Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mitten in ein Arbeitstagebuch hineingeraten, in dem sich alles um Sprache, Dolmetschen, Übersetzen und Kulturen dreht. Als freiberufliche Sprachmittlerin arbeite ich in Paris, Berlin, Marseille, Heidelberg und dort, wo man mich braucht. Heute wieder: Das Feld zwischen Traum und Realität.
Vor vielen Monaten habe ich Korrespondenzen für die Ausstellung "Best Actress" der Oscars übersetzt, die jährlich Ende Februar von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) verliehen werden. Seither sehe ich die Oscarverleihungen anders. Emma Stone, nominiert für La La Land, hat mal in einem Interview gesagt, wie sie ihre Eltern überzeugt hat, Schauspielerin werden zu dürfen: Mit einer am Abendessenstisch vorgeführten PowerPointPräsentation.
Ich hänge meinen Tagträumen nach der Lektüre einiger Texte zur amerikanischen Filmwirtschaft nach, da kommt die Anfrage zur Übersetzung einer PowerPointPräsentation rein. Leider geht es nicht um Kino, sondern um Bergbau. Der Kunde möchte meinen Zeilenpreis wissen. Ich nenne ihn — und kündige die Lieferung der Übersetzung als Word-Dokument an. Der Kunde bittet um Bearbeitung direkt im Präsentationsformat. Ich nenne den Stundensatz. Er fragt, wie viele Stunden die Arbeit in Anspruch nehmen wird. Ich nenne eine Von-bis-Zahl.
Der Kunde verlangt nach einem Pauschalpreis. Aber meiner Erfahrung nach sind diese Präsentationen immer Fummelarbeit, es läuft immer etwas gar nicht bzw. aus dem Ruder. Auch muss unsereiner, ähnlich wie bei der Übersetzung von Untertiteln, sich dem oft knappen Platzangebot anpassen. "Übersetzen in einer Zwangsjacke" nennt das Kollegin Andrea Kirchhartz aus Hamburg.
Der Kunde insistiert. Ich lege nach: "PowerPointPräsentationen bergen für uns Übersetzer ein nicht kalkulierbares Risiko, denn Grafiken, Schriften und Layout sind
anzupassen, was im Vorfeld schwer zu kalkulieren ist.
Daher berechnen wir den tatsächlichen Zeitaufwand. Unsere
Kostenvoranschläge sind nur Richtwerte. Einen Festpreis kann ich Ihnen bei Lieferung in Word anbieten (dabei lege ich die Anzahl der Anschläge plus einen Mittelwert von 15 % Volumenzunahme durch die Übersetzung zugrunde)."
Er brauche einen bindenden Preis, setzt er nochmal an. Ich antworte: "Jeder Handwerker aus dem Bereich Gas-Wasser-Sonstwas wird Ihnen auch den tatsächlichen Aufwand in Rechnung stellen, denn er hat ja keinen Röntgenblick. Stellen wir uns kurz vor, es gibt bei Ihnen zuhause ein Feuchtigkeitsproblem in der Wand. Da wird er auch erst wissen, was zu machen ist, wenn die Tapete und der Putz abgenommen und die halbe Wand aufgeklopft sind."
Und ich lege nach und frage, wie das denn im Bergbaubereich so ist, ob sich da von außen zweifelsfrei erkennen lässt, was einen unten an Störfaktoren erwartet.
Das war's. "Rechnen Sie so ab, wie Sie es brauchen!" Wird die Kollegin machen, denn während sie bei Gericht etwas zu einer Messerstecherei unter Betrunkenen gedolmetscht hat, habe ich für sie verhandelt. Dann träume ich weiter vom Dolby Theatre und dem Walk of Fame, wo ich einst den Handabdruck einer gewissen Hildegarde Neff bewundert habe, nachdem ich sie wenige Tage zuvor bei einem Berlinaleempfang gesehen hatte. Lang ist's her.
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Illustration: Büro
Was ich anbiete
Donnerstag, 23. Februar 2017
Mittwoch, 22. Februar 2017
Das große Stottern
Zufällig oder absichtlich haben die Seiten eines Berliner Blogs angesteuert. Hier schreibt eine Dolmetscherin und Übersetzerin über Sprache und den
Arbeitsalltag.
Heute übersetze ich wieder Interviewpassagen fürs Fernsehen. Die Statements wurden bereits produktionsfirmenintern von einem Muttersprachler abgetippt. Ich arbeite derzeit der Regisseurin in der Phase der Endfertigung zu.
Es geht um die Naturerfahrung von Kindern. Dabei bin ich schockiert, wie die Interviewten, Kinder, Jugendliche, junge Eltern und Erzieher, mit der Sprache hadern. Im Gegensatz zu älteren Generationen, die im Film auch vorkommen, scheinen die jüngeren Menschen erhebliche Probleme mit dem mündlichen Ausdruck zu haben. Gut frei sprechen kann von ihnen nur ein einziger, ein Drittklässler.
Das geht mit der in der Regel unsauberen Diktion los, über sehr einfache Ausdrucksweisen, die offenbar schon schwierig zu sein scheinen, bis hin zu vielfach beobachteten Unfähigkeit, einen komplexen Gedanken einigermaßen verständlich wiederzugeben. Ich fürchte, dass es in direkter Ableitung bedeutet, dass viele von ihnen sie ihn auch nicht wirklich komplex denken können.
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Illustration: C.E.
Sprachunterschiede |
Es geht um die Naturerfahrung von Kindern. Dabei bin ich schockiert, wie die Interviewten, Kinder, Jugendliche, junge Eltern und Erzieher, mit der Sprache hadern. Im Gegensatz zu älteren Generationen, die im Film auch vorkommen, scheinen die jüngeren Menschen erhebliche Probleme mit dem mündlichen Ausdruck zu haben. Gut frei sprechen kann von ihnen nur ein einziger, ein Drittklässler.
Das geht mit der in der Regel unsauberen Diktion los, über sehr einfache Ausdrucksweisen, die offenbar schon schwierig zu sein scheinen, bis hin zu vielfach beobachteten Unfähigkeit, einen komplexen Gedanken einigermaßen verständlich wiederzugeben. Ich fürchte, dass es in direkter Ableitung bedeutet, dass viele von ihnen sie ihn auch nicht wirklich komplex denken können.
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Illustration: C.E.
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Wie wir leben
Dienstag, 21. Februar 2017
Sie da!
Bonjour, hello, guten Tag! Hier bloggt seit mehr als zehn Jahren eine
Übersetzerin und Dolmetscherin. Die Vielfalt meiner Arbeit ist immer wieder schön.
Treatmentübersetzungsgedanke (Endspurt!), durch den Schleier der Postberlinalemüdigkeit hindurch: die Franzosen siezen ihren lieben Gott, so, wie manche Menschen aus manchen großbürgerlichen und höheren Kreisen auch ihre nächsten Mitmenschen, also die eigenen Erzeuger und nächsten Verwandten bis hin zur Partnerin/zum Partner siezen.
Darüber nachdenken, ob es Verbindungen gibt, die ich bislang nicht sehe. Es geht hier überwiegend wohl um den Katholizismus.
Und ob es bekannte französische Filmsequenzen gibt, so diese Sss-tellen ohne viele Worte, aber dominierender Tonspur, wo die normale Untertitlerin die Filmfiguren einander längst duzen lassen würde, wo aber mitunter in höchsten Kreisen hartnäckig weitergesiezt wird. Wie das klingt, so ein schweinischer Satz mit "Sie". Und wie das wiederum irgendwie als Lokalkolorit in einen englischsprachigen Untertitel einzubringen wäre, wo dieses Idiom doch allenfalls noch ein Shakespearesches "Sie" kennt.
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Foto: C.E. (Archiv)
In der Berliner U-Bahn |
Darüber nachdenken, ob es Verbindungen gibt, die ich bislang nicht sehe. Es geht hier überwiegend wohl um den Katholizismus.
Und ob es bekannte französische Filmsequenzen gibt, so diese Sss-tellen ohne viele Worte, aber dominierender Tonspur, wo die normale Untertitlerin die Filmfiguren einander längst duzen lassen würde, wo aber mitunter in höchsten Kreisen hartnäckig weitergesiezt wird. Wie das klingt, so ein schweinischer Satz mit "Sie". Und wie das wiederum irgendwie als Lokalkolorit in einen englischsprachigen Untertitel einzubringen wäre, wo dieses Idiom doch allenfalls noch ein Shakespearesches "Sie" kennt.
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Foto: C.E. (Archiv)
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Montag, 20. Februar 2017
Über das Übersetzen
Willkommen beim ersten Blog Deutschlands aus der Dolmetscherkabine. Ich arbeite in den Bereichen Wirtschaft und Politik, Soziales und Kultur, Hauptsprache ist Französisch. Heute folgt mal wieder ein Zitat.
Das Übersetzen ist das älteste Gewerbe der Welt. Denn am Anfang war zwar das Wort, aber es verstand kein Mensch. Ja, man versteht es bis zum heutigen Tage so unvollkommen, dass des Übersetzens und Deutens niemals je ein Ende ist. Der Übersetzer mag also auf der Ständepyramide ökonomisch weit unten angesiedelt sein, in seiner Bedeutung für die Kulturgeschichte steht er ganz weit oben."
Quelle: "Das älteste Gewerbe der Welt"
Roger Willemsen
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Illustration: C.E.
"Auch wenn man es gerne leugnet:
Dazu eines der ältesten Motive der Kunst |
Quelle: "Das älteste Gewerbe der Welt"
Roger Willemsen
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Illustration: C.E.
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Zitate
Sonntag, 19. Februar 2017
Berlinaleabschied
Im elften Jahr führe ich hier mein öffentliches Arbeitstagebuch als Dolmetscherin und Übersetzerin. Als freiberufliche Sprachmittlerin arbeite ich in Paris, Berlin, Heidelberg und Marseille — und (fast) überall dort, wo Sie mich brauchen.
Heute ging nach zehn Tagen ein berühmtes Festival zu Ende: Das Literaturfestival von Havanna. Heute ging auch die Berlinale zu Ende. Festival und Markt haben zusammen um die 600 Filme präsentiert. Wie lässt sich bei so vielen Filmen ein Trend beobachten? Gar nicht. Ich denke, dass die Berlinale zu groß und zu beliebig geworden ist. Ein Viertel weniger Filme wäre immer noch nicht zu "schaffen", aber dann würde hoffentlich wieder mehr auf Qualität gesetzt werden.
Der Andrang an den Kassen war groß, entsprechende TV-Bilder flimmerten in alle Haushalte. Oft saß aber nicht nur ich in halbleeren oder deutlich spärlicher gefüllten Sälen. Derzeit ist es in vielen Kreisen noch Mode, zum internationalen Filmfestival in Berlin zu gehen, und das bezieht sich vor allem auf den Wettbewerb und exklusive Veranstaltungen wie das "Kulinarische Kino". Wer Erfolg hat, sollte sich immer kritisch überlegen, wie es dazu kommt und womit er oder sie sich möglicherweise gerade selbst ein Bein stellt. Denn dass Moden kommen, Moden gehen, weiß jedes Kind.
Neben der Filmauswahl (Vorgehen, Kriterien, Wahl der Sektion) wären wesentliche kuratorische Entscheidungen der Präsentation zu überdenken. Ich spreche von Deutsch als Bühnensprache bei den Publikumsgesprächen (auf Neudeutsch QnA). Derzeit wird dort überwiegend Englisch gesprochen, das aber sehr häufig eher Globish ist. Der internationale Charakter könnte durch Dolmetschkabinen für die englische Sprache in den Kinosälen gewahrt werden. Dann wäre die Zusammenarbeit mit einem Technikanbieter passend, der auf leichte Empfänger setzt sowie auf die Nutzung des eigenen Mobiltelefons als Empfangsgerät (via App). In-Ear-Kopfhörer können gegen eine kleine Gebühr abgegeben werden.
Dolmetscher, die im Rahmen der Berlinale arbeiten, müssten nach objektiven Kriterien von unabhängigen Personen ausgewählt werden. Die Bezahlung schwankt derzeit von Sektion zu Sektion, das hat historische Gründe. Das Ergebnis ist ungerecht, eine Besserbezahlung sollte ebenso selbstverständlich sein wie die Akkreditierung auch von im Hintergrund (z.B. bei Presseinterviews) tätigen Kolleginnen und Kollegen.
Es gibt noch mehr Bereiche, die zu verbessern wären: Die Bezahlung der anderen Kolleginnen und Kollegen bis hin zu den 450-Euro-Job-Praktikanten in der Saalbetreuung, die vor einigen Jahren die Aufgaben der einst besser honorierten Volontäre übernommen haben. Das Entgelt für Moderation, in einer mir bekannten Sektion seit mehr als 15 Jahren unverändert, war schon zu Beginn der Nuller Jahre eher gering; heute ist es ein Fünftel weniger.
In Zeiten von Deindustrialisierung und Digitalisierung ist Mikrohalten beim Festival das, was der gewöhnliche Bergknecht unter den Montanberufen war. In Sachen berufsständischer Organisation sind die Festivalarbeiter im späten 19. Jahrhundert, sie beginnen gerade, sich zu zusammenzutun. Hier folgt der Link zu "Klein Glamour hinter den Kulissen."
Vor allem braucht es auf vielen Entscheiderposten wieder Menschen, die "Zelluloid im Blut" haben, und ja, ich weiß, dass heute meistens digital gedreht wird, way of speaking. Ich meine Menschen mit echter Film- und Festivalliebe. Derzeit hat bei meinem großen Lieblingsfestival jedenfalls die andere Fraktion die Oberhand. Das Filmfestival braucht dabei weniger Marketinggedöns und Personenkult, dafür mehr Fachkenntnisse bzw. street credibility.
Nur ein Beispiel: Der Mann an der Spitze des Berliner Filmfestivals, der in Grundkenntnissen Schwablish spricht und perfekt Schwabeutsch, hat nicht nur die Sprachentscheidungen der Berlinale gefällt, sondern bei der Eröffnung des Festivals auch damit kokettiert, dass er nie ins Kino gehe, sein home cinema sei so viel angenehmer ohne die vielen anderen Zuschauer.
