Freitag, 10. Februar 2017

Berlinalesplitter 1

Im Februar steppt in Berlin wieder der Berlinalebär. Viel Holz, das Festival: Of­fi­ziell um die 400 Filme, dazu mindestens weitere 200 auf dem Markt ... und jeder Kreative, das ist gefühlt jeder Zweite, hat mindestens drei Filmideen im Gepäck. Wo gehobelt wird, fallen Späne, manchmal splittert das Holz. Hier werde ich ab und zu (und natürlich völlig subjektiv) abends einige davon zusammentragen.

Babylon-Mitte
Es geht los mit zwei Em­pfän­gen und einem Film mit Dis­kus­sion. Ist das Ver­schwin­den der deutschen Sprache (und etlicher anderer Idiome) von der Berlinale nur unter uns Sprach­ar­bei­tern ein The­ma? 

Ein älterer Regisseur aus der "ehemaligen Ex-DDR" bei ei­nem Filmgespräch in einer Off-Vorführung. Er nennt sich selbst eine "Runzelfresse". 

Er spricht sehr wenig Englisch, weswegen ich später im Foyer kurz für ihn dol­met­sche. Hätte das Gespräch auf Englisch stattgefunden, wäre die Radi­kalität seiner Selbst­be­trach­tung, aus der sich die zweite Hälfte der Diskus­sion gespeist hat, nicht zum Ausdruck gelangt. 

Wie hätte ich das übertragen, wenn ich als Dolmet
­scherin dabei gewesen wäre (irgendwo in Frankreich)? Mit Nils Aguilar, dem man am Namen nicht anhört, dass Französisch seine Mutter­sprache ist, einige ich mich später auf gueule fripée.

Jan, Praktikant der Saalleitung in einer Berlinale-Nebensektion, über den ersten Abend: "500 Men
­schen kommen mit Tickets ins Kino, Kaufkarten und Tickets über die Fach­­be­­su­cher- und Pres­se­ak­kre­di­tie­run­gen. 100 Plätze haben wir für Buyer und Jury re­ser­viert. So­weit Platz ver­füg­bar ist, las­sen wir kurz vor Film­start noch wei­te­re Jou­rna­lis­ten und Fach­be­sucher rein. Von diesen 100 waren etwa die Hälfte en­g­lisch­­spra­­chig. Die Diskussion fand auch auf Englisch statt. Drei Men­schen haben Fragen gestellt, von denen zwei sehr flüssig Englisch gesprochen haben, die ha­ben in­ter­na­tio­nal ver­siert geklungen, au­ßer­dem eine deutsche Person, die auch auf Eng­lisch gefragt hat."

Und weiter: "Die Fragen fand ich alle ziemlich flach. Drei Fragen sind super wenig, obwohl der Film welche aufgeworfen hat. Ich habe mir über­legt, was ich gefragt hätte. Dabei fiel mir auf, dass ich das auf Eng
­lisch nicht gekonnt hätte. — Wir ha­ben einen syrischen Refugee im Team, der sehr gut Englisch spricht, mit ihm quat­schen wir zwischendurch viel, das macht Spaß."

Elsa, eine amerikanische Filmproduzentin, die schon lange in Berlin lebt, kom­men­tiert süf­fi­sant ihre Sprach
­erlebnisse in der nicht mehr ganz so neuen Heimat: "In Mitte antworten alle im­mer gleich auf Englisch, wenn sie meinen Akzent hören. Da kann ich mich überhaupt nicht mehr auf Deutsch unterhalten. Ich mag die deut­sche Sprache, die englische auch, aber komisch ist es schon. Alle müssen immer gleich beweisen, wie welt­läu­fig sie sind."

Iacovos, ein griechischer Jour
­nalist, findet es großartig, dass die Berlinale alles auch auf Englisch anbietet. Ich hake nach. "Auch" auf Englisch? Im Wettbewerb, aus dem er gerade kommt, spielt auch Deutsch noch eine gewisse Rolle. Aber es stimme, woanders sei Deutsch nicht mehr vorhanden. Er habe gerade den Film "Django" gesehen, über den berühmten Musiker und Komponisten Django Rein­hardt, in Frank­reich geborener Sinto. Der Film, die Kritik dazu bei critic.de, spiele zum Teil in der deutschen Besat­zungszeit. Er habe es komisch gefunden, dass ein festliches Ereignis in der deutschen Hauptstadt mit einem Film aufgemacht werde, in dem Deutsche die Bösen seien, die z.B. ein Sintilager mit Flammen­werfer nie­der­bren­nen würden. Würden sich die Deutschen gerne so sehen? 

Der Journalist, der seit neun Jahren zur Berlinale kommt, meint, dass den Deut
­schen der Film unmöglich gefallen könne. Ich erkläre ihm die Sache mit der Ver­gan­­genheit, die nicht vergehen will, den selbstkritischen Umgang der Deut­schen in den letzten Jahrzehnten ... nach Jahrzehnten der Ver­drän­­gung. Wir ver­ab­re­den uns auf ein längeres Gespräch.

Die Frau eines Theater- und Filmkritikers, ihren Vornamen werde ich nachtragen, hält die Abschaffung der deutschen Sprache für schiere Selbst­ver­leugnung. "Die Deutschen und die Spätfolgen des 'Dritten Reichs'", sagt sie und verdreht dabei die Augen. "Englisch-Muttersprachler haben damit überall einen Sprach­vorteil, das ist ein hochpolitisches Thema, denn Sprache ist Macht."

In der U-Bahn hängt unter der Decke ein kleiner Monitor, dort wirbt die BZ: "Ber­li­na­le eröffnet! Holly­wood ist zurück in Berlin." Das Ausbluten des deutschen Kultur
­betriebs in den braunen Jahren einschließlich der Film­produktion ist noch heute zu spüren. Talente, die Talente heran­ziehen, die wiederum ... ergibt zu viele Men­schen, die heute fehlen. Die Wahrnehmung der Berlinale durch die Bou­le­vard­pres­se spricht da Bände. 

Dann höre ich, wie Pas
­sa­gie­re von Mitreisenden mitten in der Nacht auf Englisch wissen möchten, ob ein Platz verfügbar sei. Nicht erst auf Deutsch, sondern gleich auf Englisch. Weder Sprecher noch Angesprochene sahen irgendwie fremd aus.

Die Frage der kulturellen Identität, der mangelnden Pflege auch eines positiver besetzten historischen Bewusstseins, die deutsche Ge
­schichte lässt sich nicht auf die Nazizeit reduzieren, wird derzeit nur von rechtsextremer Seite gestellt. Links, in einfachen Milieus und in der bürgerlichen Mitte dominiert das Schweigen. War­um eigentlich sollten wir den AfDlern und "Identitären" dieses Feld überlassen?

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Foto: C.E. (zum geringsten Teil der Ort 

des beschriebenen Geschehens)

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