Donnerstag, 16. April 2020

COVIDiary (37)

Herzlich willkommen auf meinen Blogseiten, dem digitalen Arbeitstagebuch aus der Perspektive einer Dol­met­scherin und Über­set­zerin. In diesen Zeiten allerdings ruht das Büro, das Virus macht aus meinem Blog das eher private COVIDiary.

Kein Coronavirus
Die Kunst- und Kulturszene, zu der wir Dolmetscher zäh­len, ist weiterhin tief irritiert bis betroffen von den Regeln der "Rettungsfonds" für die Solo-Selbständigen. Ge­wer­be­mie­te, Lea­sing­ver­trä­ge, Kre­dit­ra­ten seien da­von zu be­glei­chen, sonst nichts. Über­setzt heißt das: Nicht die So­lo-Selb­stän­di­gen wer­den ge­ret­tet, son­dern ih­re Zah­lungs­fä­hig­keit ge­gen­über Ban­ken.

Die Regelungen des Bundes gehen an der Lebenswirklichkeit vieler vorbei, die ir­gend­wo ein Büro untermieten, bewusst ohne Kredite leben, weil sie von den kurz­fris­ti­gen Un­bil­len des Alltags wissen, trotzdem auf separaten Quadrat­metern für den nächsten Auftritt üben müssen oder in einem getrennten Zimmer der Wohnung malen, weil trocknende Ölfarben sich nun mal nicht für den Wohnbereich eignen.

Auch Dolmetscher haben in der Regel keine hohen Grund­kosten. In der Summe und auf ein halbes Jahr gerech­net dann aber leider doch. Darüber hinaus brauchen wir alle Geld für die private Lebensführung. Was nützt es den erhal­tenen Ateliers, Werk­stätten, Büros, die zwar frisch geweißelt worden sind in der auftragsfreien Zeit, wenn aber der- oder diejenige, die hier aber normalerweise arbeitet, nicht mehr da ist?

Ja, wir schnallen alle den Gürtel enger, helfen über Kreuz, die Familien zeigen sich solidarisch, wo sie können, das ist gut. Aber das geht nicht über Wochen, Mo­nate gut.

Wir fühlen uns wie Berufstätige zweiter, nein, sogar dritter, vierter Klasse. Wie ist die Fortzahlung bei Beamten geregelt? Darüber habe ich noch nichts gelesen. Fest­an­gestellte bekommen (wohl zu wenig) Kurzarbeitergeld; haben sie einen gro­ßen Arbeitgeber, profitieren sie vielleicht von den Milliardenförderung, die einigen Großunternehmen zuteil wird, diese sollen auch den Differenzbetrag zu 100 Pro­zent aufstocken, gut. Hier wird Bedarf gesehen.

Künstler brauchen den Politikern zufolge wohl nichts zum Leben außer Luft und Liebe. Das ist der arme Poet in seiner Kammer unter dem undichten Dach, der nicht essen muss, keine Energie braucht um zu heizen, ein Plumeau reicht doch aus, frei nach Spitzweg. Je härter dran am Exitus, desto kreativer. Deutschland 2020, meinst Du das wirklich?

Die Selbständigen werden nun aufgefordert, Hartz IV zu beantragen. Eine be­vor­zug­te Bearbeitung, unbürokratisch und schnell, wurde zugesichert.

Jetzt flattern Kollegen die ersten Bescheide ins Haus, andere warten noch auf Rück­meldung. Die Ämter scheinen weder auf den Ansturm vorbereitet, noch eine wei­tere Schulung erhalten zu haben. So würden weiterhin die Vermögens­werte von Le­bens­ge­fähr­ten und WG-Mitbewoh­nern abgefragt. Nun ist das WG-Leben heute nicht mehr auf Studenten beschränkt, sodass sich im Kreise der lieben Mit­be­woh­ner natürlich Men­schen finden, die über Vermögen verfügen … und sei es das Cello des Berufsmu­sikers oder die Skizze aus der Hand eines Impressionisten, von der Oma geerbt. Vermögenswerte seien zunächst zu liquidieren, darauf das Amt.

Die Süddeutsche hat dazu gestern einen Artikel veröffentlicht, in "Frust, Wut und Fas­sungs­losigkeit" beschreibt Till Briegleb die Lage. Der Stern zieht heute nach: Kein Geld, keine Hoffnung: Die Kultur wird in der Corona-Krise schamlos im Stich gelassen von Tim Sohr.

Ökonomisch betrachtet ist vermutlich das Einschalten des Jobcenters viel teurer als es eine ECHTE Soforthilfe wäre. Und wir alle zusammengenommen, Musik, Film, Theater, Kon­fe­renz- und Konzertwesen, freie Lehre, Kulturvermittler in Museum, Städten, Frei­zeit­ein­rich­tungen sowie Print (Foto, Text, Grafik) sind ein Sek­tor mit Mil­liar­den­um­sät­zen. Das, was wir "produzieren", hilft übrigens nahezu allen Menschen der­zeit, durch die Zeit des Shutdown zu kommen.

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Foto: C.E.

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