Dienstag, 7. April 2020

COVIDiary (28)

Ob geplant oder zufällig, Sie sind auf den Sei­ten des ers­ten Dol­met­scher­­blogs Deutsch­lands aus dem Inneren der Dol­metscherkabine gelandet. Die Umstände ma­chen aus meinem Blog aus dem Be­­rufsall­tag das eher private COVIDiary. Spoiler: Hier gibt es Privatmeinung zu lesen; etwas, das im Dolmetschalltag sonst tabu ist.

Schaufensterdeko aus dem Januar 2020
Das Schick­sal hat schlech­ten Ge­schmack und bö­sen Hu­mor noch oben­drein: Ges­tern wur­de der Pre­mier Groß­bri­tan­­niens, bis vor kurzem Leugner der Gefähr­lich­keit des Coronavirus, auf die Intensiv­station eines Londoner Kranken­hauses verlegt. Möge seine Gesundung voll­um­fäng­lich aus­fal­len! (... sich auch ge­sun­der Men­schen­ver­stand einstellen.)

Der Wunsch passt: Heute ist Welt­ge­sund­heits­tag. Auch unter diesem Aspekt be­fas­sen sich gerade viele Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher in­ten­­siv auf Online­­kon­fe­ren­zen mit Gegenwart und Zu­kunft un­se­res Berufs. (Ich schnupper' nur rein, freue mich auf die Zusam­men­fas­sungen.)

Das Thema Gegenwart ist schnell beschrieben: Außer für wenige fest­an­gestellte Dolmetscher gibt es der­zeit so gut wie keine Arbeit. Wer übersetzt, hat es noch etwas besser. Da aber die Wirt­schaft zunehmend zum Erliegen kommt, ebbt auch das ab.

Gestern hätten wir eigentlich für Privat­kunden aus der Wirtschaft eine drei­stün­di­ge Videokon­ferenz aus zwei im Hin­ter­raum eines Technik­an­­bieters aufgebauten Kon­fe­renz­­dol­­met­­scher­kabinen übertragen sollen. Wir wären die drei bzw. sechs Kilome­ter zu Fuß zur Arbeit gegangen (und zurück). Der Termin wurde auf un­be­kann­te Zeit ver­schoben.

Digitales Dolmetschen bieten die ersten Technik­firmen auch vom "Home Office" aus an. Also zumindest die Mög­lich­keit dazu, einen Namen hat das Kind auch schon, RSI, remote simultaneous interpreting. Die beste­hen­den Settings be­trach­ten wir Profis zum aktu­el­len Zeit­punkt ziemlich kritisch, weil die Arbeit ohne Ton­tech­­ni­ker stattfinden würde, die uns immer vor zu großen "Peaks" und damit vor Hör­­schä­den schützen.

Außerdem sind Fragen der Kol­le­­gen­­zu­­sam­­men­­ar­beit und der Stafet­ten­über­gabe an zwei verschiedenen Arbeits­orten noch nicht geklärt. Dolmet­schen ist hoch­an­stren­gen­de Teamarbeit, wir spre­chen im Wechsel bzw. recher­chieren bzw. notieren Zah­len, Daten und Namen. Der Vor­schlag, noch einen weiteren Kanal für einen Kol­le­gen­chat aufzuma­chen, könnte uns Multitas­ker, wir machen ja bereits Zwöl­fer­lei pa­ral­lel, über­fordern. (Hier zur Liste der Vorgänge: klick.)

Am Sonntag hatte ich mich überfordert mit un­se­rem Fuß­marsch über die Gren­zen von drei Be­zirken hinweg. Heute habe ich nochmal viel geschlafen und ein wenig im Gar­ten |gearbeitet| zu ar­beiten versucht.


Dinge, die wir nur sehen / hören / riechen, wenn wir einen Gang runterschalten:
— Eine ältere Nachbarin: "Berlin wirkt gerade wie in den 70ern. Da war auch alles stil­ler, weniger aufge­regt, weniger trendmäßig drauf. Au­ßer­dem war die Luft bes­ser." (Oha, bes­sere Luft? Viel­leicht im Sommer, garantiert aber nicht im Winter mit den alten Braunkohleöfen.)
— Bleiben wir in der Stadtnatur: Die deutsche Hauptstadt ist gerade ein Vo­gel­pa­ra­dies. So viel Gezwitscher wie der­zeit habe ich hier noch nie gehört.
— Bleiben wir bei der Akustik: Im Sommer werde ich 23 Jahre in unserer Miet­woh­nung leben, nie zuvor hatte ich die U-Bahn zwischen Kottbusser Damm und Gör­lit­zer Park gehört. Nie, wirklich nie. Jetzt ist die Stadt so ruhig, dass ich diese (hier) Hochbahn re­gel­mä­ßig höre. Bei geöffneter Balkontür. Es ist mild.
— Sprüche von Eltern wie diesen: "Wenn es in Berlin einen In­ter­nat­kin­dergarten gäbe, würde ich das Gör dort gerne abgeben."
— Fotos von Kindern, die die Haare geschnitten bekommen. Mmnnaja, geht so. Sieht ja keiner.
— Düfte im Raum sowie Aromen im Essen verbessern die Laune, zum Beispiel La­ven­del- oder Rosenöl, oder aber Zimt, Safran und Minze. Jetzt denke ich an Milch­reis mit Apfelkompott und Zimt, ein Kranken- und Kinderessen.

______________________________
Foto: C.E., die Komik erhielt das Bild
erst später. Klassischer Fall von Kontext.

Keine Kommentare: