Dienstag, 14. Februar 2017

Berlinalekilometer

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin (Französisch und Englisch). Nor­ma­ler­wei­se beschreibe ich typische Alltagsmomente (anonymisiert) oder denke über Wör­ter nach. Wirtschaft, Politik und derzeit die Berlinale sind dabei die Hin­ter­grund­mu­sik.

Brandenburger Tor - bunt
Brandenburger Multicolor
So ein Festival setzt viel Ener­­gie, Leidensfähigkeit und bes­tes Schuhwerk vor­aus. Vie­le Film­ki­lo­me­ter fallen an, wie das früher geheißen hät­te, als das Sil­ber­ge­la­ti­ne­ma­te­rial noch in me­tri­schen Ein­hei­ten  gemessen wurde: Von den Kar­ten­bü­ros zu den Spiel­or­ten, über den Filmmarkt hin zu diversen Bars und Sa­lons, Aus­­tra­­gungs­­or­­te illustrer Em­­pfän­­ge.

Eigentlich geht es morgens in der Früh mit Schlangestehen los, um Tickets zu be­kom­men. Für mich als Dolmetscherin haut das nicht hin, weil ich oft noch abends ar­bei­te und ohnehin oft erst einen Tag im Voraus weiß, was mich bald beschäftigen wird. Schneller Wechsel ist in unserem Gewerbe ein Grundthema. Der wäre auch in der Kleidung angeraten. In Zeiten, in de­nen ich als Kinoleiterin beschäftigt war, vor bald zwanzig Jahren, hatten wir Spinde zumindest für Wechselschuhe zur Ver­fü­gung (und einen Auf­ent­halts­raum mit Bröt­chen, Wasser, Kaffee und Obst). Das war sehr men­schen­freund­lich. Heute muss ich meine Pausenorte selbst suchen. Es gibt Cafés, in die es sich ver­zie­hen lässt ... nur keine gemütlichen am Pots­da­mer Platz. Dort ist es an allen Or­ten irgendwie zugig und ungemütlich und so gebaut, dass man bitte schnell wie­der gehen soll.

Also treffen wir uns zum Essen außerhalb der "Zone". Der Ruheeffekt ist großartig. Filme sind für viele, die hier zur Arbeit gekommen sind, die schönste Nebensache der Welt. Und fertige Filme, die nicht selbstgemacht sind, scheinen irgendwie eine quantité négligeable zu sein. So sagt auch Christophe aus Paris: Je ne vois pas de films, je vois des gens ("... ich sehe Leute"). — Ich freu mich auf die Tage nach der Berlinale. Endlich in Ruhe ohne störende Termine Filme sehen können ... bei den Mitarbeiter­screenings, die zum Troste für jene, die im Schatten tätig sind, aus­ge­rich­tet werden. Nach dem Essen heißt es zurückeilen. Manchmal mit den falschen Schuhen Richtung Hal­te­stel­le rennen, wenn der Bus gerade ankommt ...

Meine Feststellungen sind aber gar nichts im Vergleich zu den leichten Roben, in die sich die Schauspielerinnen hüllen, wenn sie über den roten Teppich schreiten. Derzeit herrschen in der deutschen Hauptstadt einstellige Minusgrade. Da fällt mir die Nachwuchsschauspielerin ein, die auch ohne darstellerische Beteiligung vor Jahren ihre Chance, gesehen zu werden, genutzt hatte und am Ende, wenn die abendlichen Filmempfänge zu Ende gegangen waren, von Produzenten in ein Taxi gesetzt wurde. Sie hat den Wagen dann um die Ecke fahren lassen und ist außer Sichtweite gleich wieder ausgestiegen, um dann bibbernd die nächsten Meter bis Kilometer (manche Partylocation ist j.w.d.) zur Station von Bus oder Bahn zu eilen. Sie hatte schlicht und ergreifend kein Geld für ein Taxi, dafür eine BVG-Wo­chen­kar­te, die sie auch jeden Tag für den Robentausch zum Kostümverleih gebracht hat. Dazu trug sie im Wech­sel drei Paar Hochhackiger. Ihre Stra­te­gie hat­te übrigens Erfolg, weil sie darüber hinaus sehr talentiert ist.

Zwischendurch sitze ich mit einem Arte-Granden im Foyer der französischen Bot­schaft. Die Zugangskriterien zu den Salons der Ambassade sind nicht immer nach­voll­zieh­bar, wir warten auf eine Entscheidung in Sachen Nacheinlass, auch wenn die Zeiten von On ne demande pas les laquais à sa table — man bittet seine La­kai­en nicht zu Tisch, der Satz wurde einem früheren Botschafter zugeschrieben, überwunden schienen. Zwei schlechtgelaunte Filmarbeiter sind wir, die gerade an der Be­rufs­aus­übung gehindert werden: Hier dominiert der müde Rücken, dort klopft der Puls im Zeh, die Pumps sind zu elegant. Es ziept und es liegt nicht am Alter.

Das beste spontane Abendessen, Pitches und Verbrüderungen dieser Berlinale wird prompt nicht die Soirée française du cinéma, ich erlebe diesen Höhepunkt an­schlie­ßend einige Kilometer vom vermeintlichen Gravitätszentrum entfernt im aus der Situation resultierenden Salon des refusés, wie die Kunstausstellungen der einst im Louvre Abgelehnten geheißen haben. Den Pro­du­zen­ten, für die ich ei­gent­lich spon­­tan dolmetschen sollte, hatte ich per Textnachricht aus dem Foyer ab­ge­sagt. Die Antwort-SMS kommt umgehend: Er und andere Betreffende verlassen vor der Zeit den Ort des Geschehens und ergänzen das spontane Kreativgelage aufs Schönste.

Hallo, Taxi!

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Collage: C.E.

4 Kommentare:

Vega hat gesagt…

Süße, da war ein hohes politisches Tier zugegen bei dem Empfang, das lag sicher an den Sicherheitsvorkehrungen ... #soirée française #AmbaF

Nächstes Jahr sehen wir uns auch dort wieder. Und ich hab mich gewundert, wo ihr plötzlich abgeblieben seid nach dem Arte-Empfang.

Bis heute Abend,
freu mich
Bine

caro_berlin hat gesagt…

Hm, ja, nicht ganz überzeugt. Als wenn ich nicht mehrfach sicherheitsgeprüft wäre, z.B. fürs Dolmetschen von Ministern in nämlichem Hause.

:-O

Bis gleich,
C

Vega hat gesagt…

Stimmt auch wieder.

Aber Du hattest ja ohnehin die bessere Party.
:-)

Matze hat gesagt…

Pitches statt Bitches. Hat was.
Sorry für den üblen Kalauer.
Ich folge nur der Familie-Elias-Tradition.