Die Sache war ein Selbstzitat, wie später aus dem Fachblatt epd Film hervorging.
Damit hat er sich jetzt nicht nur die Spracharbeiter zu ziemlich allerbesten Freunden gemacht, sondern auch sämtliche Kinobetreiber und Verleiher. Eine grundsätzliche Menschenphobie scheint es bei ihm nicht zu sein. Der oberste Chef, der erst Redenschreiber, dann Filmförderer war, schreitet jede Berlinale regelmäßig über den roten Teppich und ist allabendlich Gastgeber bei eleganten Seated dinners, die zum Beispiel der Berlinale Dining Club für eingeladene Filmteams und zahlende Gäste veranstaltet, der Slogan lautet nicht „Rent a|Rita| Dieter“, sondern "Intime Dinner in exklusivem Ambiente".
Kurz: Ich könnte das Phänomen auch Publikumsverachtung nennen. Nämlicher Herr K. steht der Berlinale jetzt länger vor als ein anderer Herr K. der aktuellen Politik unseres Landes einst vorstand. Rufe nach vorfristiger Auflösung seines Vertrags, der bis 2019 läuft, werden derzeit immer lauter.
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Foto: Jan Hendrik Blanke
Blick zurück und nach vorn |
Der Andrang an den Kassen war groß, entsprechende TV-Bilder flimmerten in alle Haushalte. Oft saß aber nicht nur ich in halbleeren oder deutlich spärlicher gefüllten Sälen. Derzeit ist es in vielen Kreisen noch Mode, zum internationalen Filmfestival in Berlin zu gehen, und das bezieht sich vor allem auf den Wettbewerb und exklusive Veranstaltungen wie das "Kulinarische Kino". Wer Erfolg hat, sollte sich immer kritisch überlegen, wie es dazu kommt und womit er oder sie sich möglicherweise gerade selbst ein Bein stellt. Denn dass Moden kommen, Moden gehen, weiß jedes Kind.
Neben der Filmauswahl (Vorgehen, Kriterien, Wahl der Sektion) wären wesentliche kuratorische Entscheidungen der Präsentation zu überdenken. Ich spreche von Deutsch als Bühnensprache bei den Publikumsgesprächen (auf Neudeutsch QnA). Derzeit wird dort überwiegend Englisch gesprochen, das aber sehr häufig eher Globish ist. Der internationale Charakter könnte durch Dolmetschkabinen für die englische Sprache in den Kinosälen gewahrt werden. Dann wäre die Zusammenarbeit mit einem Technikanbieter passend, der auf leichte Empfänger setzt sowie auf die Nutzung des eigenen Mobiltelefons als Empfangsgerät (via App). In-Ear-Kopfhörer können gegen eine kleine Gebühr abgegeben werden.
Dolmetscher, die im Rahmen der Berlinale arbeiten, müssten nach objektiven Kriterien von unabhängigen Personen ausgewählt werden. Die Bezahlung schwankt derzeit von Sektion zu Sektion, das hat historische Gründe. Das Ergebnis ist ungerecht, eine Besserbezahlung sollte ebenso selbstverständlich sein wie die Akkreditierung auch von im Hintergrund (z.B. bei Presseinterviews) tätigen Kolleginnen und Kollegen.
Es gibt noch mehr Bereiche, die zu verbessern wären: Die Bezahlung der anderen Kolleginnen und Kollegen bis hin zu den 450-Euro-Job-Praktikanten in der Saalbetreuung, die vor einigen Jahren die Aufgaben der einst besser honorierten Volontäre übernommen haben. Das Entgelt für Moderation, in einer mir bekannten Sektion seit mehr als 15 Jahren unverändert, war schon zu Beginn der Nuller Jahre eher gering; heute ist es ein Fünftel weniger.
In Zeiten von Deindustrialisierung und Digitalisierung ist Mikrohalten beim Festival das, was der gewöhnliche Bergknecht unter den Montanberufen war. In Sachen berufsständischer Organisation sind die Festivalarbeiter im späten 19. Jahrhundert, sie beginnen gerade, sich zu zusammenzutun. Hier folgt der Link zu "Klein Glamour hinter den Kulissen."
Vor allem braucht es auf vielen Entscheiderposten wieder Menschen, die "Zelluloid im Blut" haben, und ja, ich weiß, dass heute meistens digital gedreht wird, way of speaking. Ich meine Menschen mit echter Film- und Festivalliebe. Derzeit hat bei meinem großen Lieblingsfestival jedenfalls die andere Fraktion die Oberhand. Das Filmfestival braucht dabei weniger Marketinggedöns und Personenkult, dafür mehr Fachkenntnisse bzw. street credibility.
Zuschauer und Kinobetreiber bezahlen die Sause |
Die Sache war ein Selbstzitat, wie später aus dem Fachblatt epd Film hervorging.
Damit hat er sich jetzt nicht nur die Spracharbeiter zu ziemlich allerbesten Freunden gemacht, sondern auch sämtliche Kinobetreiber und Verleiher. Eine grundsätzliche Menschenphobie scheint es bei ihm nicht zu sein. Der oberste Chef, der erst Redenschreiber, dann Filmförderer war, schreitet jede Berlinale regelmäßig über den roten Teppich und ist allabendlich Gastgeber bei eleganten Seated dinners, die zum Beispiel der Berlinale Dining Club für eingeladene Filmteams und zahlende Gäste veranstaltet, der Slogan lautet nicht „Rent a
Kurz: Ich könnte das Phänomen auch Publikumsverachtung nennen. Nämlicher Herr K. steht der Berlinale jetzt länger vor als ein anderer Herr K. der aktuellen Politik unseres Landes einst vorstand. Rufe nach vorfristiger Auflösung seines Vertrags, der bis 2019 läuft, werden derzeit immer lauter.
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Foto: Jan Hendrik Blanke
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Berlinale,
Grundsätzliches
Samstag, 18. Februar 2017
Berlinaletag
Nach Mitternacht habe ich zwei Seiten Fragen eingehend studiert, die ich bald für ein Interview brauchen würde, so ging mein Beispieltag der Berlinale heute los. Ich dolmetsche und übersetze mit Zielsprachen Deutsch und Französisch (auch aus dem Englischen). Neben Film arbeite ich zu Themen der Wirtschaft und Sozialpolitik, Kultur, Geschichte und Medien.
9.00 Uhr, andere in der Wohnung schlafen aus nach der Panoramaparty, ich sitze schon wieder am Schreibtisch. Gestern brach beim Sichten des Online-Screeners die Verbindung immer wieder ab, vermutlich gibt es bei manchen Last-Minute-Sichtungslinks den berühmten Stau auf der Datenautobahn. Oder das sind irgendwelche Spätfolgen des Stromausfalls vom Donnerstagabend im Nachbarkiez? (Alle, die es im Lebensmittelhandel nicht passend oder nur Plastikgeld hatten, wurden wieder weggeschickt.) Und nach dem Stromausfall wackelte bei uns das Netz.
11.30 Uhr, fertig mit dem Sehen. Zwischendurch hat das System etwas gestottert und ich habe mir viele Notizen gemacht. Ich überfliege das Presseheft ein weiteres Mal, rekapituliere die Fragen des Moderators, rufe mir den Vorgängerfilm des Regisseurs in Erinnerung, der vor zwei Jahren lief und den ich nur inoffiziell gesehen habe.
12.30 Uhr, ich eile zum Potsdamer Platz. Lese auf der Fahrt weiter meine "Presseclippings" zum Regisseur sowie die bearbeiteten Fragen auf einem leichten Gerät.
13.00 Uhr, im Hotel am Interviewort, warten, bis ich 13.30 Uhr in den Interviewraum darf. Dort bleibe ich auch, als die Journalisten wechseln. Ich höre mich auf den Regisseur ein, den ich um
14.20 Uhr kurz kennenlerne.
14.40 Uhr, Ankunft im Tonstudio in einem anderen Hotel am Potsdamer Platz. Ich richte mich ein, Parlando mit den Leuten vor Ort, kurzes Vorgespräch mit dem Moderator.
14.50 Uhr, die Regisseure treffen ein, ein weiteres Vorgespräch folgt.
15.05 Uhr gehen wir auf Sendung. Zwanzig Minuten später ist das von mir verdolmetschte Interview gesendet, ich bleibe noch etwas sitzen, um einem anderen Regisseur bei Bedarf sprachlich zu helfen, der aus biografischen Gründen sehr gut Französisch spricht, im Alltag aber ausschließlich Deutsch.
15.40 Uhr heißt es Au revoir à Cannes ! Ich eile zum Bus ... gehe auf dem Nachhauseweg noch in ein Restaurant, und als ich wieder zuhause ankomme, ist es
17.00 Uhr: Ich notiere noch einige Vokabeln, die heute wichtig waren, morgen werde ich die Sendung runterladen (ich podcaste sie), kritisch abhören, eine zweite "Nachlese" betreiben.
17.30 Uhr: Späte Siesta, 30 Minuten, dann weiter mit einer Filmübersetzung. Open end oder Kino, das steht noch nicht fest.
Nachwort
Einmal meinte ein Kunde, dass unsere Arbeit nicht teuer sein könnte, weil sie ja mündlich geschieht. Dabei ist der Technikeinsatz für die Vorbereitung hoch. Rechner, Speicherkapazität (meine Drei-Terrabyteplatte, das Schallarchiv, ist fast voll), mobiles Gerät, Mobiltelefon, Wartung, Gebühren, das ganze Büro, das dranhängt, Akten mit Themenmaterial, Bücher, alles Verwaltungsrelevante. Ein weiteres Rechenbeispiel hier: Zahlen, bitte!
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Danke an Fanny Steyer für das Foto.
Neben Karmakar saß ich schon 2009.
9.00 Uhr, andere in der Wohnung schlafen aus nach der Panoramaparty, ich sitze schon wieder am Schreibtisch. Gestern brach beim Sichten des Online-Screeners die Verbindung immer wieder ab, vermutlich gibt es bei manchen Last-Minute-Sichtungslinks den berühmten Stau auf der Datenautobahn. Oder das sind irgendwelche Spätfolgen des Stromausfalls vom Donnerstagabend im Nachbarkiez? (Alle, die es im Lebensmittelhandel nicht passend oder nur Plastikgeld hatten, wurden wieder weggeschickt.) Und nach dem Stromausfall wackelte bei uns das Netz.
11.30 Uhr, fertig mit dem Sehen. Zwischendurch hat das System etwas gestottert und ich habe mir viele Notizen gemacht. Ich überfliege das Presseheft ein weiteres Mal, rekapituliere die Fragen des Moderators, rufe mir den Vorgängerfilm des Regisseurs in Erinnerung, der vor zwei Jahren lief und den ich nur inoffiziell gesehen habe.
12.30 Uhr, ich eile zum Potsdamer Platz. Lese auf der Fahrt weiter meine "Presseclippings" zum Regisseur sowie die bearbeiteten Fragen auf einem leichten Gerät.
13.00 Uhr, im Hotel am Interviewort, warten, bis ich 13.30 Uhr in den Interviewraum darf. Dort bleibe ich auch, als die Journalisten wechseln. Ich höre mich auf den Regisseur ein, den ich um
14.20 Uhr kurz kennenlerne.
14.40 Uhr, Ankunft im Tonstudio in einem anderen Hotel am Potsdamer Platz. Ich richte mich ein, Parlando mit den Leuten vor Ort, kurzes Vorgespräch mit dem Moderator.
Im Uhrzeigersinn (von links): Calin Peter Netzer, Antoine Guillot, Michel Ciment, Romuald Karmakar, CE |
15.05 Uhr gehen wir auf Sendung. Zwanzig Minuten später ist das von mir verdolmetschte Interview gesendet, ich bleibe noch etwas sitzen, um einem anderen Regisseur bei Bedarf sprachlich zu helfen, der aus biografischen Gründen sehr gut Französisch spricht, im Alltag aber ausschließlich Deutsch.
15.40 Uhr heißt es Au revoir à Cannes ! Ich eile zum Bus ... gehe auf dem Nachhauseweg noch in ein Restaurant, und als ich wieder zuhause ankomme, ist es
17.00 Uhr: Ich notiere noch einige Vokabeln, die heute wichtig waren, morgen werde ich die Sendung runterladen (ich podcaste sie), kritisch abhören, eine zweite "Nachlese" betreiben.
17.30 Uhr: Späte Siesta, 30 Minuten, dann weiter mit einer Filmübersetzung. Open end oder Kino, das steht noch nicht fest.
Nachwort
Einmal meinte ein Kunde, dass unsere Arbeit nicht teuer sein könnte, weil sie ja mündlich geschieht. Dabei ist der Technikeinsatz für die Vorbereitung hoch. Rechner, Speicherkapazität (meine Drei-Terrabyteplatte, das Schallarchiv, ist fast voll), mobiles Gerät, Mobiltelefon, Wartung, Gebühren, das ganze Büro, das dranhängt, Akten mit Themenmaterial, Bücher, alles Verwaltungsrelevante. Ein weiteres Rechenbeispiel hier: Zahlen, bitte!
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Danke an Fanny Steyer für das Foto.
Neben Karmakar saß ich schon 2009.
Freitag, 17. Februar 2017
Berlinalesehen
Welcome, guten Tag, bonjour ... auf den Blogseiten, die in der Dolmetscherkabine, am Übersetzerschreibtisch und in der Küche entstehen, dem nicht mehr ganz neuen Berlinalespielort für Filmscreenings, hier ein Archivbild. Sonst arbeite ich in den Bereichen Politik, Kultur, Wirtschaft und Soziales. Meine Arbeitssprachen sind Deutsch, Französisch (Ausgangs- und Zielsprache) und Englisch (nur Ausgangssprache).
