Mittwoch, 8. April 2020

COVIDiary (29)

Bonjour, gu­ten Tag & hel­lo auf den Sei­ten des ers­ten deut­schen Dol­met­scher­blogs aus dem Inneren der Dol­metscherkabine. Derzeit schreibe ich in­des vom Büro aus. Die Umstände machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher private COVIDiary.

Heute bin ich nach einer Unterbrechnung erst den zweiten Tag wieder im Büro. Für all das gibt es einen Grund: Coronavirus.

Corona muss sterben, damit wir leben können! (Sozi 36)
Öffentliche Feststellung
Einmal bezogen auf die Bran­che: Die Früh­lings­sai­son war vorbei, noch ehe sie richtig angefangen hatte, zu Beginn der Vor­saison: Voll­bremsung! Und einmal bezogen auf mich selbst: Je mehr über Symp­tome und Ver­lauf von Co­vid-19 zu lesen ist, desto mehr sehe ich die schwere aty­pische Grip­pe, die ich zu Jah­res­an­fang hatte, in einem an­de­ren Licht.

Dem kollektiven The hammer and the dance kann ich so meine persönliche Va­rian­te hinzufügen: Erst der Holzhammer auf den Kopf, jetzt übe ich einen merk­wür­digen Tanz mit meinen Ge­ne­sungs­fort­schritten: vor-vor, seit-seit, rück. Es dauert!

Ab den ersten Minuten im Büro bin ich mit Corona-Folgen konfrontiert. Aufträge: Null. Anfragen: Null. Laufendes Projekt eines Großkunden: ruht beim Amt (Bau­an­trag). Daher plane ich, in der Zwischenzeit das Büro weiterzurenovieren (womit ich im Dezember angefangen hatte), und ich kümmere mich um Fortbildung.

Außerdem kann ich das Projekt weiter­be­trei­ben, das ich schon letztes Jahr zaghaft an­ge­schoben habe: Den Bau einer Spre­cher­box, einer Dolmet­scher­ka­bi­ne in der Office-Ausführung, für die Betreu­ung von Kunden aus der Wirtschaft bei Kurz­ei­nsätzen sowie im juris­ti­schen und medi­zi­ni­schen Feld. Hier gibt es wohl noch Ar­beit.

Streat art plus Ergänzung
Das ist die konkrete An­pas­sung mei­nes Ar­beits­plat­zes an Corona. Die Folgen werden bei uns Dolmetschern länger dauern als bei der hü­te­her­stel­len­den Nach­barin. Die Modistin kann, wenn sie am Freitag hört, dass die Re­geln ge­lockert werden, am Sams­tag wie­der im La­den stehen. In den Wo­chen der Schlie­ßung hat sie au­ßer­dem an ihrer Kol­lek­tion wei­ter­ge­ar­beitet.

Wir können nicht nur nicht auf Vorrat dolmetschen, wir haben auch einen län­ge­ren Anlauf, den wir zudem nicht be­ein­flus­sen können. Nehmen wir mal an, dass ab dem 4. Mai wieder Kon­fe­ren­zen geplant werden würden, so hätten diese (wie in nor­ma­len Zeiten auch) einen Vorlauf von sechs bis zwölf Wochen und es ginge ab dem 15. Juni wieder los. Das wäre genau 14 Tage vor dem gewöhnlichen Saison­ende.

Bei längerem Vorlauf könnte die erste Septemberwoche zur ersten offiziellen Kon­fe­renz­wo­che des Jahres werden. Wenn ich den Me­di­zi­nern in meinem Umfeld glau­ben soll, wird das wahr­schein­lich nur von kur­zer Dauer sein oder sogar später statt­­fin­­den, denn ab dem Herbst rechnen die­se Fachleute mit der zwei­ten In­fek­tions­wel­le. Sie haben die Frage neulich diskutiert, Résumé: "Denkt bloß nicht dran, vor Ostern wie­der in der Dol­met­scher­ka­bine zu sitzen. Ostern 2021."
 
Letzte Woche wurde mein Antrag auf Sofort­hil­fe für Solo-Selb­stän­dige bewilligt. Das hilft mir, mein Büro auf­rechtzu­er­hal­ten und an die Krisenzeit anzupassen. Ich kann jetzt Kolleg­innen und Kollegen sowie den Techniker des letzten Einsatzes zahlen, meine "Lieferanten" für eine Konferenz, die auch noch nicht beglichen ist. Der Puffer ist klein, weil in meiner Kranken­zeit das Büro brachlag mit allen Kon­se­quen­zen.

Die Investitionsbank Berlin-Brandenburg hat mir zwar sowohl Landes- als auch  Bundes-Soforthil­fe­gel­der zugestanden und angewiesen, doch wurden bei mir (wie bei einigen anderen) diese Gelder jetzt gesperrt und prüft (EDIT: Die Überprüfung hat zehn Tage gedauert). Es muss viele miss­bräuch­li­che Anträge gegeben haben. Es war schon eine wun­derbare Erfahrung, dass das Wort "Soforthilfe" derart wörtlich ge­nom­men wurde und es in Berlin mustergültig schnell ging.

Indes, der angehaltene Zustand ist nicht witzig. Die Büroarbeit geht weiter, und mit meiner Rekonvaleszenz laviere ich mich gesundheitlich noch ziemlich durch den Alltag (sprich: kleiner Rückfall), so dass ich nicht jeden Tag am Schreib­tisch sitzen kann. (Die holprige Veröffentlichung meiner Tagebuchnotizen hier spricht Bände. Etliches ist geschrieben, aber unlektoriert.)

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Unsere Zeit: Schlechte Fiktion
Alternativen: null. Ich habe in letzter Zeit Stel­len­an­zei­gen durchwühlt. In meinen Bereichen gibt es aktuell nichts, die Be­stands­mit­ar­bei­ter dre­hen selbst schon vermehrt Däumchen.
Wenn ich das richtig mitgeschnitten habe, haben wir im Land Berlin bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem der Bund die Hilfen be­wil­ligt hat, unsere Anträge stellen kön­nen. Ich muss meine Screen­­shots prüfen, aber ich meine ge­le­sen zu haben, dass die Soforthilfe für Solo-Selbstständige und deren Be­triebs­kos­ten für den Zeit­raum eines Viertel- bis halben Jahres bestimmt war.
Inzwi­schen ist nur noch von drei Mona­ten die Rede, die Regeln wurden verändert. Wich­ti­ge Frage: Gilt das auch rückwirkend?

Drei Monate sind nicht mein Zeitraum, sechs und mehr Monate schon eher. Nor­ma­ler­wei­se verfüge ich über Rücklagen, aber zwei Krisenjahre in Folge hatten sie ab­schmel­­zen lassen: Im ersten Halbjahr 2018 waren die meisten po­li­ti­schen Kon­fe­ren­zen ausgefallen, da wir über Monate keine neu­ge­wähl­te Bun­des­regierung hat­ten; 2019 bestand das Frühjahr vor allem aus Brexit-Debatten, für mich als Fran­zö­sisch­­dol­­metscherin war wenig los.

2020 ist für Berliner Französisch­dolmetscher mit Politikschwerpunkt das 3. Kri­sen­früh­jahr in Folge. Da könnten wir doch mal ein wenig Wahr­schein­lich­keits­rech­nung betreiben: Wie wahrscheinlich ist so etwas? 

Ich denke und suche weiter. Passend dazu mein Linktipp: "Überleben als Über­set­zer", derzeit als kostenloses E-Book, von der geschätzten Kollegin Miriam Neid­hardt, hier: klick.

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Fotos: C.E. (aus Kreuzberg und Neukölln)

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