Über Agenturen habe ich hier schon wiederholt berichtet.
Leider gibt es zu viele Fachfremde, die programmieren können und die sich von der Marge bei den Sprachdienstleistern was abschneiden möchten." Problem: Das "Was" kann bei 20 bis 30 Prozent liegen, in einigen selbsterlebten und im Kollegenkreis kolportierten Fällen kamen allerdings Abzüge von 50 bis 70 % vor.
Die Sprachenbranche ist nicht reguliert, und was anderswo ausbeuterischer Wucher wäre, wird von diesen Firmen, die genauso gut Dachpfannen oder Matratzen verkaufen könnten, als "normal" betrachtet.
Da verwundert es nicht, wenn ein Agenturbetreiber einer Kollegin schreibt, die aufgrund eines schwierigen Textes einen hohen Preis veranschlagt:
Es gibt keine schwierigen Texte oder Sprachkombinationen. Es gibt lediglich Übersetzer, die sich in bestimmten Fachbereichen weniger gut auskennen, bzw. die sich anmaßen, in die Fremdsprache zu übersetzen, und deshalb diese Bereiche oder diese Sprachkombination in eine Fremdsprache als schwieriger empfinden. Das Ergebnis solcher Übersetzungen ist in der Regel trotz höheren Aufwandes qualitativ schlechter. Diesen höheren Aufwand versuchen diese Übersetzer paradoxerweise mit einem höheren Preis zu kompensieren, statt umgekehrt für das qualitativ schlechtere Ergebnis einen niedrigeren Preis zu veranschlagen. (...) An eine Lieferung qualitativ minderwertigerer Texte, sei es, dass sie als besonders schwierig empfunden werden oder dass sie aus der Muttersprache in die Fremdsprache übersetzt wurden, sind wir, selbst gegen entsprechende Preissenkung, nicht interessiert.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, solche Fuzzis sollten wir einfach aushungern lassen. Die haben keine Ahnung und machen Euch zu Galeerensklaven.
Liebe Investorin, lieber Investor, schauen Sie genau hin, wem Sie ihr Venture capital anvertrauen. Die Idee, Übersetzer könnten für Minigagen Bruchstücktexte übersetzen ist genau bescheuert wie der Gedanke der schnellen, billigen, guten Telefondolmetscher.
Im Netz gibt es tatsächlich Firmen die behaupten, Dolmetscher könnten per Handy zum Beispiel für Krankenhauspatienten übersetzen und die Start up, die dieses anbietet, wäre dafür die ideale Maklerfirma. Sie würde von den Betroffenen einen Euro die Minute nehmen und den Sprachmittlern 30 Cent zahlen: Hohe Rendite garantiert!
Mit Verlaub, diese Idee ist schlecht, denn ohne Vorbereitung läuft nichts. Das gilt für uns wie für die meisten inhaltsbasierten Berufe wie Lehrer, Anwälte oder Unternehmensberater. Vor Ort gibt es ständig Gesprächssituationen, die geklärt werden müssen, ein Teil der Informationen kommt über den schmalen Telefonkanal schlicht nicht durch. (Beispiel: Stammt der Patient aus einer Kultur, in der Männlein wie Weiblein über den eigenen Schmerz nicht sprechen dürfen, sind Aussagen wir I'm OK hinfällig. Wenn ich den Sprecher aber nur höre, kann ich nichts einschätzen.) Abgesehen davon, dass vertrauliche Gespräche grundsätzlich in geschlossenen Räumen geführt werden sollten.
Wenn sich dann nämliche Start up, als sie merkt, dass die eigene Idee vielleicht doch nicht so viele hunderttausend Euro erwirtschaftet wie gehofft, auf das Konferenzgeschäft schmeißt, kann es passieren, dass Dolmetschtage, die Sie, lieber Endkundin, liebe Endkunde, mit 900 Euro bezahlen, beim den Sprachmittlern als 300-Euro-Tage aufgerufen werden. Meinen Sie, dass die famose Start up so die Besten der Branche findet?
Merke: 80 % der Agenturen sind Makler. Bitte wählen Sie stattdessen lieber ein Dolmetschnetzwerk oder einen in einem solchen engagierten Sprachmittler. Fragen Sie nach einschlägigen Erfahrungen der Dolmetscher zu Ihrem Bereich, Lebensläufe usw. Bei Netzwerken engagieren "beratende Dolmetscher" nur jene Kollegen, mit denen sie auch persönlich zusammenarbeiten möchten. Das ist ein Garant für Qualität.
Zurück zur Frage, ob es schwierige Übersetzungen gibt oder nicht. Da darf ich gleich an meine Fast-pro-bono-Arbeit (*) aus der Woche vor Ostern denken: Reden zum 69. Jahrestag einer KZ-Befreiung waren ins Deutsche zu übertragen. Da schrieb jemand von der "Erlebensgeneration" (so heißt die wirklich) eine feierliche Gedenkstundenrede mit lauter Querverweisen von damals zu heute, wo jedes dritte Wort eine ganze Welt mitschwingen ließ. In einer zweiten Rede für den Folgetag erklärt der Zeitzeuge Schülern den Alltag in einem Außenlager, das ein Straflager mit Fabrik war. Da musste ich nicht nur die deutsche und europäische Geschichte permanent mitdenken, die Fachtermini des kalten Krieges draufhaben (und großenteils vermeiden), sondern auch die Honoratioren am Sonntag und die Schüler am Montag vor Augen haben. Das war vielleicht ein Gefriemel! Veranschlagte Zeit: Fünf Stunden. Damit verbrachte Zeit: das Dreifache, wobei ich an vier Tagen immer wieder neu angesetzt habe.
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Fotos: C.E. (gesehen in Kreuzberg)
(*) Es gibt einen Zuschuss für die Drucke, den Toner
und die Amortisierung des Gerätes oder so.
2 Kommentare:
Wow. Echt jetzt?
Ich sitze gerade in einem Büro voller Übersetzer, die exklusiv medizinische Berichte in ihre Nicht-Muttersprache übersetzen. Du hättest den Sturm der Entrüstung eigentlich bis zu dir rüberhören müssen. Und wir sitzen in Bonn.
(Unabhängig davon, braucht einer von euch zufällig ein Alibi?)
Naja, dieser Absender hat seine eigenen Vorstellungen ... vor allem von der Preisgestaltung, ich glaube, sonst interessiert ihn wohl nicht viel.
Auch ich übersetze manchmal in die Nicht-Muttersprache, aber immer mit muttersprachlichem Lektorat. Meistens kurze Texte aus meinen Fachbereichen, so wie Ihr mit Medizin ja auch hochgradig spezialisiert seid!
Grüße nach Hessen,
C
P.S. Das geklammerte P.S. verstehe ich leider nicht.
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