Vielen Dank allen Gratulanten beim Jubiläum gestern. Merci beaucoup auch allen Kunden, die ich prompt bei meiner Danksagung vergessen habe, denn ohne sie hätte ich ja keine Schreibanlässe. Sie hatte ich als Adressaten gar nicht auf dem Schirm.
Aus berechtigten Gründen ...
Zur Erinnerung: Alle Regeln des Kundenschutzes und der Vertraulichkeit wahre ich beim Schreiben, das ist mein höchstes Anliegen. Solange es sich nicht um Stars handelt, die mitten in der PR stecken, schreibe ich über den Berufsalltag in allgemeiner Form, fasse schon mal zwei Einsätze zusammen, verändere den Ort oder die Jahreszeit.
Der Blog ist eine Autobiofiktion, alles ist wahrhaftig und beruht auf Tatsachen. Ja, ich werde wohl weitermachen, suche aber auch (wie die Produzenten, Sender und Geldgeber auf dem Europäischen Filmmarkt) nach neuen Formaten. Zunächst wähle ich mir einen festen Tag in der Woche aus für ein Hintergrundstück. Die anderen Einträge werden dann wohl kürzer, mehr Gedankennotizen. Vielleicht gibt's bei Blogspot.com auch die Möglichkeit, nur einen Beitrag die Woche zu abonnieren, das wäre sicher ein gutes Angebot an die Stammleser. Irgendwann wird vermutlich der Umzug auf eine eigene Domain unausweichlich werden. Ich scheue noch den damit zusammenhängenden Aufwand.
Worauf ich Lust habe sind Kollegenportraits, ggf. auch als geschnittene Tondateien im Interviewformat. Ich komme ja schließlich vom Radio und Ton liebe ich weiterhin.
Das (späte) Bloggeburtstagsmittagessen jedenfalls fand bei vorfrühlingshaftem Wetter im Freien und anfangs sogar
in der Sonne statt.
Gesprächsthema war die Goldlocke im Weißen Haus, passenderweise wünsche ich der "Neuen Welt" dazu sehr bald einen großen Lichtstreif am Horizont.
Vorschau: Gestern war ich auf einer Veranstaltung des Filmfestivals für den Kreativnachwuchs, "Talents" genannt. Es ging um Untertitel und Voice-over/Einsprechen im Kino. Einen Bericht darüber werde ich zu Ende kommender Woche schreiben, wenn ich wieder Zeit habe (und erholt bin).
Heute: Berlinale/NoBerlinale
⊗ Eilige Übersetzung eines Treatments für eine Serie
⊗ Filmsichtung in der Küche
⊗ Einlesen für den Samstagstermin
⊗ Kinobesuch aus Eigeninteresse
⊗ Absolutely no Parties, die Arbeit geht vor
Pressespiegel
Der Tagesspiegel hat Spracharbeiter auf der Berlinale portraitiert, hübsches Stück, das aber kaum weiter führt als das, was wir in den letzten Jahren an Berichterstattung schon hatten. Der Klassiker: Die Berufe Übersetzer und Dolmetscher werden synonymal verwendet. Die eigentliche Problematik, dass das meiste auf Globish stattfindet, wurde hier nicht mal angedeutet. Link hier: "Mit anderen Worten", Tagesspiegel vom 15.2.2017, Autor: Christian Vooren.
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Foto: C.E.
Vielen Dank allen Gratulanten beim Jubiläum gestern. Merci beaucoup auch allen Kunden, die ich prompt bei meiner Danksagung vergessen habe, denn ohne sie hätte ich ja keine Schreibanlässe. Sie hatte ich als Adressaten gar nicht auf dem Schirm.
Screening |
Zur Erinnerung: Alle Regeln des Kundenschutzes und der Vertraulichkeit wahre ich beim Schreiben, das ist mein höchstes Anliegen. Solange es sich nicht um Stars handelt, die mitten in der PR stecken, schreibe ich über den Berufsalltag in allgemeiner Form, fasse schon mal zwei Einsätze zusammen, verändere den Ort oder die Jahreszeit.
Der Blog ist eine Autobiofiktion, alles ist wahrhaftig und beruht auf Tatsachen. Ja, ich werde wohl weitermachen, suche aber auch (wie die Produzenten, Sender und Geldgeber auf dem Europäischen Filmmarkt) nach neuen Formaten. Zunächst wähle ich mir einen festen Tag in der Woche aus für ein Hintergrundstück. Die anderen Einträge werden dann wohl kürzer, mehr Gedankennotizen. Vielleicht gibt's bei Blogspot.com auch die Möglichkeit, nur einen Beitrag die Woche zu abonnieren, das wäre sicher ein gutes Angebot an die Stammleser. Irgendwann wird vermutlich der Umzug auf eine eigene Domain unausweichlich werden. Ich scheue noch den damit zusammenhängenden Aufwand.
Worauf ich Lust habe sind Kollegenportraits, ggf. auch als geschnittene Tondateien im Interviewformat. Ich komme ja schließlich vom Radio und Ton liebe ich weiterhin.
Mittagessensort |
Gesprächsthema war die Goldlocke im Weißen Haus, passenderweise wünsche ich der "Neuen Welt" dazu sehr bald einen großen Lichtstreif am Horizont.
Das Motto kennen wir Spracharbeiter |
Heute: Berlinale/NoBerlinale
⊗ Eilige Übersetzung eines Treatments für eine Serie
⊗ Filmsichtung in der Küche
⊗ Einlesen für den Samstagstermin
⊗ Kinobesuch aus Eigeninteresse
⊗ Absolutely no Parties, die Arbeit geht vor
Pressespiegel
Der Tagesspiegel hat Spracharbeiter auf der Berlinale portraitiert, hübsches Stück, das aber kaum weiter führt als das, was wir in den letzten Jahren an Berichterstattung schon hatten. Der Klassiker: Die Berufe Übersetzer und Dolmetscher werden synonymal verwendet. Die eigentliche Problematik, dass das meiste auf Globish stattfindet, wurde hier nicht mal angedeutet. Link hier: "Mit anderen Worten", Tagesspiegel vom 15.2.2017, Autor: Christian Vooren.
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Foto: C.E.
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#NoBerlinale,
Berlinale
Donnerstag, 16. Februar 2017
Berlinalefrage: Hilft das?
So, heute seit exakt zehn Jahren blogge ich hier über Sprache und Film, Dolmetschen und Übersetzen, kulturelle Eigenheiten und unsere Zeit. Die Bilder waren damals kleiner oder fehlten ganz, der Vorspann war noch nicht da und der Artikel des komischen Worts "Weblog" stand nicht fest: "der" oder "das"?
Und nun? Die Leserzahlen gehen leicht zurück, es gibt inzwischen etliche Übersetzer- und Dolmetscherblogs; der hier war (meines Wissens) der erste in deutscher Sprache. Der Beruf wird leider gerade heftig runtergewirtschaftet von den verschiedensten Akteuren, er büßt an Attraktivität ein. Auch daher vermutlich weniger Zugriffe.
Was nun? Weitermachen? Neues Konzept? Die Grafik lässt sich nicht mehr ändern, zumindest nicht bei blogspot.de, sie ist eingefroren, eine solche Nutzung ist möglicherweise nicht geplant gewesen. Oder aufhören? Nicht mehr zeitgemäß? Das Bloggen, der Beruf oder gar beides? Darüber denke ich ab morgen nach.
Ein herzliches Dankeschön möchte ich meinen zahlreichen treuen Leserinnen und lesern sagen, auch für Ihre/Eure Zuschriften, Vorschläge und Hinweise! Einen Tusch aufs hauseigene Lektorat und die Gastfotografen! Heute feiern wir erstmal mit einer stilechten mise en abyme sowie einer heißen Schokolade. Hoch die Tassen!
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Foto: Dolmetscherblog/Berlinale
Und nun? Die Leserzahlen gehen leicht zurück, es gibt inzwischen etliche Übersetzer- und Dolmetscherblogs; der hier war (meines Wissens) der erste in deutscher Sprache. Der Beruf wird leider gerade heftig runtergewirtschaftet von den verschiedensten Akteuren, er büßt an Attraktivität ein. Auch daher vermutlich weniger Zugriffe.
Was nun? Weitermachen? Neues Konzept? Die Grafik lässt sich nicht mehr ändern, zumindest nicht bei blogspot.de, sie ist eingefroren, eine solche Nutzung ist möglicherweise nicht geplant gewesen. Oder aufhören? Nicht mehr zeitgemäß? Das Bloggen, der Beruf oder gar beides? Darüber denke ich ab morgen nach.
Ein herzliches Dankeschön möchte ich meinen zahlreichen treuen Leserinnen und lesern sagen, auch für Ihre/Eure Zuschriften, Vorschläge und Hinweise! Einen Tusch aufs hauseigene Lektorat und die Gastfotografen! Heute feiern wir erstmal mit einer stilechten mise en abyme sowie einer heißen Schokolade. Hoch die Tassen!
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Foto: Dolmetscherblog/Berlinale
Mittwoch, 15. Februar 2017
Berlinalewohnen
Im zehnten Jahr führe ich hier mein öffentliches Arbeitstagebuch als Dolmetscherin und Übersetzerin. Als freiberufliche
Sprachmittlerin arbeite ich in Paris, Berlin, Heidelberg und Marseille — und (fast) überall dort, wo Sie mich brauchen.
Gerade klinge ich älter als meine "Omma" aus Unna, denn die hat sowas nie gesagt. Oder klinge ich ähnlich jung wie das Käthchen von Schluppenburg, die einst mit gerade mal acht Lenzen, du haut de ses huit ans, gerne ihre Frau Großmama nachgemacht hat, und das auch noch in bestem Bayrisch: Frrrühah, ja, frrrühah, da woa ois bessah! (Gerne folgte darauf eine Einlage rustikalen Schenkelklopfens.)
Noch nie hatte ich bei einer Berlinale so viele Vergangenheitsbezüge wie dieses Mal. Das liegt an den vielen Veränderungen, die mir plötzlich ins Auge stechen, denn so ein Zehnjähriges verleitet natürlich zum Bilanzziehen. Manches, das seit Jahren schon anders ist, fällt erst jetzt auf, siehe frühere Posts. Und ich bin's leid, Verschlechterungen feststellen zu müssen.
Denn auch schöne Konstanten gibt es in diesen Jahren. Die Berlinale-WG ist eine davon. In Zeiten, in denen ich 30 bis 50 Einsätze pro Filmfestival hatte, war ich abends einfach durch. Extreme Müdigkeit wirkt sich auf den Bewusstseinszustand wie Alkoholkonsum aus, also war es der Job der Mitbewohner von Rhein und Ruhr, mich vom letzten "Gig" abzuholen und heil wieder nach Hause zu geleiten. Außerdem erfuhr ich von ihnen, was ich in der Einsamkeit der Dolmetscherkabine sonst nicht erfahren hätte: Wer, was, wie, wo, warum und wann.
Jetzt, wo die Berlinaleleitung auf Globish setzt und sehr viele Dolmetscher nichts mehr zu tun haben, ist meine Berlinale weitaus entspannter: Es gibt weniger Einsätze, die dafür besser bezahlt werden. (Wo es drauf ankommt, ist plötzlich wieder Geld da.) Der nächtliche Escort-Service entfällt damit.
Nach dem Nachhausekommen, jeder disponiert selbst, sitzen wir nachts meist noch in unseren WG-eigenen Programmkonferenz zusammen, die Abteilungen und Fachrichtungen Filmton, -mischung, Ausbildung, Jazz, Festivalleitung, Programmmanagement, Saalleitung, Sprache (und zunehmend auch Dramaturgie), IT und strategische Planung, Verzahnung von Geistes- zu Naturwissenschaften. Viele Gewerke und Gebiete, dabei sind wir nur zu viert, gendermäßig einigermaßen paritätisch besetzt — und generationenübergreifend sowieso, denn zwischen dem Jüngsten und dem Ältesten liegen vier Jahrzehnte.
In der zweiten Berlinalehälfte wird es ruhiger. Die Kölner Tonkollegin ist schon wieder abgereist, Moonboots und "Plümmoh", wie sie ihre daunengefüllte Jacke freundlich nennt, sind am frühlingshaften Rhein, wo es dem Vernehmen nach heute 16° C. warm war, wieder im Schrank verstaut. Auch in Berlin ist der Frühling schon zu spüren. Der Winter (und auch die Zukunft) waren früher auch besser! (Danke, Karl Valentin.) So, ab mit mir ins Kino!
______________________________
Foto: C.E.
Gerade klinge ich älter als meine "Omma" aus Unna, denn die hat sowas nie gesagt. Oder klinge ich ähnlich jung wie das Käthchen von Schluppenburg, die einst mit gerade mal acht Lenzen, du haut de ses huit ans, gerne ihre Frau Großmama nachgemacht hat, und das auch noch in bestem Bayrisch: Frrrühah, ja, frrrühah, da woa ois bessah! (Gerne folgte darauf eine Einlage rustikalen Schenkelklopfens.)
Vogel- oder Küchenlampenperspektive |
Denn auch schöne Konstanten gibt es in diesen Jahren. Die Berlinale-WG ist eine davon. In Zeiten, in denen ich 30 bis 50 Einsätze pro Filmfestival hatte, war ich abends einfach durch. Extreme Müdigkeit wirkt sich auf den Bewusstseinszustand wie Alkoholkonsum aus, also war es der Job der Mitbewohner von Rhein und Ruhr, mich vom letzten "Gig" abzuholen und heil wieder nach Hause zu geleiten. Außerdem erfuhr ich von ihnen, was ich in der Einsamkeit der Dolmetscherkabine sonst nicht erfahren hätte: Wer, was, wie, wo, warum und wann.
Jetzt, wo die Berlinaleleitung auf Globish setzt und sehr viele Dolmetscher nichts mehr zu tun haben, ist meine Berlinale weitaus entspannter: Es gibt weniger Einsätze, die dafür besser bezahlt werden. (Wo es drauf ankommt, ist plötzlich wieder Geld da.) Der nächtliche Escort-Service entfällt damit.
