde in der Luft über Treptow und Kreuz­berg aufgenommen. Dabei war das Wasser zum Besof­fen­wer­den blau, allein durchs Hinschauen. Die jungen Leute sehen aus, als würden sie auf eine Kino­vor­führung warten. Open Air-Kinos in Form von Autokinos haben gerade enorm Zulauf, aber das hier war keins.

Obwohl da gleich noch zweite "Stuhlreihe" in diesem Theater stand:

Die erwähnte Brücke als Schatten, Blick Richtung Treptow

Überall sind weiter­hin maximal zwei Personen zu sehen (abgesehen von Familien mit Kindern). Weiter hinten, im "Görli", spielen eine Handvoll Kinder Fuß­ball. Noch vor einer Woche war das im Park verboten. Das Fußball­feld ist weiterhin ge­schlos­sen, die Kicker nutzen die grüne Wiese. Jetzt lassen alle es geschehen, sogar die vorbeifahrende Polizei. Es ist immerhin immun­stärkende Bewegung. So wie unser großer Gang. Hat sich (bis auf das Passan­ten­slalom) fast wie ein normaler Tag an­ge­fühlt.

Was mir am Wochenende gefehlt hat: Am Samstag nach dem Ein­kau­fen beim Kaf­fee­rös­ter "Five Elephant" sitzen bei Kaffee, Zeitung, dem in­ter­na­tio­na­len Stim­men­ge­wirr lau­schen und den besten New Yorker Cheese Cake der Stadt verkosten, dann am Abend die Geburtstags­party einer Freundin; am Sonntag Flohmarkt (durchs Auf­räumen hät­te ich genug für einen eigenen Stand), abends Kino.

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Fotos: C.E.

Sonntag, 5. April 2020

COVIDiary (26)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich in­des vom Büro aus. Durch den Coronavirus ist alles im Umbruch. Die Umstände machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher private COVIDiary.

Digitale Fenster öffnen sich vor meinen Augen, drei an der Zahl, dann kommt eine warme, schöne Offstimme und preist an: "Verschiedene Variationen Ihres Lebens, klicken Sie an, welche Sie fort­setzen möchten!" — Kichernd wache ich auf. Jetzt mal im Ernst, wer so träumt, sollte sich weniger im Internet aufhalten.  Und die fucking Seuche kam in dem Traum auch vor.

Huch, das böse f-word! Hab ich das wirklich geschrieben? Wir Dolmet­scherinnen verwenden sowas nämlich eher nicht, es sei denn, wir haben Erfah­rung und spre­chen si­multan einen Film ein. Gut, aber dieser Blog ist ja während der Epidemie gar kein Arbeits­tagebuch mehr.

Den Gedanken kennen derzeit alle morgens beim Auf­wachen: Und wenn das Ganze nur ein Traum gewesen wäre? Pah, Seuche, weltweit, Schulen werden geschlossen, die Polizei überwacht, dass niemand mehr in die Bibliothek geht! Das ist doch ein mieser Plot, schlechter Thriller! Und dann passiert sowas wie da oben: Wir tau­chen aus der Traum­ebene mit ihren wunderbaren Wahloptionen jeden Morgen wie­der auf in diese Ebene mit deutlich eingeschränkten Mög­lich­keiten. Und es ist wahr und die Aus­nah­me­situation bestimmt unser Leben.

Hoch die Hände, Wochenende! Weg mit den Pfoten von Tastatur und Schreib­ar­beit, die mich ohnehin nicht stark gefordert hatten. Jetzt genieße ich sogar die entspannten Tage. Ich weiß, dass dies der schiere Luxus ist. Noch immer bin ich ziemlich schlapp von der Krankheit, die ich im Januar hat­te, Covid hin, Influenza her. Anstatt die große Einkaufs­runde gehe ich am Samstag nur auf den Markt in frischer Luft. Dort spiele ich ganz aus der Ferne mit einer Zwei­jäh­ri­gen beim War­ten ein wenig Fußball. Frisches Obst, Gemüse, zuhause Tee, weiter et­was sor­tie­ren, lesen, Fotos zuordnen, Mittagsschlaf nach dem Essen, Spa­zier­gang, dann vom Spaziergang erholen, so in der Art.

Der Görlitzer Park, der ja in den Medien als verdreckter Drogenumschlagplatz ver­schrie­en ist, fällt derzeit durch Sauberkeit auf. Aufräum­arbeiten sind im üblichen Turnus erfolgt, nur hält die Sache derzeit länger vor. Zwei Drittel der sons­ti­gen Passan­ten sind zu Hause, trotz der Sonne. Frische zwölf Grad sind ein Argument. Sogar die Dealer halten den geforderten Abstand von an­derthalb bis zwei Metern ein und, das ist neu, man wird nicht mehr an­ge­spro­chen. Von Aerosolen haben die auch schon gehört.

Heute ähnlich. Ab morgen werde ich wieder täglich ein wenig im Büro arbeiten, auch wenn es derzeit keine Aufträge gibt. Dort ist genug liegengeblieben, die Zeit wird mir nicht lang werden.

Nebenbei bemerkt: Die Häu­fig­keit, mit der ein Auto unten vor­bei­fährt, ist zu man­cher Stunde auf eines pro Dreißig­mi­nu­ten­tran­che ge­sun­ken. Die Luft ist eines Luftkurorts würdig.

Allein oder zu zweit, ganz nach Vorschrift
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Foto: C.E.