Wohnen in einem sogenannten "hippen" Kiez: Als wir vor 20 Jahren hergezogen sind, haben wir noch Kopfschütteln geerntet — "... wie kann man nur ins soziale Sperrgebiet ziehen?" Heute gelten wir als hipper Wohnbezirk: Der unsanierte Dachrohling kann da schon mal 3000 Euro den Quadratmeter kosten. Hier heute zu wohnen bedeutet z.B. an einem Werktag, kaum zur Ruhe zu kommen.
Aus der Nachbarschaft |
Im Haus, es wurde in den Neunziger Jahren gebaut, scheint etwa die Hälfte der Wohnungen verkauft zu sein, der Rest steht leer. Die Nachbarn von einst leben am Stadtrand, wo plötzlich (wie im Märkischen Viertel) neue Schulen gebaut werden mussten. Umzug, Neubau und den Leerstand von Schulen im Kiez zahlen wir alle mit unseren Steuern. Das große Geld machen damit andere.
Seither stoßen in unserer Straße Welten aufeinander. Hier die ruhebedürftige werktätige Bevölkerung mit oder ohne Kindern, dort das Partyvolk mit oder ohne geregelten Tag-/Nachtrhythmus. Und das Nachbarhaus zur anderen Seite wird nach zehn Jahren erneut saniert, dieses Mal, so fürchte ich, ist die Edelsanierung dran, die Preisspirale dreht hoch. Übersetzt heißt das: An der einen Seite zum Hof wird bis vier Uhr in der Früh Party gemacht, an der anderen Seite zum Hof rattert ab sieben Uhr der Schlagbohraufsatz, der Fliesen runterreißt, in der Mitte kraucht die Einwohnerschaft auf dem Zahnfleisch, denn solche Spitzen filtern selbst Ohropax nicht so elegant weg.
Titel vom 22.5.2017 |
Ich übertreibe nur leicht. Samstag gilt übrigens als Werktag. Bleibt der Sonntag zum Ausschlafen. Das muss reichen! Das Bruttosozialprodukt ruft.
Diese Woche kam zum Sonntag großzügigerweise noch der Himmelfahrtsdonnerstag hinzu. Naja, ich durfte arbeiten. Und kurz aufseufzen, als ich die Wandschmiererei in der Nachbarschaft sah, das stimmt leider so sehr ... Das Dilemma wäre übrigens mit klugen Gesetzen vermeidbar.
Für einen Dolmetschtermin im Kiez haben wir vor einigen Jahren das Wort "Gentrifizierung" durch "Verdrängungssanierung" übersetzt, ein Übersetzerkollege fand das Wort nach einem Suchappell über ein "virtuelles Café" im Netz.
Meine Links der Woche sind Artikel über den Mietspiegel: "Warum Berliner Mietern teure Zeiten bevorstehen" und "Altbaumieten steigen am stärksten" (Tagesspiegel).
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Fotos: C.E., Beatrice Höller
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