Nach dem Nachhausekommen, jeder disponiert selbst, sitzen wir nachts meist noch in unseren WG-eigenen Programmkonferenz zusammen, die Abteilungen und Fachrichtungen Filmton, -mischung, Ausbildung, Jazz, Festivalleitung, Programmmanagement, Saalleitung, Sprache (und zunehmend auch Dramaturgie), IT und strategische Planung, Verzahnung von Geistes- zu Naturwissenschaften. Viele Gewerke und Gebiete, dabei sind wir nur zu viert, gendermäßig einigermaßen paritätisch besetzt — und generationenübergreifend sowieso, denn zwischen dem Jüngsten und dem Ältesten liegen vier Jahrzehnte.
In der zweiten Berlinalehälfte wird es ruhiger. Die Kölner Tonkollegin ist schon wieder abgereist, Moonboots und "Plümmoh", wie sie ihre daunengefüllte Jacke freundlich nennt, sind am frühlingshaften Rhein, wo es dem Vernehmen nach heute 16° C. warm war, wieder im Schrank verstaut. Auch in Berlin ist der Frühling schon zu spüren. Der Winter (und auch die Zukunft) waren früher auch besser! (Danke, Karl Valentin.) So, ab mit mir ins Kino!
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Dienstag, 14. Februar 2017
Berlinalekilometer
Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin (Französisch und Englisch). Normalerweise
beschreibe ich typische Alltagsmomente (anonymisiert) oder denke über
Wörter nach. Wirtschaft, Politik und derzeit die Berlinale sind dabei die Hintergrundmusik.
So ein Festival setzt viel Energie, Leidensfähigkeit und bestes Schuhwerk voraus. Viele Filmkilometer fallen an, wie das früher geheißen hätte, als das Silbergelatinematerial noch in metrischen Einheiten gemessen wurde: Von den Kartenbüros zu den Spielorten, über den Filmmarkt hin zu diversen Bars und Salons, Austragungsorte illustrer Empfänge.
Eigentlich geht es morgens in der Früh mit Schlangestehen los, um Tickets zu bekommen. Für mich als Dolmetscherin haut das nicht hin, weil ich oft noch abends arbeite und ohnehin oft erst einen Tag im Voraus weiß, was mich bald beschäftigen wird. Schneller Wechsel ist in unserem Gewerbe ein Grundthema. Der wäre auch in der Kleidung angeraten. In Zeiten, in denen ich als Kinoleiterin beschäftigt war, vor bald zwanzig Jahren, hatten wir Spinde zumindest für Wechselschuhe zur Verfügung (und einen Aufenthaltsraum mit Brötchen, Wasser, Kaffee und Obst). Das war sehr menschenfreundlich. Heute muss ich meine Pausenorte selbst suchen. Es gibt Cafés, in die es sich verziehen lässt ... nur keine gemütlichen am Potsdamer Platz. Dort ist es an allen Orten irgendwie zugig und ungemütlich und so gebaut, dass man bitte schnell wieder gehen soll.
Also treffen wir uns zum Essen außerhalb der "Zone". Der Ruheeffekt ist großartig. Filme sind für viele, die hier zur Arbeit gekommen sind, die schönste Nebensache der Welt. Und fertige Filme, die nicht selbstgemacht sind, scheinen irgendwie eine quantité négligeable zu sein. So sagt auch Christophe aus Paris: Je ne vois pas de films, je vois des gens ("... ich sehe Leute"). — Ich freu mich auf die Tage nach der Berlinale. Endlich in Ruhe ohne störende Termine Filme sehen können ... bei den Mitarbeiterscreenings, die zum Troste für jene, die im Schatten tätig sind, ausgerichtet werden. Nach dem Essen heißt es zurückeilen. Manchmal mit den falschen Schuhen Richtung Haltestelle rennen, wenn der Bus gerade ankommt ...
Meine Feststellungen sind aber gar nichts im Vergleich zu den leichten Roben, in die sich die Schauspielerinnen hüllen, wenn sie über den roten Teppich schreiten. Derzeit herrschen in der deutschen Hauptstadt einstellige Minusgrade. Da fällt mir die Nachwuchsschauspielerin ein, die auch ohne darstellerische Beteiligung vor Jahren ihre Chance, gesehen zu werden, genutzt hatte und am Ende, wenn die abendlichen Filmempfänge zu Ende gegangen waren, von Produzenten in ein Taxi gesetzt wurde. Sie hat den Wagen dann um die Ecke fahren lassen und ist außer Sichtweite gleich wieder ausgestiegen, um dann bibbernd die nächsten Meter bis Kilometer (manche Partylocation ist j.w.d.) zur Station von Bus oder Bahn zu eilen. Sie hatte schlicht und ergreifend kein Geld für ein Taxi, dafür eine BVG-Wochenkarte, die sie auch jeden Tag für den Robentausch zum Kostümverleih gebracht hat. Dazu trug sie im Wechsel drei Paar Hochhackiger. Ihre Strategie hatte übrigens Erfolg, weil sie darüber hinaus sehr talentiert ist.
Zwischendurch sitze ich mit einem Arte-Granden im Foyer der französischen Botschaft. Die Zugangskriterien zu den Salons der Ambassade sind nicht immer nachvollziehbar, wir warten auf eine Entscheidung in Sachen Nacheinlass, auch wenn die Zeiten von On ne demande pas les laquais à sa table — man bittet seine Lakaien nicht zu Tisch, der Satz wurde einem früheren Botschafter zugeschrieben, überwunden schienen. Zwei schlechtgelaunte Filmarbeiter sind wir, die gerade an der Berufsausübung gehindert werden: Hier dominiert der müde Rücken, dort klopft der Puls im Zeh, die Pumps sind zu elegant. Es ziept und es liegt nicht am Alter.
Das beste spontane Abendessen, Pitches und Verbrüderungen dieser Berlinale wird prompt nicht die Soirée française du cinéma, ich erlebe diesen Höhepunkt anschließend einige Kilometer vom vermeintlichen Gravitätszentrum entfernt im aus der Situation resultierenden Salon des refusés, wie die Kunstausstellungen der einst im Louvre Abgelehnten geheißen haben. Den Produzenten, für die ich eigentlich spontan dolmetschen sollte, hatte ich per Textnachricht aus dem Foyer abgesagt. Die Antwort-SMS kommt umgehend: Er und andere Betreffende verlassen vor der Zeit den Ort des Geschehens und ergänzen das spontane Kreativgelage aufs Schönste.
Hallo, Taxi!
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Collage: C.E.
Brandenburger Multicolor |
Eigentlich geht es morgens in der Früh mit Schlangestehen los, um Tickets zu bekommen. Für mich als Dolmetscherin haut das nicht hin, weil ich oft noch abends arbeite und ohnehin oft erst einen Tag im Voraus weiß, was mich bald beschäftigen wird. Schneller Wechsel ist in unserem Gewerbe ein Grundthema. Der wäre auch in der Kleidung angeraten. In Zeiten, in denen ich als Kinoleiterin beschäftigt war, vor bald zwanzig Jahren, hatten wir Spinde zumindest für Wechselschuhe zur Verfügung (und einen Aufenthaltsraum mit Brötchen, Wasser, Kaffee und Obst). Das war sehr menschenfreundlich. Heute muss ich meine Pausenorte selbst suchen. Es gibt Cafés, in die es sich verziehen lässt ... nur keine gemütlichen am Potsdamer Platz. Dort ist es an allen Orten irgendwie zugig und ungemütlich und so gebaut, dass man bitte schnell wieder gehen soll.
Also treffen wir uns zum Essen außerhalb der "Zone". Der Ruheeffekt ist großartig. Filme sind für viele, die hier zur Arbeit gekommen sind, die schönste Nebensache der Welt. Und fertige Filme, die nicht selbstgemacht sind, scheinen irgendwie eine quantité négligeable zu sein. So sagt auch Christophe aus Paris: Je ne vois pas de films, je vois des gens ("... ich sehe Leute"). — Ich freu mich auf die Tage nach der Berlinale. Endlich in Ruhe ohne störende Termine Filme sehen können ... bei den Mitarbeiterscreenings, die zum Troste für jene, die im Schatten tätig sind, ausgerichtet werden. Nach dem Essen heißt es zurückeilen. Manchmal mit den falschen Schuhen Richtung Haltestelle rennen, wenn der Bus gerade ankommt ...
Meine Feststellungen sind aber gar nichts im Vergleich zu den leichten Roben, in die sich die Schauspielerinnen hüllen, wenn sie über den roten Teppich schreiten. Derzeit herrschen in der deutschen Hauptstadt einstellige Minusgrade. Da fällt mir die Nachwuchsschauspielerin ein, die auch ohne darstellerische Beteiligung vor Jahren ihre Chance, gesehen zu werden, genutzt hatte und am Ende, wenn die abendlichen Filmempfänge zu Ende gegangen waren, von Produzenten in ein Taxi gesetzt wurde. Sie hat den Wagen dann um die Ecke fahren lassen und ist außer Sichtweite gleich wieder ausgestiegen, um dann bibbernd die nächsten Meter bis Kilometer (manche Partylocation ist j.w.d.) zur Station von Bus oder Bahn zu eilen. Sie hatte schlicht und ergreifend kein Geld für ein Taxi, dafür eine BVG-Wochenkarte, die sie auch jeden Tag für den Robentausch zum Kostümverleih gebracht hat. Dazu trug sie im Wechsel drei Paar Hochhackiger. Ihre Strategie hatte übrigens Erfolg, weil sie darüber hinaus sehr talentiert ist.
Zwischendurch sitze ich mit einem Arte-Granden im Foyer der französischen Botschaft. Die Zugangskriterien zu den Salons der Ambassade sind nicht immer nachvollziehbar, wir warten auf eine Entscheidung in Sachen Nacheinlass, auch wenn die Zeiten von On ne demande pas les laquais à sa table — man bittet seine Lakaien nicht zu Tisch, der Satz wurde einem früheren Botschafter zugeschrieben, überwunden schienen. Zwei schlechtgelaunte Filmarbeiter sind wir, die gerade an der Berufsausübung gehindert werden: Hier dominiert der müde Rücken, dort klopft der Puls im Zeh, die Pumps sind zu elegant. Es ziept und es liegt nicht am Alter.
Das beste spontane Abendessen, Pitches und Verbrüderungen dieser Berlinale wird prompt nicht die Soirée française du cinéma, ich erlebe diesen Höhepunkt anschließend einige Kilometer vom vermeintlichen Gravitätszentrum entfernt im aus der Situation resultierenden Salon des refusés, wie die Kunstausstellungen der einst im Louvre Abgelehnten geheißen haben. Den Produzenten, für die ich eigentlich spontan dolmetschen sollte, hatte ich per Textnachricht aus dem Foyer abgesagt. Die Antwort-SMS kommt umgehend: Er und andere Betreffende verlassen vor der Zeit den Ort des Geschehens und ergänzen das spontane Kreativgelage aufs Schönste.
Hallo, Taxi!
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Collage: C.E.
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Montag, 13. Februar 2017
Berlinaleterminrettung
Bonjour, hello, guten Tag! Hier bloggt seit bald zehn Jahren eine Konferenzdolmetscherin, die daneben das Fachgebiet anbietet. Meine Sprachen sind Französisch (aktiv und passiv) und Englisch (passiv). Hier beschreibe ich, was ich im 20. Berlinalejahr in den Kulissen erlebe ... keine Namen, nur die Vorkommnisse.
Der Job war längst abgesagt. Die Antwort der Presseagentur, die den Film betreut, war eindeutig gewesen: "Wir haben uns für eine günstigeres Angebot entschieden." (Über die leidige Preisthematik schrieb ich hier.) Als das günstigere Angebot die Arbeit aufnimmt, habe ich nicht viel zu tun, ein schöner Nachmittag, ich chille mit einer Freundin aus Paris im Café. Da ruft die PR-Dame an: "Können Sie bitte sofort ins Hotel XYZ kommen?" Das Haus hat fünf Sterne. Der Taxistand ist gleich um die Ecke, ich eile ...
Als ich ankomme, kann ich den Temperaturen im Raum beim Fallen zusehen. Sitzen um einen Tisch herum: Fünf Journalisten plus Star, der Wand entlang aufgereiht wie die Hühner auf der Stange: die PR-Dame, ihr Chef und ein Assistent. Alle im Salon mit dem hochflorigen Teppichboden und den hauchdünnen Teetassen schauen grimmig drein, ausnahmslos alle.
Wer mein Vorgänger/meine Vorgängerin war, die hier die Stimmung verhagelt hat, weiß ich nicht, ich bin der Person nicht begegnet. Ist mir auch egal. Ich denke mir: Auf die ersten Minuten kommt es an. Händedruck des Regisseurs: fest. Meiner: fester. Zwerchfellatmung, meine Glieder sind schwer, die Stimme kommt tief aus dem Oberkörper, ich gebe ihr Raum. Der Salon Großer Kurfürst ist meine Bühne. Alle sind vom Fach.
Ich setze mich hin, frage die Journalisten, ob der Dolmetschmodus genehm ist (Fragen simultan, Antworten konsekutiv), erkläre rasch dem Regisseur diese Präliminarien. Dann kommt die erste Frage, ich mache meinen Job. Nur das, ruhig und mit fester, tiefer Stimme.
Die Spannung der Anwesenden fällt ab, ihre Mienen hellen sich auf ... und so, wie die Küken der Henne folgen, so folgen jetzt die Zuschauer dem PR-Chef. Man zieht sich ins Nebenzimmer zurück. Der Regisseur fängt an zu strahlen, die Interviews nehmen ihren Lauf. Stunden später werde ich mit Handkuss verabschiedet.
Linktipp: Michael Streck vom Stern schreibt höchst passend über die PR-Dame.
