Donnerstag, 21. April 2011

Herausforderungen

Will­kom­men auf den Sei­ten mei­nes di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Die Spra­chen Französisch und Englisch (passiv) sind meine Welt, und zwar an Orten wie Paris, Berlin, Lyon und München.

"Das ist eine Wette von der Produktion gewesen, das Mutter-Kind-Kurheim aus zwei Orten zusammenzubauen. Einiges haben wir auf Fehmarn gedreht, anderes in ein­em anderen Bundesland", sagt Olivier, der neben mir steht, Szenenbildner von Beruf und einer von zwei Gesprächspartnern bei einem der letzten Filmgespräche des achtung berlin-Festivals, das in der Unterzeile new Berlin film award heißt. Wir stehen zu dritt vor der Leinwand eines Neuköllner Kinos und unterhalten uns öffentlich, bis das Publikum auch soweit ist und Fragen stellen mag.

Hinter der Tür der eine, auf dem
Laptop der andre Film (plus Eis & Saft)
Und sofort rattert mein Dolmetscherhirn: Er hat "Wette" gesagt und le pari gemeint, "die Herausforderung" und "die Wette" kennen auf Französisch nur dieses eine Wort. Als ich die nächste Frage stelle, gehe ich auf "die Herausforderung" erneut ein, schi­ebe wie selbstverständlich und als sei es ein Nebensatz le pari nach, damit mein Gegenüber weiß, dass ich ihn ver­stan­den habe, und stelle Rita die nächste Frage, der Kollegin des Franzosen, wobei ich das Wort "Herausforderung" wieder einbaue. Dabei höre ich mir selbst zu, denn ich möchte vermeiden belehrend zu wirken. Es geht mir wie immer um den Informationsfluss, weiter habe ich nichts zu "dolmetschen", Olivier spricht her­vor­ra­gend Deutsch.

achtung berlin hat mich als Moderatorin angeheuert. Das Festival präsentiert Fil­me, die entweder in Berlin spielen oder in Berlin produziert worden sind. Sicher, bei den Programmmachern werden gelegentlich auch französischsprachige Filme eingereicht, doch bislang waren die Filmgespräche deutschsprachig. Seit meiner Rück­kehr aus Straßburg moderiere ich an den letzten Tagen dieses seit sieben Jahren stattfindenden Festivals. Und ich engagiere mich pro bono, also ohne Gage, stehe trotzdem im schwarzen Anzug plus Kettchen-Schühchen-Schälchen vor dem Publikum.

Der Grund dafür ist schnell erklärt. Als gelernte Journalistin arbeite ich bevorzugt im Bildungs-, Medien- und Filmbereich, also ist das für mich eine Rhetorikübung. Außerdem bin ich dem Filmschaffen der Region sehr verbunden, kenne viele Leute, vernetze mich weiter. Und last but not least habe ich eine eigene Film­ver­gan­gen­heit bzw. eine nebenberufliche Existenz im Filmsektor. Als Journalistin hatte ich mich rasch auf mediale Produktionen spezialisiert und produziere noch heute mit anderen zusammen alle ein bis zwei Jahre einen Film.

.........Ortswechsel mit Fahrer und spannenden Gesprächen... ......
Dabei geht's mir nicht nur darum, die Probleme der Filmherstellung auch in Zeiten der technischen Revolution von mehreren Seiten zu kennen, sondern ich tue dies aus Gründen der Gewissenhaftigkeit in schwierigen Zeiten. Meine Generation sieht sich vor eine besondere Her­aus­for­derung gestellt: Wir wer­den be­kannt­lich bis ins hohe Alter arbeiten müs­sen. Da ich leider heute sogar an Orten der ganz offiziellen frankophonen Kul­tur­vermittlung mitunter Kolleginnen erlebe, denen ich den Genuss ihrer Rente von Herzen gönnen würde, da sie das entsprechende Alter längst überschritten haben, und außerdem merke, wie die Qualität der Verdolmetschungen darunter leidet, bereite ich meine übernächste berufliche Zukunft vor.

