Mittwoch, 4. April 2012

Nur fünf Minuten

Bonjour auf den Seiten eines Logbuchs aus der Dolmetscherkabine. Regelmäßig texte ich die Blogeinträge aber auch am Schreibtisch, nach der Arbeit, wenn ich denn ein Arbeitsende wirklich bewusst erfahre. Leider geht nicht selten bei uns Sprachmittlern das Berufs- ins Privatleben über, auch im privaten Alltag spreche ich viel Französisch. Und nicht nur wir haben mitunter Schwierigkeiten, das eine vom anderen zu trennen ...

Neulich, auf der Party: Einer der Mitfeiernden outet sich als Arzt, und schon klagen ihm zwei später eingetroffene Frauen ihre Wehwechen. Da ich gerade mit Herrn Doktor über etwas ganz anderes im Gespräch war, als die Damen hinzutraten, sage ich: "Was für ein Zufall, dahinten ist ein Facharzt für diesen Bereich, warten Sie mal, wer war das gleich noch?" Dabei sehe ich mich um, nicke in eine Richtung. Dann spreche ich weiter: "Außerdem hat uns die Gastgeberin gerade in die Küche abgeordnet, um das Buffet neu zu befüllen ..." ... und ziehe den Betreffenden hinter mir her. In der Küche spülen wir erstmal eine Runde, denn die Spülmaschine kommt nicht hinterher.

Vor dem Eintreffen der Ladies hatten wir uns gerade darüber unterhalten, wie oft die lieben Zeitgenossen uns als Auskunftei missbrauchen, sogar in der Freizeit.

Gestern Nachmittag klingelt das Telefon, ich schleife an einem Pressedossier rum, ein alter Bekannter ist dran, von dem ich lange nichts mehr gehört habe. Nach dem Austausch einiger belangloser Worte über das feuchte Frühjahr sagt er unvermittelt: "Sag' mal, ich hab ein kleines Problem mit deiner Lieblingssprache, dauert auch nur ein paar Minütchen. Ich hab dir gerade 'nen Absatz gemailt, an dem ich festhänge. Magst du mal kurz draufschaun?"
Erstens bin ich nicht für alle Probleme zuständig, die Menschen mit dem Idiom Frankreichs haben, und zweitens wäre die Frage angebracht gewesen, ob er mich denn störe. Vielleicht muss ich eine Deadline einhalten?

Einige Minütchen ... solche Worte machen mich immer nervös. Woher weiß mein Gegenüber, wie lange ich am betreffenden Satz arbeiten würde? Und warum meldet er sich nur, wenn er was von mir will? Und kann er ermessen, dass ich mich in etwas völlig Neues erstmal eindenken muss und mich am Ende das "Umschalten" zurück in mein Gebiet auch wieder Kraft und Zeit kosten wird?

Das Hirn rödelt und macht sich seine Hintergedanken: Rufen Leute wie mein Bekannter auch Anwaltsfreunde mit der Bitte um einen kleinen Draufguck an? Oder soll der Werbetexter mal eben eine kleine Logline für Freundesfreunde basteln, im Vorbeigehen gewissermaßen?

Mich ärgert, dass solche Momente in letzter Zeit immer häufiger werden. Liegt es daran, dass sich mein Bekanntenkreis laufend vergrößert? Oder fallen in Zeiten der Krise nicht nur auf Parties Hemmungen, die Menschen, denen wir begegnen, irgendwie zu instrumentalisieren?

Den zugemailten Text des Anrufers sehe ich mir kurz an. Und ja, der Absatz und das Davor und Danach würden mich sicher länger als ein Stündchen beschäftigen, da stimmt einiges nicht. Ich sage das kurz und ergänze, dass ich nach Abgabe des aktuellen Texts durchaus fit genug sei für eine Überstunde, und schlage halb scherzend, halb ernst gemeint dem Anrufenden vor, an meiner statt auf den Markt zu gehen und abends für uns zu kochen. 

So stolz ich auf meine Schlagfertigkeit bin, die Idee verfängt leider nicht. (Nicht alle übernehmen mal einfach die Haushaltspflichten anderer wie der Doc und ich.) Aber was ich darauf als Antwort hören muss, ärgert mich dann leider richtig: Ach, so wichtig sei es dann doch nicht, sagt der Anrufer.

Wie, mich aus der Arbeit rausreißen für etwas Unwichtiges? 

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Foto: C.E. (Archiv)

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