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Foto: C.E. (Archiv, ein entspannteres Interview)
Der Job war längst abgesagt. Die Antwort der Presseagentur, die den Film betreut, war eindeutig gewesen: "Wir haben uns für eine günstigeres Angebot entschieden." (Über die leidige Preisthematik schrieb ich hier.) Als das günstigere Angebot die Arbeit aufnimmt, habe ich nicht viel zu tun, ein schöner Nachmittag, ich chille mit einer Freundin aus Paris im Café. Da ruft die PR-Dame an: "Können Sie bitte sofort ins Hotel XYZ kommen?" Das Haus hat fünf Sterne. Der Taxistand ist gleich um die Ecke, ich eile ...
Claude Chabrol und die Autorin (2009) |
Wer mein Vorgänger/meine Vorgängerin war, die hier die Stimmung verhagelt hat, weiß ich nicht, ich bin der Person nicht begegnet. Ist mir auch egal. Ich denke mir: Auf die ersten Minuten kommt es an. Händedruck des Regisseurs: fest. Meiner: fester. Zwerchfellatmung, meine Glieder sind schwer, die Stimme kommt tief aus dem Oberkörper, ich gebe ihr Raum. Der Salon Großer Kurfürst ist meine Bühne. Alle sind vom Fach.
Ich setze mich hin, frage die Journalisten, ob der Dolmetschmodus genehm ist (Fragen simultan, Antworten konsekutiv), erkläre rasch dem Regisseur diese Präliminarien. Dann kommt die erste Frage, ich mache meinen Job. Nur das, ruhig und mit fester, tiefer Stimme.
Die Spannung der Anwesenden fällt ab, ihre Mienen hellen sich auf ... und so, wie die Küken der Henne folgen, so folgen jetzt die Zuschauer dem PR-Chef. Man zieht sich ins Nebenzimmer zurück. Der Regisseur fängt an zu strahlen, die Interviews nehmen ihren Lauf. Stunden später werde ich mit Handkuss verabschiedet.
Linktipp: Michael Streck vom Stern schreibt höchst passend über die PR-Dame.
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Foto: C.E. (Archiv, ein entspannteres Interview)
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Samstag, 11. Februar 2017
Berlinalehektik
Im zehnten Jahr führe ich hier mein öffentliches Arbeitstagebuch als Dolmetscherin und Übersetzerin. Als freiberufliche
Sprachmittlerin arbeite ich in Paris, Heidelberg und Marseille — und schreibe derzeit aus Berlin.
Früher wurden die Aufträge fürs Interviewdolmetschen in den Wochen vor Beginn der Berlinale vergeben. Die Einsatzplanung ging Ende Januar los, am ersten Tag des Filmfestivals stand der eigene Terminplan. Fünf bis zehn Prozent ergaben sich dann spontan.
Heute ist der Montag vor Berlinalestart als erster Planungstag offenbar die Regel. Und die gleichen fünf bis zehn Prozent, die früher die Ausreißer waren, sind heute die länger vorab geplanten Termine.
Das Internet scheint viele in der trügerischen Annahme zu wiegen, dass jederzeit jemand zu finden ist ...
Einschub: Noch ein Aspekt, denn Qualitätsunterschiede scheinen als Kriterium bei der Buchung nicht mehr im Vordergrund zu stehen, vermutlich, weil die Presseberichterstattung insgesamt an Bedeutung verloren hat. Auch das hängt mit dem Netz zusammen: Die Internetwirtschaft hat viel Geld aus den Printmedien abgezogen, infolgedessen wurde auch der Filmberichterstattung weniger Platz eingeräumt und ihre Bezahlung nicht mehr an den Kaufkraftverlust angepasst. Weniger Kritikerpersönlichkeiten, auf deren Meinung über den Film die Leser einst gewartet haben, konnten sich äußern bzw. neue Stimmen herausbilden. Einschubende.
So eine Last Minute-Buchung hindert mich als Profi alter Prägung schlimmstenfalls daran, von den Regisseuren, für die ich arbeite, noch andere Filme zu sehen, sofern ich sie noch nicht kenne. Vorbereitung ist wichtig. Früher, als Filme des Wettbewerbs noch simultan verdolmetscht wurden, waren viel mehr Sprachprofis akkreditiert. Mit diesen Mitarbeiterausweisen kamen wir überall rein. Es war normal, dass wir als Dolmetscherinnen und Dolmetscher uns neben den Einsätzen weiterbilden, die Regisseurinnen/-eure und anderen Talente beobachten. Mag er oder sie auch dieses Jahr nicht relevant sein, nächstes Jahr kann's anders sein.
Grundsätzlich muss ich einen Fim gesehen haben, bevor ich ein Gespräch dazu dolmetsche, sonst sage ich ab. Heute bekomme ich leider nicht mehr nur von Platzanweisern Sätze zu hören wie: "Sie müssen den Film nicht kennen, Sie müssen ja nur die Wörter dolmetschen."
Im Weißen Haus sitzt ein kulturferner ("Ich hasse Bücher"), verhaltensauffälliger Opa, der vom Politgeschäft keinen blassen Schimmer hat. Er ist die Spitze des Eisbergs. Wieso sind Bildungsverachtung und mangelnder Professionalismus eigentlich gerade so groß in Mode? Ist es eine irrationale Anbiederung an die Bildungsfernen, vor denen zugleich die Angst immer mehr wächst?
Liegt es daran, dass viele Kulturverwalter insgeheim davon träumen, selbst Kulturschaffende zu sein, sich das aber nicht zugetraut haben und nun von untergründig wirksamen Rachegefühlen bewegt sind? Und warum wirkt sich das erst jetzt aus? Vielleicht sind diese Menschen früher viel eher von den normalen Wirtschaftsbetrieben aufgesogen worden. Ganz sicher gibt es jetzt in Zeiten, in denen nur noch wenige Industriearbeitsplätze in Deutschland übriggeblieben sind, viel mehr dieser Kulturverwalter.
Menge und Hintergrund dieser Entscheider sagt nichts über ihre Richtung aus.
Die Frage ist alles andere als rhetorisch gemeint. Ich verstehe das wirklich nicht.
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Foto: C.E.
Im Festivalpalast |
Heute ist der Montag vor Berlinalestart als erster Planungstag offenbar die Regel. Und die gleichen fünf bis zehn Prozent, die früher die Ausreißer waren, sind heute die länger vorab geplanten Termine.
Das Internet scheint viele in der trügerischen Annahme zu wiegen, dass jederzeit jemand zu finden ist ...
Einschub: Noch ein Aspekt, denn Qualitätsunterschiede scheinen als Kriterium bei der Buchung nicht mehr im Vordergrund zu stehen, vermutlich, weil die Presseberichterstattung insgesamt an Bedeutung verloren hat. Auch das hängt mit dem Netz zusammen: Die Internetwirtschaft hat viel Geld aus den Printmedien abgezogen, infolgedessen wurde auch der Filmberichterstattung weniger Platz eingeräumt und ihre Bezahlung nicht mehr an den Kaufkraftverlust angepasst. Weniger Kritikerpersönlichkeiten, auf deren Meinung über den Film die Leser einst gewartet haben, konnten sich äußern bzw. neue Stimmen herausbilden. Einschubende.
So eine Last Minute-Buchung hindert mich als Profi alter Prägung schlimmstenfalls daran, von den Regisseuren, für die ich arbeite, noch andere Filme zu sehen, sofern ich sie noch nicht kenne. Vorbereitung ist wichtig. Früher, als Filme des Wettbewerbs noch simultan verdolmetscht wurden, waren viel mehr Sprachprofis akkreditiert. Mit diesen Mitarbeiterausweisen kamen wir überall rein. Es war normal, dass wir als Dolmetscherinnen und Dolmetscher uns neben den Einsätzen weiterbilden, die Regisseurinnen/-eure und anderen Talente beobachten. Mag er oder sie auch dieses Jahr nicht relevant sein, nächstes Jahr kann's anders sein.
Grundsätzlich muss ich einen Fim gesehen haben, bevor ich ein Gespräch dazu dolmetsche, sonst sage ich ab. Heute bekomme ich leider nicht mehr nur von Platzanweisern Sätze zu hören wie: "Sie müssen den Film nicht kennen, Sie müssen ja nur die Wörter dolmetschen."
Im Weißen Haus sitzt ein kulturferner ("Ich hasse Bücher"), verhaltensauffälliger Opa, der vom Politgeschäft keinen blassen Schimmer hat. Er ist die Spitze des Eisbergs. Wieso sind Bildungsverachtung und mangelnder Professionalismus eigentlich gerade so groß in Mode? Ist es eine irrationale Anbiederung an die Bildungsfernen, vor denen zugleich die Angst immer mehr wächst?
Liegt es daran, dass viele Kulturverwalter insgeheim davon träumen, selbst Kulturschaffende zu sein, sich das aber nicht zugetraut haben und nun von untergründig wirksamen Rachegefühlen bewegt sind? Und warum wirkt sich das erst jetzt aus? Vielleicht sind diese Menschen früher viel eher von den normalen Wirtschaftsbetrieben aufgesogen worden. Ganz sicher gibt es jetzt in Zeiten, in denen nur noch wenige Industriearbeitsplätze in Deutschland übriggeblieben sind, viel mehr dieser Kulturverwalter.
Menge und Hintergrund dieser Entscheider sagt nichts über ihre Richtung aus.
Die Frage ist alles andere als rhetorisch gemeint. Ich verstehe das wirklich nicht.
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Foto: C.E.
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Freitag, 10. Februar 2017
Berlinalesplitter 1
Im Februar steppt in Berlin wieder der Berlinalebär. Viel Holz, das Festival: Offiziell um die 400 Filme, dazu mindestens weitere 200 auf dem Markt ... und jeder Kreative, das ist gefühlt jeder Zweite, hat mindestens drei Filmideen im Gepäck. Wo gehobelt wird, fallen Späne, manchmal splittert das Holz. Hier werde ich ab und zu (und natürlich völlig subjektiv) abends einige davon zusammentragen.
Es geht los mit zwei Empfängen und einem Film mit Diskussion. Ist das Verschwinden der deutschen Sprache (und etlicher anderer Idiome) von der Berlinale nur unter
uns Spracharbeitern ein Thema?
Ein älterer Regisseur aus der "ehemaligen Ex-DDR" bei einem Filmgespräch in einer Off-Vorführung. Er nennt sich selbst eine "Runzelfresse".
Er spricht sehr wenig Englisch, weswegen ich später im Foyer kurz für ihn dolmetsche. Hätte das Gespräch auf Englisch stattgefunden, wäre die Radikalität seiner Selbstbetrachtung, aus der sich die zweite Hälfte der Diskussion gespeist hat, nicht zum Ausdruck gelangt.
Wie hätte ich das übertragen, wenn ich als Dolmetscherin dabei gewesen wäre (irgendwo in Frankreich)? Mit Nils Aguilar, dem man am Namen nicht anhört, dass Französisch seine Muttersprache ist, einige ich mich später auf gueule fripée.
Jan, Praktikant der Saalleitung in einer Berlinale-Nebensektion, über den ersten Abend: "500 Menschen kommen mit Tickets ins Kino, Kaufkarten und Tickets über die Fachbesucher- und Presseakkreditierungen. 100 Plätze haben wir für Buyer und Jury reserviert. Soweit Platz verfügbar ist, lassen wir kurz vor Filmstart noch weitere Journalisten und Fachbesucher rein. Von diesen 100 waren etwa die Hälfte englischsprachig. Die Diskussion fand auch auf Englisch statt. Drei Menschen haben Fragen gestellt, von denen zwei sehr flüssig Englisch gesprochen haben, die haben international versiert geklungen, außerdem eine deutsche Person, die auch auf Englisch gefragt hat."
Und weiter: "Die Fragen fand ich alle ziemlich flach. Drei Fragen sind super wenig, obwohl der Film welche aufgeworfen hat. Ich habe mir überlegt, was ich gefragt hätte. Dabei fiel mir auf, dass ich das auf Englisch nicht gekonnt hätte. — Wir haben einen syrischen Refugee im Team, der sehr gut Englisch spricht, mit ihm quatschen wir zwischendurch viel, das macht Spaß."
Elsa, eine amerikanische Filmproduzentin, die schon lange in Berlin lebt, kommentiert süffisant ihre Spracherlebnisse in der nicht mehr ganz so neuen Heimat: "In Mitte antworten alle immer gleich auf Englisch, wenn sie meinen Akzent hören. Da kann ich mich überhaupt nicht mehr auf Deutsch unterhalten. Ich mag die deutsche Sprache, die englische auch, aber komisch ist es schon. Alle müssen immer gleich beweisen, wie weltläufig sie sind."
Iacovos, ein griechischer Journalist, findet es großartig, dass die Berlinale alles auch auf Englisch anbietet. Ich hake nach. "Auch" auf Englisch? Im Wettbewerb, aus dem er gerade kommt, spielt auch Deutsch noch eine gewisse Rolle. Aber es stimme, woanders sei Deutsch nicht mehr vorhanden. Er habe gerade den Film "Django" gesehen, über den berühmten Musiker und Komponisten Django Reinhardt, in Frankreich geborener Sinto. Der Film, die Kritik dazu bei critic.de, spiele zum Teil in der deutschen Besatzungszeit. Er habe es komisch gefunden, dass ein festliches Ereignis in der deutschen Hauptstadt mit einem Film aufgemacht werde, in dem Deutsche die Bösen seien, die z.B. ein Sintilager mit Flammenwerfer niederbrennen würden. Würden sich die Deutschen gerne so sehen?
Der Journalist, der seit neun Jahren zur Berlinale kommt, meint, dass den Deutschen der Film unmöglich gefallen könne. Ich erkläre ihm die Sache mit der Vergangenheit, die nicht vergehen will, den selbstkritischen Umgang der Deutschen in den letzten Jahrzehnten ... nach Jahrzehnten der Verdrängung. Wir verabreden uns auf ein längeres Gespräch.
Die Frau eines Theater- und Filmkritikers, ihren Vornamen werde ich nachtragen, hält die Abschaffung der deutschen Sprache für schiere Selbstverleugnung. "Die Deutschen und die Spätfolgen des 'Dritten Reichs'", sagt sie und verdreht dabei die Augen. "Englisch-Muttersprachler haben damit überall einen Sprachvorteil, das ist ein hochpolitisches Thema, denn Sprache ist Macht."
