Mittwoch, 16. Januar 2019

Formelhaft

Bonjour, guten Tag, wel­come! Ges­tern Abend saß ich wie halb Eu­ro­pa vor dem Com­pu­ter und habe die De­bat­ten im bri­ti­schen Unter­haus live ver­folgt. Mir ist bang um unseren Kon­ti­nent — und die vorge­lagerte Insel. Dabei wur­de mir aber auch bewusst, wie formel­haft und dadurch auch merk­würdig vieles in unserem Alltag ist.

Ringe auf herzförmigem Porzellan
Licht und Schatten
Am Mor­gen da­nach die­se For­meln: "Die Stan­des­be­am­tin frag­te die Ehe­schlie­ßen­den, ob sich seit der An­mel­dung ih­rer Ehe­schlie­ßung Än­de­run­gen er­ge­ben ha­ben, die ih­re tat­säch­li­chen Ver­hält­nisse der Ehe­vor­aus­set­zun­gen be­tref­fen. Auf die Fra­ge des Stan­des­be­am­ten er­klär­ten die Ehe­schlie­ßen­den, dass kei­ne ent­spre­chen­den Än­de­run­gen ein­ge­tre­ten sind.

Alsdann fragte der Stan­des­be­amte die Ehe­schlie­ßen­den ein­zeln und nach­ein­an­der, ob sie die Ehe mit­ein­an­der ein­ge­hen woll­ten. Die Eheschlie­ßenden bejah­ten diese Fra­ge. Der Standes­be­am­te sprach aus, dass sie nun­mehr kraft Gesetzes recht­mäßig verbundene Ehe­leute seien."

Das war jetzt die Etappe "Ver­le­sung der Urkunde", die in der "Rin­ge­fir­ma", wie ei­ne lie­be Kol­le­gin den La­den nennt, auch zu dolmetschen ist.

Neulich war ich bei einer beson­deren Hochzeit zu Gast, da rief der zweitjüngste Hoch­zeits­gast, ein Anfänger in Sachen Selber­laufen, zwei Mal zu den abso­lut pas­sen­den Mo­men­ten: "Ja!" Das wird kei­ner von de­nen, die da­bei waren, je­mals ver­ges­sen!

Den zweit­hei­ters­ten Augenblick habe ich bei einer LGBT*-Hoch­zeit er­lebt: Bunt war es im Warte­­raum, hier die Fahne der schwul­les­bi­schen Be­wegung, dort bunte Haar­käm­me, aber auch Anzüge in ge­deckten Farben und bür­ger­liches Kos­tüm­chen samt Zuchtperlenkette, Hunde an der Leine, Kinder im Wagen waren dabei, also alle Schat­tierungen, die einem in Berlin so auf der Straße be­geg­nen können.

Schon vor der Hoch­zeit wurden die ersten Fla­schen mit bulles geköpft, das ist die­ses Ge­tränk mit Bläs­chen. Die Stim­mung stieg. Die Hochzeit davor dauerte etwas län­ger als geplant. Wir standen wenig später vor der Tür der (frühe­ren) Kapelle im Stan­des­amt Berlin-Ru­dow im Be­zirk Neu­kölln. Und nur ich wusste, welcher Art die Hoch­zeits­ge­sell­schaft war, die sich drinnen ver­sam­melt hat­te.

Um sicher zu sein, rechtzeitig an­zu­kom­men, war ich (wie üb­lich) mit Zeit­puffer dort ein­ge­lau­fen. Als ich den Raum betrat, war es im Warte­raum neben dem Trau­zim­mer sitt­sam ruhig gewesen: Alle schwarz ge­klei­det, wie bei einer Be­er­di­gung, sogar die kleinen Jungs im Anzug mit Fliege, nur die Braut blüten­weiß. Ich war die ein­zi­ge Frau im Raum ohne Kopf­tuch, drei Frau­en trugen sogar Schlei­er mit vergit­ter­tem "Augen­fenster".

Später dann die Ge­sichter, als die eine Hochzeits­ge­sell­schaft die Kapelle verließ und der anderen auf dem Vor­platz an der Trep­pe begegnet ist ... unbezahlbar.
Für solche Momente blogge ich hier.

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Foto: C.E. (Archiv)

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