Guten Tag oder guten Abend! Sie sind mitten in ein Arbeitstagebuch hineingeraten, in dem sich alles um Sprache, Dolmetschen, Übersetzen und Kulturen dreht. Als freiberufliche Sprachmittlerin arbeite ich in Paris, Berlin, Marseille, Heidelberg und dort, wo man mich braucht. Heute wieder: Das Feld zwischen Traum und Realität.
Vor vielen Monaten habe ich Korrespondenzen für die Ausstellung "Best Actress" der Oscars übersetzt, die jährlich Ende Februar von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) verliehen werden. Seither sehe ich die Oscarverleihungen anders. Emma Stone, nominiert für La La Land, hat mal in einem Interview gesagt, wie sie ihre Eltern überzeugt hat, Schauspielerin werden zu dürfen: Mit einer am Abendessenstisch vorgeführten PowerPointPräsentation.
Ich hänge meinen Tagträumen nach der Lektüre einiger Texte zur amerikanischen Filmwirtschaft nach, da kommt die Anfrage zur Übersetzung einer PowerPointPräsentation rein. Leider geht es nicht um Kino, sondern um Bergbau. Der Kunde möchte meinen Zeilenpreis wissen. Ich nenne ihn — und kündige die Lieferung der Übersetzung als Word-Dokument an. Der Kunde bittet um Bearbeitung direkt im Präsentationsformat. Ich nenne den Stundensatz. Er fragt, wie viele Stunden die Arbeit in Anspruch nehmen wird. Ich nenne eine Von-bis-Zahl.
Der Kunde verlangt nach einem Pauschalpreis. Aber meiner Erfahrung nach sind diese Präsentationen immer Fummelarbeit, es läuft immer etwas gar nicht bzw. aus dem Ruder. Auch muss unsereiner, ähnlich wie bei der Übersetzung von Untertiteln, sich dem oft knappen Platzangebot anpassen. "Übersetzen in einer Zwangsjacke" nennt das Kollegin Andrea Kirchhartz aus Hamburg.
Der Kunde insistiert. Ich lege nach: "PowerPointPräsentationen bergen für uns Übersetzer ein nicht kalkulierbares Risiko, denn Grafiken, Schriften und Layout sind
anzupassen, was im Vorfeld schwer zu kalkulieren ist.
Daher berechnen wir den tatsächlichen Zeitaufwand. Unsere
Kostenvoranschläge sind nur Richtwerte. Einen Festpreis kann ich Ihnen bei Lieferung in Word anbieten (dabei lege ich die Anzahl der Anschläge plus einen Mittelwert von 15 % Volumenzunahme durch die Übersetzung zugrunde)."
Er brauche einen bindenden Preis, setzt er nochmal an. Ich antworte: "Jeder Handwerker aus dem Bereich Gas-Wasser-Sonstwas wird Ihnen auch den tatsächlichen Aufwand in Rechnung stellen, denn er hat ja keinen Röntgenblick. Stellen wir uns kurz vor, es gibt bei Ihnen zuhause ein Feuchtigkeitsproblem in der Wand. Da wird er auch erst wissen, was zu machen ist, wenn die Tapete und der Putz abgenommen und die halbe Wand aufgeklopft sind."
Und ich lege nach und frage, wie das denn im Bergbaubereich so ist, ob sich da von außen zweifelsfrei erkennen lässt, was einen unten an Störfaktoren erwartet.
Das war's. "Rechnen Sie so ab, wie Sie es brauchen!" Wird die Kollegin machen, denn während sie bei Gericht etwas zu einer Messerstecherei unter Betrunkenen gedolmetscht hat, habe ich für sie verhandelt. Dann träume ich weiter vom Dolby Theatre und dem Walk of Fame, wo ich einst den Handabdruck einer gewissen Hildegarde Neff bewundert habe, nachdem ich sie wenige Tage zuvor bei einem Berlinaleempfang gesehen hatte. Lang ist's her.
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Illustration: Büro
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