Montag, 20. April 2020

COVIDiary (41)

Bon­jour, herz­lich will­kom­men auf den Sei­ten des di­gi­­ta­len Ta­ge­­buchs ei­ner Fran­zö­­sisch­­dol­­met­scherin und -übersetzerin aus Paris und Berlin. Als Über­setzerin habe ich Ka­pa­zi­tä­ten frei. Die Umstände machen aus meinem Blog aus dem Be­rufsall­tag das eher pri­va­te COVIDiary.

Spazierengehen in Neukölln: Wir sehen fast keine alten Menschen, das überrascht uns nicht. Denn das Virus ist für sie besonders gefährlich. Zu­dem werden die Sitz­mög­lich­kei­ten immer weniger.

Schild: "Bitte Bank nicht herunterklappen!"
Gesehen in der Hobrechstraße (Neukölln)
Et­li­che Bän­ke, ge­ra­de die­je­ni­gen, die Nac­hbarn in die Ein­fassung von Baumscheiben integriert hatten, wurden vom Amt ab­ge­baut. Bäu­me stehen wieder ohne Schutz da, zum Bei­spiel auf dem Kott­bus­ser Damm. Prompt liegen auf einer Baum­scheibe ein aus­ge­dien­ter Com­pu­ter­mo­nitor, mehrere Hun­de­häuf­chen, sind Tritt- und Rei­fen­spu­ren zu erkennen.

Mehr noch: Die Rinde ist auf der Höhe der Pedale verletzt; da hat wohl jemand sein Fahrrad etwas zu unvorsichtig wieder entparkt. In der Parallelstraße lagert auf und neben einem Straßenbaum jetzt neuerdings eine halbe Küche.

Wie wollen wir leben, wie den gemeinsamen Raum gestalten? Das fragen sich der­zeit viele, denn Zeit fürs Nachdenken ist ja plötzlich da. In Neukölln ist er noch nicht ausdiskutiert, auch wenn das Rathaus vor einiger Zeit Baum­schei­ben­zäun­chen, die Sitz­mög­lich­keiten anbieten, verboten hat.

Müllablagerung am Rand von Straßenbäumen
Ebenfalls in der Hobrechtraße
Insgesamt fehlen Parkbänke in der deutschen Hauptstadt. Auch vor den Cafés und Bars sind die Sitzgelegenheiten verschwunden, weg­ge­klappt, überklebt. Zum Glück brau­che ich sie nicht mehr, aber in den Wochen nach meiner üblen Virusgrippe waren Sitz­mög­lich­kei­ten sehr wich­tig. Ich ha­be mich damals von Bank zu Bank gehangelt und war froh um alles aus Holz.

Die Bänke von Bushäuschen sind oft aus Metall und mit Bügeln abgetrennt, um Ob­dach­lose zu verscheuchen. Ich finde das inhuman. Der Fokus der Ge­sell­schaft ist derzeit überwiegend auf die Gesunden, aufs Gesundbleiben gerichtet; an die Ge­ne­sen­den denkt kaum jemand. Dabei scheint das Gesund­werden jener, die es übel erwischt hat, zu dauern. Je größer diese Gruppe wird, desto mehr wird sich das mit der Aufmerksamkeit hoffentlich ändern. Und auch in Sachen Baum­zäunchen mit Sitzplatz ist in Neu­kölln hoffent­lich nicht das letzte Wort ge­spro­chen.

Treffen sich zwei Pessimisten in Coronazeiten. Zum Abschied sagt der eine: „Machen Sie's Beste draus!“ Darauf der andre: „Bleiben Sie bloß negativ!“

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Foto: C.E.

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