Dienstag, 27. Mai 2014

Schreibpausen

Guten Tag oder guten Abend! Sie lesen auf den Seiten des ersten deutschen Web­logs aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Oft stehen wir aber auf dem Podium di­rekt neben jenen, die wir vertonen. Hier ein Alltagsmoment aus dem kon­se­ku­ti­ven, also zeitversetzten Dolmetschen.

Der Mann links neben mir spricht oh­ne Punkt und Kom­ma. Er ist sichtlich erbost über das, was er zu sagen hat. Er sieht nur das Thema, sein Pub­li­kum, viel­leicht gerade noch die Was­ser­fla­sche vor sich. Mich aber sieht er nicht. Ich mache mir No­ti­zen.
Immer, wenn er gedanklich ein Ende anstrebt, hoffe ich, jetzt auch mal dran zu sein.

Er wird langsamer, jetzt weist der Moderator rechts von mir auf mich, die Dol­met­scher­in in ihrer Mitte. Der Gast aus dem Ausland schaut in meine Richtung, aber er nimmt mich nicht wahr. Daher sieht er auch nicht, dass ich heftig nicke, ihn an­se­he und noch den letzten Gedanken aufschreibe.

Und während eine kleine Pause entsteht und ich noch zwei Stichworte no­tie­re, da­mit ich meinen Einsatz nicht gleich versemmele, holt links von mir der Mann (der auch eine Frau sein kann) tief Luft und beginnt erneut zu sprechen.

Erst als das Publikum unruhig wird, komme auch ich zu Wort. Die Beiträge, die ich heute Abend übertragen darf, werden alle sehr lang sein. Jetzt bekomme ich aber erst mal Szenenapplaus. Der Verdolmetschte begreift, was los war. Er strahlt mich an, beglückwünscht mich, bittet um Entschuldigung, fängt wie­der an zu sprechen.

Und während der Moderator sein Amt offenbar schon aufgegeben hat, redet der andere neben mir weiter, ohne Punkt und Komma, sichtlich enerviert vom Thema. Er nimmt nicht wahr, was um ihn herum geschieht. Auch mich hat er wieder aus den Augen verloren.

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Foto: C.E.

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