In der U-Bahn hängt unter der Decke ein kleiner Monitor, dort wirbt die BZ: "Berlinale eröffnet! Hollywood ist zurück in Berlin." Das Ausbluten des deutschen Kulturbetriebs in den braunen Jahren einschließlich der Filmproduktion ist noch heute zu spüren. Talente, die Talente heranziehen, die wiederum ... ergibt zu viele Menschen, die heute fehlen. Die Wahrnehmung der Berlinale durch die Boulevardpresse spricht da Bände.
Dann höre ich, wie Passagiere von Mitreisenden mitten in der Nacht auf Englisch wissen möchten, ob ein Platz verfügbar sei. Nicht erst auf Deutsch, sondern gleich auf Englisch. Weder Sprecher noch Angesprochene sahen irgendwie fremd aus.
Die Frage der kulturellen Identität, der mangelnden Pflege auch eines positiver besetzten historischen Bewusstseins, die deutsche Geschichte lässt sich nicht auf die Nazizeit reduzieren, wird derzeit nur von rechtsextremer Seite gestellt. Links, in einfachen Milieus und in der bürgerlichen Mitte dominiert das Schweigen. Warum eigentlich sollten wir den AfDlern und "Identitären" dieses Feld überlassen?
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Foto: C.E. (zum geringsten Teil der Ort
des beschriebenen Geschehens)
Babylon-Mitte |
Ein älterer Regisseur aus der "ehemaligen Ex-DDR" bei einem Filmgespräch in einer Off-Vorführung. Er nennt sich selbst eine "Runzelfresse".
Er spricht sehr wenig Englisch, weswegen ich später im Foyer kurz für ihn dolmetsche. Hätte das Gespräch auf Englisch stattgefunden, wäre die Radikalität seiner Selbstbetrachtung, aus der sich die zweite Hälfte der Diskussion gespeist hat, nicht zum Ausdruck gelangt.
Wie hätte ich das übertragen, wenn ich als Dolmetscherin dabei gewesen wäre (irgendwo in Frankreich)? Mit Nils Aguilar, dem man am Namen nicht anhört, dass Französisch seine Muttersprache ist, einige ich mich später auf gueule fripée.
Jan, Praktikant der Saalleitung in einer Berlinale-Nebensektion, über den ersten Abend: "500 Menschen kommen mit Tickets ins Kino, Kaufkarten und Tickets über die Fachbesucher- und Presseakkreditierungen. 100 Plätze haben wir für Buyer und Jury reserviert. Soweit Platz verfügbar ist, lassen wir kurz vor Filmstart noch weitere Journalisten und Fachbesucher rein. Von diesen 100 waren etwa die Hälfte englischsprachig. Die Diskussion fand auch auf Englisch statt. Drei Menschen haben Fragen gestellt, von denen zwei sehr flüssig Englisch gesprochen haben, die haben international versiert geklungen, außerdem eine deutsche Person, die auch auf Englisch gefragt hat."
Und weiter: "Die Fragen fand ich alle ziemlich flach. Drei Fragen sind super wenig, obwohl der Film welche aufgeworfen hat. Ich habe mir überlegt, was ich gefragt hätte. Dabei fiel mir auf, dass ich das auf Englisch nicht gekonnt hätte. — Wir haben einen syrischen Refugee im Team, der sehr gut Englisch spricht, mit ihm quatschen wir zwischendurch viel, das macht Spaß."
Elsa, eine amerikanische Filmproduzentin, die schon lange in Berlin lebt, kommentiert süffisant ihre Spracherlebnisse in der nicht mehr ganz so neuen Heimat: "In Mitte antworten alle immer gleich auf Englisch, wenn sie meinen Akzent hören. Da kann ich mich überhaupt nicht mehr auf Deutsch unterhalten. Ich mag die deutsche Sprache, die englische auch, aber komisch ist es schon. Alle müssen immer gleich beweisen, wie weltläufig sie sind."
Iacovos, ein griechischer Journalist, findet es großartig, dass die Berlinale alles auch auf Englisch anbietet. Ich hake nach. "Auch" auf Englisch? Im Wettbewerb, aus dem er gerade kommt, spielt auch Deutsch noch eine gewisse Rolle. Aber es stimme, woanders sei Deutsch nicht mehr vorhanden. Er habe gerade den Film "Django" gesehen, über den berühmten Musiker und Komponisten Django Reinhardt, in Frankreich geborener Sinto. Der Film, die Kritik dazu bei critic.de, spiele zum Teil in der deutschen Besatzungszeit. Er habe es komisch gefunden, dass ein festliches Ereignis in der deutschen Hauptstadt mit einem Film aufgemacht werde, in dem Deutsche die Bösen seien, die z.B. ein Sintilager mit Flammenwerfer niederbrennen würden. Würden sich die Deutschen gerne so sehen?
Der Journalist, der seit neun Jahren zur Berlinale kommt, meint, dass den Deutschen der Film unmöglich gefallen könne. Ich erkläre ihm die Sache mit der Vergangenheit, die nicht vergehen will, den selbstkritischen Umgang der Deutschen in den letzten Jahrzehnten ... nach Jahrzehnten der Verdrängung. Wir verabreden uns auf ein längeres Gespräch.
Die Frau eines Theater- und Filmkritikers, ihren Vornamen werde ich nachtragen, hält die Abschaffung der deutschen Sprache für schiere Selbstverleugnung. "Die Deutschen und die Spätfolgen des 'Dritten Reichs'", sagt sie und verdreht dabei die Augen. "Englisch-Muttersprachler haben damit überall einen Sprachvorteil, das ist ein hochpolitisches Thema, denn Sprache ist Macht."
In der U-Bahn hängt unter der Decke ein kleiner Monitor, dort wirbt die BZ: "Berlinale eröffnet! Hollywood ist zurück in Berlin." Das Ausbluten des deutschen Kulturbetriebs in den braunen Jahren einschließlich der Filmproduktion ist noch heute zu spüren. Talente, die Talente heranziehen, die wiederum ... ergibt zu viele Menschen, die heute fehlen. Die Wahrnehmung der Berlinale durch die Boulevardpresse spricht da Bände.
Dann höre ich, wie Passagiere von Mitreisenden mitten in der Nacht auf Englisch wissen möchten, ob ein Platz verfügbar sei. Nicht erst auf Deutsch, sondern gleich auf Englisch. Weder Sprecher noch Angesprochene sahen irgendwie fremd aus.
Die Frage der kulturellen Identität, der mangelnden Pflege auch eines positiver besetzten historischen Bewusstseins, die deutsche Geschichte lässt sich nicht auf die Nazizeit reduzieren, wird derzeit nur von rechtsextremer Seite gestellt. Links, in einfachen Milieus und in der bürgerlichen Mitte dominiert das Schweigen. Warum eigentlich sollten wir den AfDlern und "Identitären" dieses Feld überlassen?
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Foto: C.E. (zum geringsten Teil der Ort
des beschriebenen Geschehens)
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Donnerstag, 9. Februar 2017
Berlinalerechnen
Bonjour and hello! Sie haben die Seiten eines Berliner Blogs angesteuert (oder
die Postings abonniert). Hier schreibt eine Dolmetscherin ... über Sprache und den
Arbeitsalltag. Die Berlinale wirft dieses Jahr komische Schatten voraus.
Heute Abend geht's los. Die ersten Gespräche waren schon gestern, schön im Hintergrund, hier geht's um künftige Filme. Jetzt kommt der Bericht über einen Fall, der absurd ist, aber leider einen Trend anzeigt, der dringend kritisiert gehört, weil er die Qualität der Ergebnisse weiter stark gefährdet.
Anfrage einer eingeführten Medienpresseagentur: Eine Stunde lang das Interview mit einem französischen Star dolmetschen an demunddem Tag, ob ich Lust hätte?
Lust habe ich schon, aber noch ehe ich meinen Preis sagen kann, bietet mir die Agenturdame 50 Euro an (in Worten: fünfzig).
Dann entsteht eine Pause.
Zum Glück breche ich kurz darauf in schallendes Gelächter aus. Ich hätte auch zutiefst erschüttert sein können. Ich frage sie, wie lange sie ihren Job schon mache. "Acht Jahre", lautet die Antwort.
Unerfahrenheit kann es also nicht sein. Ich rechne vor:
90 Minuten Filmdauer, zu sehen am Vorabend im Kino
60 Minuten Vorbereitung, Recherche und Ausdruck von Hintergrundmaterial
120 Minuten An- und Abreise an zwei Tagen, im Zug lese ich weiter
60 Minuten Zeitpuffer (bei der BVG ist nur Verlass darauf, dass kein Verlass ist)
60 Minuten Interview
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390 Minuten = 6,5 Stunden.
50 Euro / 6,5 Stunden = 7,69 Euro pro Stunde.
Ich habe die Dame darüber informiert, dass es in Deutschland einen Mindestlohn gibt. Eine Putzhilfe kostet in Berlin ca. 13 Euro die Stunde. Und den Profidolmetscherpreis genannt, 775 Euro für einen Tag ...
Dann kommt über mein Afrika-Netzwerk die Frage eines Übersetzerkollegen aus Marocco in meinen Briefkasten. Ein deutscher Motorhersteller möchte 50 Seiten technische Anleitung ins Französische übertragen lassen ... 500 Euro sind im Gespräch, der Kollege möchte sich vergewissern, ob der Preis in Ordnung sei. Den genauen Preis je Zeile, der in Deutschland für das Dokument üblich wäre, kann ich nicht nennen, ich habe es nie gesehen, weiß auch nicht, wie viele technische Abbildungen das Konvolut enthält. Aber ich schätze, der Preis dürfte auch eher beim Zehnfachen liegen ... Eine solche Vertragsvergabe könnte am Ende Menschenleben in Gefahr bringen.
Zurück zur Berlinale: Dem Vernehmen nach, der "Kunde" musste mir eine Ätschibätschi-Mail senden, macht den Job jetzt die Praktikantin einer befreundeten Firma, die nach einem Französischabitur ein Jahr als Au Pair-Girl in Paris war. Die Leute wollen's nicht kapieren!
Wechseln wir den Bereich: Ein Kilogramm zartes Rinderfilet vom Wagyu-Rind kostet 150 € oder mehr. Dazu Spargel von der anderen Seite der Welt, feinstes, arbeitsintensives Kartoffelgratin, Kaviar vorab und ... ich glaube, Sie wissen, was ich meine. Und das Ganze dann in billigstem Öl braten und anrichten, das heiß gepresst, unkontrolliert eingeführt worden ist und möglicherweise nicht ganz sauber ... Dieser Essensvergleich dürfte Dieter Kosslick gefallen. Ob er weiß, dass wir freien Spracharbeiter keine Akkreditierung mehr bekommen?
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Foto: C.E. (Archiv)
Heute Abend geht's los. Die ersten Gespräche waren schon gestern, schön im Hintergrund, hier geht's um künftige Filme. Jetzt kommt der Bericht über einen Fall, der absurd ist, aber leider einen Trend anzeigt, der dringend kritisiert gehört, weil er die Qualität der Ergebnisse weiter stark gefährdet.
Interviews im Hotel-Séparé |
Lust habe ich schon, aber noch ehe ich meinen Preis sagen kann, bietet mir die Agenturdame 50 Euro an (in Worten: fünfzig).
Dann entsteht eine Pause.
Zum Glück breche ich kurz darauf in schallendes Gelächter aus. Ich hätte auch zutiefst erschüttert sein können. Ich frage sie, wie lange sie ihren Job schon mache. "Acht Jahre", lautet die Antwort.
Unerfahrenheit kann es also nicht sein. Ich rechne vor:
90 Minuten Filmdauer, zu sehen am Vorabend im Kino
60 Minuten Vorbereitung, Recherche und Ausdruck von Hintergrundmaterial
120 Minuten An- und Abreise an zwei Tagen, im Zug lese ich weiter
60 Minuten Zeitpuffer (bei der BVG ist nur Verlass darauf, dass kein Verlass ist)
60 Minuten Interview
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390 Minuten = 6,5 Stunden.
50 Euro / 6,5 Stunden = 7,69 Euro pro Stunde.
Ich habe die Dame darüber informiert, dass es in Deutschland einen Mindestlohn gibt. Eine Putzhilfe kostet in Berlin ca. 13 Euro die Stunde. Und den Profidolmetscherpreis genannt, 775 Euro für einen Tag ...
Dann kommt über mein Afrika-Netzwerk die Frage eines Übersetzerkollegen aus Marocco in meinen Briefkasten. Ein deutscher Motorhersteller möchte 50 Seiten technische Anleitung ins Französische übertragen lassen ... 500 Euro sind im Gespräch, der Kollege möchte sich vergewissern, ob der Preis in Ordnung sei. Den genauen Preis je Zeile, der in Deutschland für das Dokument üblich wäre, kann ich nicht nennen, ich habe es nie gesehen, weiß auch nicht, wie viele technische Abbildungen das Konvolut enthält. Aber ich schätze, der Preis dürfte auch eher beim Zehnfachen liegen ... Eine solche Vertragsvergabe könnte am Ende Menschenleben in Gefahr bringen.
Zurück zur Berlinale: Dem Vernehmen nach, der "Kunde" musste mir eine Ätschibätschi-Mail senden, macht den Job jetzt die Praktikantin einer befreundeten Firma, die nach einem Französischabitur ein Jahr als Au Pair-Girl in Paris war. Die Leute wollen's nicht kapieren!
Wechseln wir den Bereich: Ein Kilogramm zartes Rinderfilet vom Wagyu-Rind kostet 150 € oder mehr. Dazu Spargel von der anderen Seite der Welt, feinstes, arbeitsintensives Kartoffelgratin, Kaviar vorab und ... ich glaube, Sie wissen, was ich meine. Und das Ganze dann in billigstem Öl braten und anrichten, das heiß gepresst, unkontrolliert eingeführt worden ist und möglicherweise nicht ganz sauber ... Dieser Essensvergleich dürfte Dieter Kosslick gefallen. Ob er weiß, dass wir freien Spracharbeiter keine Akkreditierung mehr bekommen?