Deshalb hatte ich den Nachmittag zuhause mit der Sichtung eines Films auf Schei­be beendet, als mein Moderatorenprogramm kurzfristig umgeschmissen wurde; war dann ins nächste Kino geeilt, wo ein Film anzukündigen war, sah dann auf der Treppe des FAF das zweite und dritte Viertel besagten Films weiter auf Scheibe, moderierte, wurde rasch vom Fahrer mit Regisseur, Kameramann und Schau­spie­lern zur Preisverleihung, kurz darauf weiter ins Neuköllner Passage-Kino gebracht, sah dort das letzte Viertel besagten Films ... und als der Abspann zuende war, stand ich schon mit Mikro vor dem Vorhang.

Mein Filmsichten von "Abgebrannt" in drei Phasen ging
wundersamerweise "auf Anschluss", ich sah nichts doppelt
Da die Regisseurin von "Ab­ge­brannt", Verena S. Freytag, auf der Preisverleihungsgala war — der Film ging als "bester Spielfilm" aus dem Wettbewerb hervor" — sprach ich mit den Szenenbildnern über ihren Beruf im All­ge­mei­nen und bei diesem Film im Besonderen. Und durch Nachhaken über die ko­fi­nan­zie­ren­den Stellen des Films — der Abspann sah dies­be­züg­lich ein wenig "leer" aus — erfuhr das Publikum dann mit mir zusammen, dass das "Motiv" Mutter-Kind-Kurklinik nicht aus sze­nen­bild­ne­ri­schen Gründen an zwei verschiedenen Orten gedreht worden war, sondern weil Filmförderung zweier Bundesländer beteiligt waren. Und hier gilt: Jedes Bun­des­land erwartet seinen "Regionaleffekt", also Drehtage im jeweiligen Land, Umsätze für Hotel und Restaurants und Motivmieten. Die Filmfinanzierung stellt also das Team vor ganz besondere Herausforderungen (die viel Energie, Kreativität und Geld binden, die man deutschen Filmen dann nicht ansieht).

Meinen pari, die Moderation mit handfesten Brancheninfos zu verknüpfen, die auch ein breites Publikum verstehen kann, hatte ich somit gewonnen. Und diesmal meine ich "Wette", wobei dieses Wort in einem solchen Kontext auf Deutsch we­ni­ger gebräuchlich ist.

Résumé des Beitrags (da immer wieder Leser mit dem Suchbegriff "Film­dol­metscher werden" hierher gelangen): Wer sich in diesem Bereich spezialisieren will, muss sich ständig in Rhetorik, Sprech- und Atemtechnik weiterbilden bzw. kritisch beleuchten lassen, damit sich keine Sprachticks einschleichen. Wer Lampenfieber hat und meint, das niemals überwinden zu können, ist in diesem Beruf mit seinen vielfältigen Herausforderungen fehl am Platze.

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Fotos: C. Elias

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Carolein,
Du musst schon auch schreiben, dass ihr einen von Dir koproduzierten Film im Festival laufen hattet!!
Sehen wir uns am Montag?
Gruß, Heike

caro_berlin hat gesagt…

OK, im Lauf des Tages schreib ich was drüber. Und klar sehen wir uns Mo. Ich bring wie geplant auch was mit. Tarte au citron oder Fruchtsalat? Bis(es) denn, C

Wegner hat gesagt…

Das war eine sehr schöne, einfühlsam geführte und zugleich informative Gesprächsrunde, Frau Elias, vielen Dank dafür! Und vielen Dank auch für Ihre interessanten Berichte, die ich regelmäßig lese, seit Sie mir eine so klare Erklärung auf unsere Anfrage in Sachen Schülerpraktikum geschrieben haben. Ihre Berichte sind so viel wert wie ein Schülerpraktikum, wenn nicht mehr, weil sie mehr Menschen erreichen können!

Frohes Osterfest wünscht Ihnen Ihre Neuköllner "Nachbarin"
J. Wegner

Anonym hat gesagt…

einen Schmatz von der Sandra : X!

caro_berlin hat gesagt…

:-)

Und schön, dass Dir der Film auch gefallen hat!!

caro_berlin hat gesagt…

Hier noch der Link zu einem Eintrag, auf dem ich über unsere auf Achtung Berlin gezeigten Koproduktion berichte: "Çürük" von Ulrike Böhnisch