Freitag, 13. April 2012

Zeitfahren

Willkommen beim Blog aus der Dolmetscherkabine für die französische Sprache. Heute sitze ich nicht in der knapp zwei Quadratmeter kleinen, schallisolierte Kabine, sondern am Übersetzerschreibtisch. Einblick gefällig? 

Mittwochabend gegen halb sieben, wir machen uns fertig, die Studienfreundin und ich, zwei Frauen auf dem Weg ins Theater. Da klingelt das Handy: Eine Zeitungsredaktion ist dran auf der Suche nach einer Übersetzerin. Für jetzt. Und für einen eher kleinen Zeilenpreis ... hm, auf den Theaterabend hatte ich mich so gefreut ... Aber das Projekt ist mir sympathisch und so schaffe ich es, einen Aufschlag von 33 % auszuhandeln. "Der erste Teil des Texts kommt nach acht", lautet die Ansage, "der zweite Teil morgen gegen sieben, um elf müssten Sie fertig sein."

So verabschiede ich Madame auf dem Weg ins Theater, drehe die Heizung im Arbeitszimmer nochmal kurz auf, mache Gymnastik. Um acht tut sich nichts. Auch nicht um halb neun.

Neun Uhr klingelt das Telefon. Jetzt solle alles morgen um sechs fertig zur Übersetzung sein, heißt es. Der Autor erhält meine Mailadresse. Heizung im Arbeitszimmer wieder aus, Schalter umlegen: Heute früh ins Bett, um genug Schlaf zu kriegen. Das wird allerdings nicht so wunschgemäß klappen, das mit dem Schlaf. Ein anderes Kapitel.

Um fünf in der Früh klingelt der Wecker. Ich weiß um meine manchmal langsamen Morgenstarts ... Birchermüsli, Klassik, schwarzer Tee ... ab sechs sitze ich am Schreibtisch. Nichts im elektronischen Briefkasten. Um viertel nach sechs lege ich mich nochmal hin. (Das Arbeitszimmer verfügt über ein Sofa.) Der Rechner ist auf laut gestellt, ich höre jede einzelne Mail, die eintrifft. Parallel stelle ich sicherheitshalber noch den Wecker. Siesta im Viertelstundentakt ist nicht schön. Um sieben sende ich der Redakteurin, deren Namen ich inzwischen auch kenne, eine Mail.

Viertel nach sieben ist der Text da: Ein Drittel mehr Zeichen als angekündigt. Festpreis, merdre. Ich hau in die Tasten. Es macht Spaß. Aber elf Uhr wird kaum zu halten sein. Sende später päckchenweise die fertigen Teile an die Redakteurin. Die Seite wird 12 Uhr gesetzt. 12.12 Uhr geht der letzte Absatz raus (der am Ende aus Platzgründen nicht abgedruckt wird). 12.25 Uhr der Anruf der Redakteurin: "Das war ganz großes Übersetzerkino!"

Schön, dass jetzt alle zufrieden sind. Nach dem sportlichen Einsatz, es war wie beim Radrennen, die Etappe contre la montre, das Gegen-die-Uhr-Fahren, gönne ich mir Wannenbad und Siesta.

Der Artikel erschien heute im "Freitag" und ist sogar online lesbar, hier.

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Foto: C.E. (Archiv)

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