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Foto: C.E. (Archiv)
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Mittwoch, 8. Februar 2017
Museum der Wörter 16
Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Heute im Wörtermuseum:
Begriffe, die für nicht mehr ganz junge Erwachsene nach Jugend klingen.
Diese Tage im Büro sind in Sachen Vielfalt wie ein solches Mix Tape. Wir haben heute die Kühe vom Eis geholt, dann Terminplanung die Fünfte für die Berlinale sowie für ein Großevent im März, die Buchübersetzung läuft weiter, die Nachbereitung eines Baustellentermins auch. Das ist ein Privatkunde.
Französische Medien interessieren sich für eine Meldung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), auch hier war etwas zu tun. Der Wohnungsbau gehe am Bedarf vorbei, besagt diese, es werde zu wenig gebaut ... und davon zu viele große (Luxus)Wohnungen. Aus einer aktuellen Studie gehe weiter hervor, dass dies nicht zum hohen Zuzug in den Städten und zur alternden Gesellschaft passen würde. Familien- und kleine Wohnungen seien rar.
Warum wundert mich, dass das als "News" verkauft wird? In Berlin weiß das jedes Schulkind. Und wir Spracharbeiter, die wir ab und zu auch "Newcomer" betreuen, allemal.
Zwischendurch übe ich mich im Pinselschwung zur Synapsenentwirrung. Das ist einer meiner Lerntipps: Regelmäßig etwas Neues lernen!
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Idee: H.F. / Foto: C.E.
Als es noch Cassettenrecorder gab, hat jeder von uns von einem Doppeldeck oder dem Zugang zu einem zweiten Gerät geträumt, damit konnten wir unsere Lieblingsmusik auf ein "Mix Tape" überspielen und der besten Freundin oder dem Angebeteten verehren.
Mixtape, Cassetti, Toncassette
Diese Tage im Büro sind in Sachen Vielfalt wie ein solches Mix Tape. Wir haben heute die Kühe vom Eis geholt, dann Terminplanung die Fünfte für die Berlinale sowie für ein Großevent im März, die Buchübersetzung läuft weiter, die Nachbereitung eines Baustellentermins auch. Das ist ein Privatkunde.
Draufsicht: am Kreativarbeitsplatz |
Warum wundert mich, dass das als "News" verkauft wird? In Berlin weiß das jedes Schulkind. Und wir Spracharbeiter, die wir ab und zu auch "Newcomer" betreuen, allemal.
Zwischendurch übe ich mich im Pinselschwung zur Synapsenentwirrung. Das ist einer meiner Lerntipps: Regelmäßig etwas Neues lernen!
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Idee: H.F. / Foto: C.E.
Dienstag, 7. Februar 2017
Der Balkonvogel
Zufällig oder absichtlich sind Sie auf den Seiten einer Dolmetscherin und Übersetzerin gelandet. Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin (DE und FR). Englisch ist nur die Ausgangssprache, die
sogenannte passive Sprache — und das auch nicht in allen Themen, die ich
als Dolmetscherin sonst bediene.
Den Balkonvogel habe ich vor Jahren mal auf einem
S-Bahnhof im Berliner Westen geschenkt bekommen. An einem kühlen Herbsttag sah
und fotografierte ich einen alten Mann diskret beim Flaschensammeln. Ich
finde, es ist ein Skandal, dass es hierzulande Menschen gibt, die ohne
das Sammeln von Pfand nicht gesund essen können, von gesellschaftlicher
Teilhabe ganz zu schweigen.
Ein asiatischer Blumenhändler hat mir den Vogel überreicht.
Er hat mein Fotografieren beobachtet. Ansonsten war der Bahnsteig leer. Ich habe den alten Mann unbemerkt und schnell fotografiert, die Knipse immer gleich wieder im Ärmel verschwinden lassen und mich langsam weggedreht, weil ich dem Betreffenden nicht auch die Würde nehmen möchte, wie es in Deutschland die Armutsverwaltung tagtäglich macht. Deshalb habe ich am Ende die Bilder nie veröffentlicht, auf denen der Mann übrigens maximal an Mantel, Schal und Ort zu erkennen ist.
Er war eine elegante Erscheinung, den Bewegungen nach ein Herr. Er ging seelenruhig zur Sache und würdigte nichts und niemanden eines Blickes. Dann betrat er die Rolltreppe, die zum Gleis auf der Brücke führt. Sie liegt ebenfalls in der Sichtachse des Blumenladens. Ich gemächlich hinterher, möglicher Fotos wegen; mein Zug kam noch lange nicht, Berliner S-Bahn halt. Als der alte Mann etwa auf der Hälfte der Rolltreppe war, fing er an zu schwanken, erst leicht, dann stark. Ich hatte gerade noch Zeit, hochzurennen und ihn aufzufangen, stemmte mich mit aller Wucht gegen ihn in Sorge, mitgerissen zu werden. Da spürte ich im Rücken, wie der Blumenhändler vom unteren Gleis mit anpackte.
Darauf folgte der Klassiker: Stabile Seitenlage, Foliendecke, Krankenwagen, Angabe der Personalien. Der asiatische Blumenhändler hat uns in der Zwischenzeit mit heißem Tee versorgt. Und mir zum Abschied den Vogel geschenkt.
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Illustration: C.E.
Aus Metall mit Stab daran |
Ein asiatischer Blumenhändler hat mir den Vogel überreicht.
Er hat mein Fotografieren beobachtet. Ansonsten war der Bahnsteig leer. Ich habe den alten Mann unbemerkt und schnell fotografiert, die Knipse immer gleich wieder im Ärmel verschwinden lassen und mich langsam weggedreht, weil ich dem Betreffenden nicht auch die Würde nehmen möchte, wie es in Deutschland die Armutsverwaltung tagtäglich macht. Deshalb habe ich am Ende die Bilder nie veröffentlicht, auf denen der Mann übrigens maximal an Mantel, Schal und Ort zu erkennen ist.
Er war eine elegante Erscheinung, den Bewegungen nach ein Herr. Er ging seelenruhig zur Sache und würdigte nichts und niemanden eines Blickes. Dann betrat er die Rolltreppe, die zum Gleis auf der Brücke führt. Sie liegt ebenfalls in der Sichtachse des Blumenladens. Ich gemächlich hinterher, möglicher Fotos wegen; mein Zug kam noch lange nicht, Berliner S-Bahn halt. Als der alte Mann etwa auf der Hälfte der Rolltreppe war, fing er an zu schwanken, erst leicht, dann stark. Ich hatte gerade noch Zeit, hochzurennen und ihn aufzufangen, stemmte mich mit aller Wucht gegen ihn in Sorge, mitgerissen zu werden. Da spürte ich im Rücken, wie der Blumenhändler vom unteren Gleis mit anpackte.
Darauf folgte der Klassiker: Stabile Seitenlage, Foliendecke, Krankenwagen, Angabe der Personalien. Der asiatische Blumenhändler hat uns in der Zwischenzeit mit heißem Tee versorgt. Und mir zum Abschied den Vogel geschenkt.
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Illustration: C.E.
Kategorien:
Am Wegesrand aufgelesen
Montag, 6. Februar 2017
FGM
Willkommen beim ersten Blog Deutschlands aus der Dolmetscherkabine. Ich arbeite in den Bereichen Wirtschaft und Politik, Soziales und Kultur. Manche Jobs sind nicht einfach, weil die Themen belastend sind. Heute: Rückblick auf einen Termin vor mehr als drei Jahren.
Heute ist der internationale Tag gegen Genitalverstümmelung (FGM). Es ist mir unverständlich, dass diese grausame Praxis nicht längst überwunden ist. Alle elf Sekunden wird irgendwo auf der ein Mädchen beschnitten, jedes dritte stirbt nach dem Eingriff, viele leiden lebenslänglich an den Folgen. 2013 schrieb ich hier und hier darüber.
Damals habe ich für eine junge Patientin aus Afrika gedolmetscht, die in Berlin behandelt worden ist.
Die damals 19-jährige Inab war eine der ersten Patientinnen des von Waris Dirie in Berlin gegründeten Desert Flower-Center. Dank Spenden wird hier auch mittellosen genitalverstümmelten Frauen geholfen.
Hier wurde ein TV-Beitrag über die junge Frau produziert. Wichtig war, dass ich sehr schnell eine gemeinsame Basis mit Inab finden konnte.
Dolmetschen ist in solchen Momenten auch kulturelle Vermittlungsarbeit zwischen den Geschlechtern und den Kulturen, zwischen einem jungen Menschen mit traumatischen Erfahrungen und nicht mehr ganz so jungen, ohne lebensbedrohliche Erlebnisse aufgewachsenen Westeuropäern.
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Fotos: C.E.
Wie Sie spenden können, steht hier.
Heute ist der internationale Tag gegen Genitalverstümmelung (FGM). Es ist mir unverständlich, dass diese grausame Praxis nicht längst überwunden ist. Alle elf Sekunden wird irgendwo auf der ein Mädchen beschnitten, jedes dritte stirbt nach dem Eingriff, viele leiden lebenslänglich an den Folgen. 2013 schrieb ich hier und hier darüber.
Damals habe ich für eine junge Patientin aus Afrika gedolmetscht, die in Berlin behandelt worden ist.
Die damals 19-jährige Inab war eine der ersten Patientinnen des von Waris Dirie in Berlin gegründeten Desert Flower-Center. Dank Spenden wird hier auch mittellosen genitalverstümmelten Frauen geholfen.
Hier wurde ein TV-Beitrag über die junge Frau produziert. Wichtig war, dass ich sehr schnell eine gemeinsame Basis mit Inab finden konnte.
Dolmetschen ist in solchen Momenten auch kulturelle Vermittlungsarbeit zwischen den Geschlechtern und den Kulturen, zwischen einem jungen Menschen mit traumatischen Erfahrungen und nicht mehr ganz so jungen, ohne lebensbedrohliche Erlebnisse aufgewachsenen Westeuropäern.
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Fotos: C.E.
Wie Sie spenden können, steht hier.
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Medien
Sonntag, 5. Februar 2017
Wasserfarben
Bonjour, hello, guten Tag! Hier bloggt eine
Französischdolmetscherin und -übersetzerin über ihren Alltag
(Ich übersetze auch aus dem Englischen). Ich arbeite in Berlin, Paris, Köln, Lyon, Saarbrücken und dort, wo Sie mich brauchen. Sonntags werde ich privat.
Um den Kopf zu entspannen, mache ich gerne neue Sachen. Oder aber ich übe mich weiter in Dingen, die ich vor vielen Jahren mal einigermaßen gekonnt habe. Ich habe großen Spaß dabei und das Gehirn entspannt es auch. Die Fische von heute sind klassischer als die von vor etwas mehr als einem Jahr. Nächstes Motiv: Der Metallvogel vom Balkon am langen Stab, der mir die Saatgutfresser fernhält.
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Illustration: C.E.
Um den Kopf zu entspannen, mache ich gerne neue Sachen. Oder aber ich übe mich weiter in Dingen, die ich vor vielen Jahren mal einigermaßen gekonnt habe. Ich habe großen Spaß dabei und das Gehirn entspannt es auch. Die Fische von heute sind klassischer als die von vor etwas mehr als einem Jahr. Nächstes Motiv: Der Metallvogel vom Balkon am langen Stab, der mir die Saatgutfresser fernhält.
Dankbares Bildmotiv: Fische |
Illustration: C.E.
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Sonntagsbilder
Freitag, 3. Februar 2017
Kopfnüsse
Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mitten in ein Arbeitstagebuch hineingeraten, in dem sich alles um Sprache, Dolmetschen, Übersetzen und Kulturen dreht. Als freiberufliche Sprachmittlerin arbeite ich in Paris, Berlin, Marseille, Heidelberg und dort, wo man mich braucht.
Rückblick auf einen typischen Donnerstag. Morgens: Weiter mit der Buchübersetzung. Ich arbeite am liebsten ungestört morgens einen Schwung, wenn der Tag noch frisch ist. Am späten Vormittag: Mühe für die Kühe, Teil drei. Der Sohn des Unternehmers, der sowohl in Berlin als auch in der türkischen Heimat tätig ist, hat die Fakten für mich notiert.
Wer errät, wie alt das Kind ist, dem schenke ich einen Text. (Der erste richtige Kommentar gewinnt.)
Der Zettel bestätigt mich in meiner Forderung nach Ganztagsschulen, nach mehr Schulpaten und mehr Stadt in den Schulen.
Ab dem Mittag: Berlinalebuchungen und Frühjahrsplanung. Abends: Kongress dolmetschen. Vorher erinnern wir die Veranstalter wiederholt an Vorbereitungsmaterial. Aber nichts. Das hatte ich gerade erst, das wird langweilig! Es geht um die Rolle der Kultur in unseren krisenbehafteten Gesellschaften. Das sollte aus dem Stand zu machen sein. Aber es wird ein Einführungsvortrag gehalten werden. Den hätte die Routineabteilung dann doch gerne.
Zwischendurch Stilüberlegungen, denn der Hinterkopf arbeitet weiter am Buch.
Schreiben und Übersetzen bedeutet Schleifen und Schnitzen. Sorry für den Beinahe-Kalauer, denn ich komme auf Schnitzler. Zitat: "Jedes Wort hat fließende Grenzen. Diese Tatsache zu ästhetischer Wirkung auszunützen ist das Geheimnis des Stils."
Und eine Malübung, das hier ist der Anfang: Im März haben wir zwei bis fünf Ausgangssprachen und fünf Zielsprachen. Wie viele Dolmetscher werden insgesamt in wievielen Kabinen sitzen?
