Bonjour, guten Tag & hello auf den Seiten des ersten deutschen Dolmetscherblogs aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Derzeit schreibe ich vom Büro aus, das brachliegt (mehr dazu hier). Das Coronavirus macht aus meinem Blog aus dem Berufsalltag das eher private COVIDiary.
Die Zahl der Kriegsgewinnler steigt. Und denen wünsche ich alles Mögliche an den Hals, nur nicht das Virus. Ich wünsche ihnen vor allem Erkenntnis.
Gesehen in Kreuzberg |
Im Angebot sind zehn Sprachen; weltweit stünden 150 Sprachprofis hinter der Firma; die Wartezeit betrüge 15 Minuten.
Für mich ist das ein Ärgernis. Was hier wie eine Geste der Wohltätigkeit daherkommt, nimmt anderen das Brot. Ich frage nach. Von welchem Einkommen sie lebe, will ich wissen. Antwort: „Wir als Agentur leben nicht nur vom Telefondolmetschen und wenn wir in der jetzigen Situation etwas ‚zurück geben’ können, dann tun wir das sehr gerne.“ (Schreibweise wie im Original.)
Ich hake nach, frage: „Und was ist jetzt, wenn dadurch freie Dolmetscherinnen und Dolmetscher weniger bezahlte Aufträge bekommen?“ Antwort: „Die Dolmetscher/innen und wir sitzen im selben Boot und helfen gerne.“ Ich wiederhole: „Und wovon zahlen die ihre laufenden Kosten?“ Da mischt sich eine andere Person ein und schreibt: „Könnt ihr besser macht es besser, Menschen haben immer was zu meckern, auch wenn der Gott vor euch steht! Macht man was gutes - schlecht, macht man was schlechtes - schlecht Leben und leben lassen!“ (Schreibweise wie im Original.)
Alles kommt irgendwann zurück, so oder so |
Nein, Berufsausübung ist per se kein philanthropes Werk, wir haben studiert und arbeiten, um uns zu finanzieren. Dolmetschdienste im KH werden üblicherweise bezahlt. Ärzte arbeiten derzeit auch nicht kostenlos, nur weil eine Pandemie grassiert.
Schlimmer noch, mit ihrer Arbeit in unmittelbarer Nähe zum Virus gehen sie große Gefahren ein. 25 bis 30 Prozent der unmittelbar am Patienten Tätigen steckt sich an. Die Liste des gestorbenen medizinischen Personals ist lang.
Sich hier mit ihnen auf eine Stufe stellen zu wollen — sie geben etwas, wir geben zurück — , ist perfide.
Die Unternehmerin kalkuliert so: Wenn ich hier jetzt gratis arbeite, haben bald alle meine Rufnummer gespeichert, auch dann, wenn die Gratiszeit vorüber ist. Ich kann damit meinen Unternehmensgewinn steigern und bekomme Gratiswerbung, weil alle Zeitungen berichten.
Wie kann es sein, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher gratis für sie arbeiten? Bei Agenturen ist außer Projektmanagern, Buchhaltung und Chefs in der Regel niemand festangestellt. Oder wird hier etwa Soforthilfegeld für Unternehmen verwendet, um in unlauteren Wettbewerb einzutreten? Traurig. Wie im Krieg muss ich mir jetzt merken, wer sich in der Krise wie verhalten hat.
P.S.: Ich gebe derzeit einer Schülerin mit Migrationshintergrund per Bildtelefonie Nachhilfe, ehrenamtlich, ihre Eltern hätten ohnehin nicht genug Geld, um mich zu bezahlen. Ich engagiere mich, um etwas an die Gesellschaft zurückgeben. Ach, der Ausdruck wirkt verbrannt nach dieser Erfahrung.
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Fotos: C.E.
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