Freitag, 25. Januar 2019

Drecksit

Was Französischüber­set­zer und -dol­metscher be­schäf­tigt, können Sie hier mit­le­sen, zumindest meine Perspektive, über die ich hier im 12. Jahr schreibe. Um­welt­fra­gen wie der Klimawandel sind für mich beruflich ein Thema, aber auch privat.

Politik ist oft genauso schmut­zig wie das Reisen. Fragt ein Kind in meinem Umfeld: "Was spre­chen die immer von Dreck­sit? Wer hat Dreck gemacht? Die Eng­länder? Müssen die auch allein auf­räu­men?"

Die Grenzen des Wachstums (The Limits to Growth), 1972
Klassiker und Aktualisierung
Heute früh kam eine Kollegin aus Köln an­ge­braust. Ihr Kunde hatte das Flug­ticket gebucht. Sie selbst wäre lieber Bahn ge­fah­ren, denn die Umwelt liegt ihr als Mut­ter am Herzen. Aber der Flug­schein plus zwei Taxifahrten zum/ab Flug­hafen waren güns­ti­ger, als die Deutsche Bahn für die Reise mit Bahn­card 50 be­rech­net hätte. Der freie Markt hatte falsche An­rei­ze ge­ge­ben.
Normalerweise buchen wir Dol­met­scher selbst. Trotz­dem erleben wir manch­mal ver­schnupfte Nach­fragen, wenn wir die (vermeint­lich zu teure) Bahn genommen haben. Wenn sich wie hier der Kunde um alles kümmert, was äußerst selten ist, wissen wir Dol­met­sche­rin­nen nicht, wie wir auf Kunden einwirken können.

Oder wenn ein Dreh in Frank­reich für vier Tage un­ter­brochen wird und das Film­team nach Hause fliegen muss, weil das bil­liger kommt als es mit Hotel und Ta­ges­spesen in Frank­reich zu versor­gen. Vor Jahren selbst erlebt im Rah­men einer Produk­tion im Auftrag für den deutschen Teil von Arte. Bit­tere Ironie: Der Film ging um ein Natur­thema.

Heute tagt die Koh­le­kom­mis­sion und berät über Ent­schä­di­gungs­zah­lungen für Ener­gie­un­ter­nehmen, die aus der Koh­le aus­steigen sollen. Ebenfalls heute hat in Davos Greta Thunberg, eine sech­zehn­jährige Schwedin, den Mäch­ti­gen ins Gewissen ge­re­det: "Unser Haus brennt!", sagte sie und: "Ich will, dass Sie in Panik geraten!" Heute schließen sich tausende deutsche Schü­ler ihrem "Schul­streik fürs Klima" an und demons­trieren für ihre Lebens­be­din­gun­gen. Sie sehen ein einfaches Problem und einfache Lösungen.

Kinder­mund: Ich denke an den "Kaput­ta­lismus" des welt­besten Patensohns. Es ging um Um­welt­gifte und dass für die Kosten alle auf­kom­men müssen. Er hat sich mit seinen Nicht-mal-zehn-Lenzen schreck­lich da­rü­ber aufgeregt. Es ist das Vor­recht der Jugend, radikal zu sein.

Lydia und Claude Bourguignon: Der Boden, die Erde und die Felder (Buchcover)
 Dieses Buch würde ich gerne übersetzen
Anderer Müll, Atom­müll, ist am letzten Ersten in den Eigen­tum der Ein­wohner der Bun­des­re­publik Deutsch­land übergegangen. Die Fir­men, die ihn produ­ziert haben, sind jetzt raus. Als ich Kind war, hatte man uns ju­gend­lichen Re­bel­len ge­sagt, dass man schon etwas finden werde, wenn es soweit sei mit dem Atom­müll, dass die Gefahren zu ver­nach­läs­sigen seien.

Nichts wurde seither gelöst. In man­chem Stol­len, den "Zwischen­lagern", verrotten mitt­ler­weile die Fässer; die Kosten für Sanie­rung und jahr­tau­sen­delange Ab­schot­tung der Lager­stätten hat lange niemand be­zif­fert. Wie wird es mit den anderen Folge­kosten von Ener­gie, ther­mi­scher Iso­lie­rung und Mo­bi­li­tät?

Die junge Schwe­din ist mit dem Zug in die Schweiz gereist. Hin- und Rück­fahrt dauern etwa 65 Stunden. Bei den nächsten Kun­den­ge­sprä­chen in Sachen Reise­mittel werde ich Greta erwähnen. Und den Men­schen am anderen Ende des Tele­fons nach seinen Kin­dern und Enkeln fra­gen.

Die Kol­legin bleibt über Nacht in Ber­lin und nimmt mor­gen den Zug. Ab dann re­den auch alle wie­der über den Bre­xit. (Ha­ben wir nicht schon genug Probleme? Mussten die Bri­ten unbedingt noch eins drauf­legen?)


Vokabelnotiz
to brexit — umständ­lich seinen Ab­schied an­kün­di­gen, aber nicht umsetzen
deutsche Ent­sprechung: seehofern
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Foto: C.E.
Cover: 
Lydia und Claude Bourguignon:
"Der Boden, die Erde und die Felder"
[Grundlagen der Agrarökologie]

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