Montag, 5. Mai 2014

Begleitdolmetschen

Guten Tag oder Abend! Sie le­sen in ei­nem Ar­beits­ta­ge­buch. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­scher­in und spreche für Politiker, Künstler, Wirtschaftsbosse und diverse Ver­tre­ter der Zi­vil­ge­sell­schaft, aber auch für Privatkunden.

"Bulimisches Lernen", nennt das meine Schwester: Rasch alles in sich hin­ein­schau­feln und dann sehr schnell wieder abgeben.

Metallbüchsenaufschrift: Frisch gerösteter Kaffee
Nur nichts anbrennen lassen?
So lassen sich Sonntage auch ver­brin­gen: Vom Brunch mit Freunden weggeholt, an den Schreibtisch geschickt, damit ich ei­nen Tag später Gespräche zur Vor­be­rei­tung einer Messe ver­dol­met­schen kann.

Die Dolmetschart, die hier zur Anwendung kommen wird, heißt Be­gleit­dol­met­schen, oft wird dabei halb simultan, halb kon­se­ku­tiv übertragen. In der Regel arbeiten wir Dolmetscher an solchen Tagen allein, denn zwischen den einzelnen Terminen, die oft nur 30, 40 Minuten lang dauern, gibt es Wege- und Fahrtzeiten, in denen sich das Hirn ausruhen kann. Meistens jedenfalls. (Wenn wir nicht gerade als menschlicher Navi den Chauffeur durch Baustellenberlin lenken.)

Eine Unilehrerin für Englisch nannte dieses Begleitdolmetschen übrigens zu un­se­rem großen "Amüsemang" einst elbow interpreting. Hier interpretieren keine Rönt­gen­är­zte für den Konkurrenzkampf strategisch relevante Körperteile, sondern unsereiner sitzt coude à coude ("Ellenbogen an Ellenbogen") neben dem Kunden.

Der andere englische Begriff brachte auch einige zum Kichern, denn "Be­gleit­dol­met­schen" heißt wörtlich übersetzt escort interpreting. To escort heißt "be­glei­ten", andere Nebenbedeutungen entstehen im Kopf des Lesers und haben mit der Arbeit der Autorin dieser Zeilen nichts zu tun. Wobei ... Zu Be­ginn mei­ner Dol­metsch­tä­tig­keit habe ich meinen Lebenslauf allen möglichen Agenturen geschickt und durfte erstmal Fragebögen ausfüllen. Daraus haben sich etliche Jobs ergeben, bis ich genügend Direktkunden gefunden habe. (Heute arbeite ich im Netzwerk mit erfahrenen Kollegen und höchst selten für Agenturen, da ein Gros von ihnen nur Makler von Dienstleistungen sind und als Fachfremde oder -ferne unsere In­ter­es­sen nicht fördern.)

Damals lud mich eine Agentur zu einem Vorstellungsgespräch ein. Es war eigentlich keine Dolmetschagentur, sondern eine Veranstaltungfirma, die bis heute eng mit einer namhaften Agen­tur aus Berlin verlinkt ist (die sich wiederum leider auf ihren Web­seiten als Netzwerk präsentiert, nach Informationen früherer Mitarbeiter aber keines ist). Zurück zum Vorsprechen. Ich fuhr also ins tiefste Ostberlin und durfte mich bei einer Tasse Kaf­fee fragen lassen, ob ich denn bei Einsätzen z.B. für In­dustriekunden im Aus­land auch ...naja, auch mal offenherzig sei. Auf meinen ent­setzten Blick hin kam et­was à la derlei werde zum Feiern großer Deals erwartet und es werde auch groß­zü­gig vergütet.

Ich weiß leider nicht mehr, was meine Antwort war. Im Zweifelsfall aber erlebte ich meine Schlagfertigkeit frei nach Mark Twain als etwas, das einem einfällt, wenn man den Ort des Ge­sche­hens gerade wieder verlassen hat.

In Sachen harmloserer Grenzüberschreitung hatte ich bislang nur einmal den Fall, dass mich ein (mir zuvor bekannter) Kunde bat, mit ihm auf die Hochzeit seiner Ex zu gehen. Er wollte dort nicht ohne weiblichen Begleitschutz hin und seine Neue, eine Dolmetscherin, hatte ihn gerade verlassen. Da mir der Kunde sympathisch war und die Hoch­zeit völlig außerhalb meiner sozialen und geografischen Kreise statt­fand, habe ich mich darauf eingelassen, drei wunderbare Tage verbracht — und einen guten Be­kann­ten gewonnen. Aber das ist |eine andere Geschichte| ein an­de­res Drehbuch.

Panoramaschwenk über die Pariser Messe
Messe Paris
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Foto: C.E. (Archiv)

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