Freitag, 11. Januar 2019

Fürs Talent bezahlen

Was Dol­met­scher und Über­setzer so er­le­ben kön­nen, be­schrei­be ich hier in loser Folge. Ich arbeite mit den Sprachen Deutsch, Französisch (Ausgangs- und Ziel­spra­che) und Engl­isch (nur Ausgangssprache) in Marseille, München, Cannes, Berlin, Paris und dort, wo meine Kunden mich brauchen.

Vor der Berlinale sind noch einige Filmstoffe zu übersetzen oder zu korrigieren. Untertitelt wird von uns freien Einzel­kämpfern nicht mehr, zumin­dest nicht in die deut­sche Sprache; die gut zwei Dutzend Wett­be­werbs­fil­me, die das einzige deut­sche A-Festival noch deutsch untertiteln lässt, schei­nen die gro­ßen Fir­men über­nom­men zu haben. Dafür haben der­zeit Eng­lisch­untertitler wie vor anderen großen Festivals auch Hochkonjunktur.

Aber in Deutschland sprechen ja schließlich inzwischen alle Shakepeares Spra­che, als hätte ihre Mutter ihnen dieses Idiom schon an der Wiege gesungen. Wie, ma­chen sie nicht? Dann sagen Sie das bitte mal Menschen wie dem aktuel­len Leiter der Ber­li­nale. Er scheint das nicht zu wissen.

Dolmetschkabinen Englisch und Deutsch
... am besten noch: 3 / Spanisch, 4 / Französisch ...
Zwischen­durch durf­te un­ser­einer doch kurz in Dol­met­scher­ka­binen springen, die in Kinos standen. Aber eben nicht in Berlin.

Ei­ne Prak­ti­kan­tin hat die eng­li­schen Un­ter­­ti­tel schon mal über­tra­gen, das war durch­aus hilf­reich, auch wenn sie den Film bes­ser zu­vor ge­se­hen hät­te. Denn so kam es na­tür­lich zu brillanten Miss­ver­ständ­nissen.

Es gab leider keine Zeit fürs Mar­kie­ren der lustigsten Stellen, nur einen fürs Pub­li­kum nicht hörbaren Screen­­shot habe ich noch ge­schafft.

Ich durfte diesen Film simultan aus dem Franzö­sischen ins Deutsche dol­metschen. Der Umweg über das Eng­li­sche und die Zu­ar­beit der Festival­prak­ti­kan­tin wa­ren denn­noch eine freundliche Unter­stützung, die of­fen­bar nötig wurde, weil sich das "Dol­met­schen vom Blatt weg" heute kaum einer mehr zutraut. Im Kino heißt diese Ar­beit übrigens verharm­losend "Filmeinsprechen". Das kann kaum noch jemand, wes­halb die Veranstalter von sich aus diese Vor­be­rei­tungs­ar­beit angeboten haben. Und es war auch besser bezahlt als früher.

A-Festivals mit vielen Filmen, die oft erst kurz vor der Premiere fertig werden, ha­ben jahr­zehn­te­lang Filme einspre­chen lassen. Das klingt so ein bisschen wie pol­ni­sches Fern­se­hen, wo eine Person alle Rollen spricht und der Original­ton ganz leise durch­scheint. (Sogar die Türkei ver­wen­det dazu zwei Sprecher, eine männ­liche und eine weib­liche Stimme.) Cannes hat diese Arbeit vor über zehn Jahren, die Ber­li­nale vor etwa fünf Jahren ab­ge­schafft. (Für genauere Zahlen müsste ich jetzt suchen. Das hier ist ein Blog, keine wissen­schaft­liche Abhandlung.)

Etliche Küns­tler fanden das Ein­sprechen sogar besser als Unter­titel. Ich erin­nere an den von mir verehrten Mau­rice Pialat, dessen Gesamtwerk ich vor einer kleinen Ewigkeit im Berliner Kino Arsenal ein­spre­chen durfte. Ein weiterer Einsatz­ort fürs "Einsprechen" ist die Festival­arbeit mit histo­rischen Filmen oder für ein länd­li­ches oder ost­deut­sches Publikum, das eine deut­schen Fassung verlangt. (Und auch be­kommt. You're only getting what you're asking for.)

Unten mein schneller Screenshot, per Pho­­to­shop ergänzt. In ecki­gen Klam­­mern die Rollen bzw. ein Sprechhinweis, in blauer Schreib­­schrift, wie ich es ge­sprochen ha­be.

Wir schalten nach Paris, neben der Basilika Sacré-Cœur sitzen auf ei­nem kleinen Platz viele Kunst­maler:
Sie zahlen nicht für die Zeit ... Sie bezahlen mich für mein Talent!
Der Filmtitel und die Namen der Urheber sind hier ausnahmsweise mal unwichtig
Das Talent bezahlen ... ich ergänze: die im Vorfeld erworbenen Sprach­kennt­nisse, Berufserfahrung und Routine sind zu be­zah­len, nicht die mit dem Auf­trag ver­brach­te Ar­beits­zeit. QED  CQFD  WZBW ...

Mehr über das Übersetzen von Un­ter­titeln für eine Live­dar­bie­tung hier: Ein­sprech­über­set­zung sowie etwas zur Frage, warum ein Poli­zist manchmal ein Wacht­meis­ter ist.

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Illustration: C.E.

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