Kurz nachdem ich das Haus verlassen habe, landet der Text des Einführungsvortrags im Mailbriefkasten. Zum Glück hat uns am Zielort jemand Ausdrucke in die Kabine gelegt: Fünf Minuten Vorbereitung für neun Seiten geisteswissenschaftliche Rede, gespickt mit schönen, wohlüberlegten Formulierungen. Die Höflichkeit verbietet mir jeden Kommentar. Und wäre das nicht genug, wird die Rednerin diesen in doppelter Sprechgeschwindigkeit verlesen.
Der Kollege, dem die Aufgabe der Verdolmetschung zukommt, leistet ganze Arbeit. Er hat mir 30 Berufsjahre Erfahrung voraus (wenn das mal reicht) und ist auf geisteswissenschaftliche Fachtexte spezialisiert. Auch wenn in der französischen Sprechfassung etliche fließende Grenzen verwischen, die ästhetische Wirkung des Ausgangstexts schafft er rüberzubringen, es grenzt an ein Wunder. Hab ich ein Glück mit meinem Kabinendoppel! Anschließend Adrenalinabbau im Restaurant.
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Fotos: C.E.
Die Ebenen sind durcheinander: Ablauf, Zeit, Rede, Taktik |
Wer errät, wie alt das Kind ist, dem schenke ich einen Text. (Der erste richtige Kommentar gewinnt.)
Der Zettel bestätigt mich in meiner Forderung nach Ganztagsschulen, nach mehr Schulpaten und mehr Stadt in den Schulen.
Ab dem Mittag: Berlinalebuchungen und Frühjahrsplanung. Abends: Kongress dolmetschen. Vorher erinnern wir die Veranstalter wiederholt an Vorbereitungsmaterial. Aber nichts. Das hatte ich gerade erst, das wird langweilig! Es geht um die Rolle der Kultur in unseren krisenbehafteten Gesellschaften. Das sollte aus dem Stand zu machen sein. Aber es wird ein Einführungsvortrag gehalten werden. Den hätte die Routineabteilung dann doch gerne.
Zwischendurch Stilüberlegungen, denn der Hinterkopf arbeitet weiter am Buch.
Oder hilft eine Excel-Tabelle? Brüssel im Kleinen |
Und eine Malübung, das hier ist der Anfang: Im März haben wir zwei bis fünf Ausgangssprachen und fünf Zielsprachen. Wie viele Dolmetscher werden insgesamt in wievielen Kabinen sitzen?
Kurz nachdem ich das Haus verlassen habe, landet der Text des Einführungsvortrags im Mailbriefkasten. Zum Glück hat uns am Zielort jemand Ausdrucke in die Kabine gelegt: Fünf Minuten Vorbereitung für neun Seiten geisteswissenschaftliche Rede, gespickt mit schönen, wohlüberlegten Formulierungen. Die Höflichkeit verbietet mir jeden Kommentar. Und wäre das nicht genug, wird die Rednerin diesen in doppelter Sprechgeschwindigkeit verlesen.
Der Kollege, dem die Aufgabe der Verdolmetschung zukommt, leistet ganze Arbeit. Er hat mir 30 Berufsjahre Erfahrung voraus (wenn das mal reicht) und ist auf geisteswissenschaftliche Fachtexte spezialisiert. Auch wenn in der französischen Sprechfassung etliche fließende Grenzen verwischen, die ästhetische Wirkung des Ausgangstexts schafft er rüberzubringen, es grenzt an ein Wunder. Hab ich ein Glück mit meinem Kabinendoppel! Anschließend Adrenalinabbau im Restaurant.
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Fotos: C.E.
Kategorien:
Alltag
Donnerstag, 2. Februar 2017
Goldener Saal
Bonjour, hello, guten Tag! Hier bloggt seit fast zehn Jahren eine
Übersetzerin und Dolmetscherin. Die Vielfalt meiner Arbeit ist immer wieder schön.
Es gibt Einsätze, die sind so nur in Berlin möglich. Ich liebe meine Stadt dafür. Und lerne fleißig neue Vokabeln dafür. Der Donaudampfschiffartskapitänshosenknopf ist gar nichts. Ich sage nur:
Ehefähigkeitszeugnisbeibringungsbefreiungsantragskostenzahlungsformulardoppel.
Berlin-Schöneberg: Ich dolmetsche bei einer LGBT*-Eheschließung im Goldenen Saal, in dem ich schon für die Schöneberger Erklärung für Vielfalt und Respekt tätig war. Am Ende verabschiede ich mich bei der Braut: "Au revoir, junge Frau !" Selbige darauf mit strengem Ton: "Aber Caro, ich bin doch keine Frau!" Ich muss mich daran erst gewöhnen.
LGBT* ist die englische Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender. Das Sternchen steht für die unbekannten Auslassungen. Gesprochen wird das Sternchen meines Wissens nicht. Zwei LGBT*ler ergeben gelegentlich vor dem deutschen Staat ein ehefähiges Paar, sofern sie dieses wünschen.
Die Kinder aus dem früheren Leben der Braut, die keine ist, sie sind im Rathaus mit rumgesprungen, zwei süße Mäuse im Grundschulalter, sahen aus wie Kästners Emil und Pony Hütchen (von den Detektiven): Er in zu großer Anzugjacke mit Fliege und Schiebermütze, sie im rosafarbenen Kleidchen, dazu Zopf und kecker Blick unter dem Schopf. Zu meiner Überraschung kannten die Kinder diesen Autor nicht. Das darf natürlich nicht so bleiben. Ich weiß, was die Gören demnächst bekommen. Und so lernen wir alle hinzu, die Kinder was über die Zeit und die Literaturgeschichte ihres Wohnviertels und ich Vokabeln und Situationen.
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Foto: C.E.
Es gibt Einsätze, die sind so nur in Berlin möglich. Ich liebe meine Stadt dafür. Und lerne fleißig neue Vokabeln dafür. Der Donaudampfschiffartskapitänshosenknopf ist gar nichts. Ich sage nur:
Ehefähigkeitszeugnisbeibringungsbefreiungsantragskostenzahlungsformulardoppel.
Und noch eine Unterschrift ... |
LGBT* ist die englische Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender. Das Sternchen steht für die unbekannten Auslassungen. Gesprochen wird das Sternchen meines Wissens nicht. Zwei LGBT*ler ergeben gelegentlich vor dem deutschen Staat ein ehefähiges Paar, sofern sie dieses wünschen.
Die Kinder aus dem früheren Leben der Braut, die keine ist, sie sind im Rathaus mit rumgesprungen, zwei süße Mäuse im Grundschulalter, sahen aus wie Kästners Emil und Pony Hütchen (von den Detektiven): Er in zu großer Anzugjacke mit Fliege und Schiebermütze, sie im rosafarbenen Kleidchen, dazu Zopf und kecker Blick unter dem Schopf. Zu meiner Überraschung kannten die Kinder diesen Autor nicht. Das darf natürlich nicht so bleiben. Ich weiß, was die Gören demnächst bekommen. Und so lernen wir alle hinzu, die Kinder was über die Zeit und die Literaturgeschichte ihres Wohnviertels und ich Vokabeln und Situationen.
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Foto: C.E.
Kategorien:
Arbeitsplätze,
Sprachschatz
Mittwoch, 1. Februar 2017
Fahrt ins Blaue
Bonjour, hello, guten Tag. Hier bloggt eine Übersetzerin und
Dolmetscherin (DE und FR). Englisch ist nur die Ausgangssprache, die
sogenannte passive Sprache — und das auch nicht in allen Themen. Ich arbeite in Berlin, Paris, Heidelberg, München, Marseille und (fast) überall dort, wo Sie mich brauchen.
Vorgestern: Gepaukt, ins Blaue hinein, eine Tagung steht an und wir kennen das Thema, die Namen der Redner, die Titel ihrer Beiträge. Wir erinnern die geneigten Tagungsteilnehmer erneut schriftlich daran, uns doch bitte Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen. Bei der Arbeit ins Blaue hinein, zum Glück war ich im ersten Berufsleben Journalistin und kann recherchieren, landen wir bei ca. 50 A-4-Seiten Dokumentation und etwas mehr als 200 Fachbegriffen.
Gestern: In einer anderen Sache bei der Behörde gewesen, mit schwarzem Kugelschreiber geschrieben (dokumentenecht), es ging einige Stunden. Hinterher ein leichter Migräneanfall. Kopf im Schraubstock. Der Geruch von Kulitinte ist bei mir Migränetrigger. Der möblierte Herr (*) in meiner Wohnung hält das übrigens für Kokolores. Hat noch jemand davon gehört? Auf dem Rückweg dann: Suchbild mit Fernsehturm. Am Milchsuppenblick ist die Migräne nicht schuld. Später bei der Siesta wirkt das Schmerzmittel.
Anschließend weiter mit der Buchübersetzung. Vor dem Schlafengehen überfliege ich nochmal das Recherchematerial für die Tagung.
Heute früh: Vorbereitung eines hohen Tages für eine Freundin, die morgen ihren Liebsten heiraten wird. Anruf beim Rathaus, in der Abteilung Ringe und Herzen bin ich inzwischen bekannt wie ein bunter Hund. Ich muss anmelden, dass das Formular zur Beeidigung rausgelegt wird, denn ich bin nicht gerichtlich beeidigt. Den Schnack: "In der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes, § 2, Absatz 2, wird die Beeidigung als Regelfall an erster Stelle genannt, die Hinzuziehung eines nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigten Kollegen wird nur ergänzend erwähnt, kann also keinesfalls als Regel gefordert werden" kann ich inzwischen im Schlaf runterbeten und komme meistens nur noch bis "Absatz 2".
Dann loseilen zur Tagung, der möblierte Herr hat Home office-Tag. Kurz bevor ich gehe, landen noch zwei Reden für den Vormittag in meinem digitalen Briefkasten, zwei Reden von sechs erwarteten Papieren. Um's genau zu sagen: zwei Stunden vor der Veranstaltung. Ich rechne: Eine Stunde Fahrtzeit inklusive Puffer, 30 Minuten vorher da sein, ich kann also ein Drittel Tagung in 30 Minuten vorbereiten. Liebe Kunden, bezahlt uns künftig bitte den doppelten Satz als Stresszulage und auch die Sänfte mit Multimediaanschluss, die uns zum Tagungsort bringt. Ich verstehe nicht, was sich die Leute dabei denken. Und ich will es auch gar nicht verstehen müssen. Die Gesellschaft ist von Egozentrik und Kurzzeitdenken geprägt. Auch hier kann ich es ablesen.
Wir haben ins Blaue hineingearbeitet und haben den Kopf nachher hoffentlich nicht in der Milchsuppe, nur im ganz normalen Schraubstock.
Vokabelnotiz
Eine Fahrt ins Blaue lässt mich an Sommer denken ... es könnte auch eine Fahrt ins Grüne sein. Der blaue Himmel jedenfalls kontrastiert mit der Redensart "ins Blaue hinein", was "auf Verdacht", "aufs Geratewohl", "der Nase nach" bedeutet.
(*) "Möblierter Herr" ist ein etwas altertümlicher Ausdruck für Untermieter.
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Foto: C.E.
Vorgestern: Gepaukt, ins Blaue hinein, eine Tagung steht an und wir kennen das Thema, die Namen der Redner, die Titel ihrer Beiträge. Wir erinnern die geneigten Tagungsteilnehmer erneut schriftlich daran, uns doch bitte Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen. Bei der Arbeit ins Blaue hinein, zum Glück war ich im ersten Berufsleben Journalistin und kann recherchieren, landen wir bei ca. 50 A-4-Seiten Dokumentation und etwas mehr als 200 Fachbegriffen.
Suchbild mit Fernsehturm |
Anschließend weiter mit der Buchübersetzung. Vor dem Schlafengehen überfliege ich nochmal das Recherchematerial für die Tagung.
Heute früh: Vorbereitung eines hohen Tages für eine Freundin, die morgen ihren Liebsten heiraten wird. Anruf beim Rathaus, in der Abteilung Ringe und Herzen bin ich inzwischen bekannt wie ein bunter Hund. Ich muss anmelden, dass das Formular zur Beeidigung rausgelegt wird, denn ich bin nicht gerichtlich beeidigt. Den Schnack: "In der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes, § 2, Absatz 2, wird die Beeidigung als Regelfall an erster Stelle genannt, die Hinzuziehung eines nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigten Kollegen wird nur ergänzend erwähnt, kann also keinesfalls als Regel gefordert werden" kann ich inzwischen im Schlaf runterbeten und komme meistens nur noch bis "Absatz 2".
Dann loseilen zur Tagung, der möblierte Herr hat Home office-Tag. Kurz bevor ich gehe, landen noch zwei Reden für den Vormittag in meinem digitalen Briefkasten, zwei Reden von sechs erwarteten Papieren. Um's genau zu sagen: zwei Stunden vor der Veranstaltung. Ich rechne: Eine Stunde Fahrtzeit inklusive Puffer, 30 Minuten vorher da sein, ich kann also ein Drittel Tagung in 30 Minuten vorbereiten. Liebe Kunden, bezahlt uns künftig bitte den doppelten Satz als Stresszulage und auch die Sänfte mit Multimediaanschluss, die uns zum Tagungsort bringt. Ich verstehe nicht, was sich die Leute dabei denken. Und ich will es auch gar nicht verstehen müssen. Die Gesellschaft ist von Egozentrik und Kurzzeitdenken geprägt. Auch hier kann ich es ablesen.
Wir haben ins Blaue hineingearbeitet und haben den Kopf nachher hoffentlich nicht in der Milchsuppe, nur im ganz normalen Schraubstock.
Vokabelnotiz
Eine Fahrt ins Blaue lässt mich an Sommer denken ... es könnte auch eine Fahrt ins Grüne sein. Der blaue Himmel jedenfalls kontrastiert mit der Redensart "ins Blaue hinein", was "auf Verdacht", "aufs Geratewohl", "der Nase nach" bedeutet.
(*) "Möblierter Herr" ist ein etwas altertümlicher Ausdruck für Untermieter.
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Foto: C.E.
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