Willkommen auf den Seiten einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Hier berichte ich aus Berlin, Paris und Cannes oder Marseille, München und Marburg unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse. Daneben denke ich über unsere Sprache nach: heute Berliner Vokabelforschung.
Neulich, bei der Eröffnung des französischen Restaurants: Ein Mann mittleren Alters stellt sich mir vor und sagt, er sei kein Berliner, eigentlich komme er ja aus "Westdeutschland". Ich muss schmunzeln ... er fügt hinzu: "Naja, also aus der alten Bundesrepublik, früher in Westberlin nannte man die so."
Habe ich so unwissend gegrinst? Mir ist das schon lange klar. Den anderen im Raum vielleicht aber nicht. Hier feiern viele Theaterleute. Seit 2009 gibt es in Berlin für die immer größer werdende Gemeinde der "expatriés" und für alle, die Frankreichs darstellende Künste lieben, den Verein "La Ménagerie". Gegründet haben ihn zwei Französinnen, die seit ca. 2004 in Berlin leben. Der Verein baut ein Netzwerk für Fans des frankophonen Theaters auf, hier finden freie Truppen weitere Darsteller und Probenräume, und ab dem 25. Mai gibt's ein kleines Festival.
Doch zuvor findet eine Soli-Party statt, auf die hiermit auch hingewiesen wurde.
Ich erschrecke, als ich auf dem Weg zu Klo das Plakat für eben diese Party sehe: "West Germany" steht da — hat denn niemand dem Grafiker gesagt, dass es einen Unterschied gibt zwischen Westberlin,Westdeutschland und ... naja, dem Bezirk SO 36 (*), wie das alte, südöstliche Kreuzberg einst hieß, das sich der Mauer entlang erstreckte?
Dann sehe ich nochmal hin. Ostberlin ist tot, Westberlin stirbt auch gerade (die bevorstehende Aufgabe des Tegeler Flughafens ist der Schlussakkord), nur "West Germany" lebt weiter ... in Form des Namens eines Clubs! Zu Hause suche ich im Netz danach und finde heraus, dass wie kurz nach der Wende in Berlin fortgesetzt ungenutzte Räume zum Übergangsszenetreff werden, hier eine alte Arztpraxis, aber nicht mehr wie früher im unsanierten Osten, sondern im an vielen Stellen vor sich hinbröselnden Westen.
So, rasch noch der Link zu einem alten Radiobeitrag von Cornelius Wüllenkemper über die Ménagerie aus einer Epoche, in der es RFI noch eine oder mehr Stunden täglich auf Deutsch gesendet hat, auch das war die alte Zeit.
Huch, so viel Nostalgie heute, da fühle ich mich plötzlich um mindestens ein Jahrzehnt gealtert ;-)
Warum ich das hier im Blog aufschreibe? Nur noch solche Jungs wie die gestern Erwähnten, ich meine Jochen, Thomas und Dirk beispielsweise (sowie die etwas älteren Heinrichs oder Herberts), verwenden heute noch das Wort "Westdeutschland". Ein Fall fürs Sprachmuseum!
Und was ist mit "Soliparty"? Die "Spendengala der Unterschicht", wie ein Leser auf einer Fragewebseite schreibt? War früher eindeutig links konnotiert, der Begriff, das ist wohl jetzt auch bald vorbei.
(*) SO 36 heißt nicht nur ein anderer Club in Kreuzberg, so lautete die alte Postleitzahl des Bezirks, "Süd-Ost 36"
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Illustration: La Ménagerie
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