Mittwoch, 20. April 2011

Hirnüberhitzung

La surchauffe cérébrale nennt Nicolas, Dolmetscher bei Arte, das, was ich seit Tagen mache, und prompt erlebe ich kol­le­gia­le Solidarität: Für die Ver­dol­metsch­ung des Gesprächs mit Claire Doutriaux, der Leiterin der Sendung "Ka­ram­bo­lage", entsendet die Leiterin der Dolmetschabteilung von Arte prompt eine Kollegin, Dominique.

Wir sind in Straßburg im Arte-Neubau in unmittelbarer Nähe des Par­la­ment­ge­bäu­des. Seit Tagen begleite ich eine Gruppe junger Erwachsener als Dozentin und Solo-Dolmetscherin. Unsere Teilnehmer sind in der überwiegenden Mehrzahl Studenten, davon viele künftige Lehrer. Dafür, dass ich alleine dolmetsche und nicht wie sonst üblich und eigentlich nötig alle 20 bis 40 Minuten abgelöst werde, gibt es einen klaren Grund: In der Jugendarbeit geht man davon aus, dass die Teilnehmer gute Grundlagen der jeweils anderen Sprache haben, und dass die Inhalte überschaubar sind in ihrer Komplexität. Das funktioniert sicher her­vor­ra­gend bei Jugendbegegnungen für Schüler, zum Beispiel in Ferienlagern (colonies de vacances), in denen der Anteil der Freizeitangebote groß ist.

Das wird schon schwieriger, wenn ein Seminar inhaltlicher Arbeit gewidmet ist und für junge Erwachsene veranstaltet wird. Hier, wo sich die Vermittlung von hand­festem Wissen und praktischen Fähigkeiten mit Begegnungen und eigenen Akti­vi­tä­ten zu den Themen Deutschland, Frankreich, interkulturelle Zu­sam­men­ar­beit und Medien abwechselt, wäre allein mit sprachkompetenten Jugendfreizeitleitern nicht viel erreicht.

Unsere Gesprächspartner stehen mitten im Berufsleben, haben wenig Zeit. Proportional entgegengesetzt ist denn auch meistens ihr Sprechtempo: sehr eilig. Dazu kommt die Komplexität der Inhalte, was auch manche der Fran­zö­sisch­lehrer­in­nen in spe dazu bringt, nach den Kopfhörern zu greifen. Und Marie, die kaum Französisch kann, wäre ohne regelmäßige Verdolmetschungen von vorneherein die Teilnahme an einem solchen Kurs verwehrt gewesen.

Und als sei das nicht schon genug Programm, drehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer neben den Begegnungen einen Kurzfilm und das making of für die Förderinstanzen. Kurz: Meine Pausen habe ich auf den Wegen, denn wir haben Termine, die über ganz Straßburg verteilt sind. Und mancher Einsatz wird dann einfach mal länger. Die unmögliche Herausforderung meistere ich sportlich, das geht schon in Ordnung, es kann aber kein Modell für ähnliche oder weitere Veranstaltungen dieser Art sein.

Je länger wir miteinander ver­bringen — inklusive Reisetage sind es neun Tage — , desto klarer sehe ich, dass wir hier etwas kompensieren, das in Deutschland in der Leh­rer­aus­bil­dung leider bis heute Tradition zu sein scheint: Als ich Schülerin war, brachten uns unsere in den 30-er und 40-er Jahren geborenen Lehrer nur in drei Phasen mit Film in Zu­sam­men­hang: im Na­tur­kun­de­un­ter­richt, in dem wissenschaftliche Lehrfilmchen Versuche ersetzen mussten, bei Unterrichtsausfall bzw. kurz vor den Ferien, wo wir ruhiggestellt wurden, sowie als Illustration möglicher Umsetzung von Literatur in Film. Unsere Lehramtsanwärter in der Seminargruppe wurden in den Jahren um 1990 geboren.

Die Diskussionen mit den Fachleuten, die wir in Straßburg aus Kultur, Politik und den verschiedenen Medien treffen, sind lebendig; auch untereinander haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer viel Kommunikationsbedarf. Sie entdecken die deutsch-französischen Themenbereiche gerade erst, ebenso wie die europäischen Instanzen; und die Kameraübungen und Drehs fordern alle.

das dfjw förderte unser Seminar
Ich mache, was ich auch schon bei anderer Gelegenheit bereits tat: Mit der größtmöglichen Entspannung und vielen Pausen, regelmäßigen Power-Nappings und keinerlei Freizeit ist die Sache aber auch nur deshalb für mich zu wuppen, weil mir die Inhalte seit dem Studium sowie die Form, das Filmische, seit den ersten Berufsjahren bestens vertraut sind. Mein Kopf holt sich sein Material also nicht aus einer kurzfristig angelernten Lexik heraus, arbeitet nicht aus dem Arbeitsspeicher, sondern direkt von der Festplatte weg. Das kostet weniger Hirnschmalz, das trotzdem heißläuft.

Und ein herzliches Merci beaucoup, liebe Dolmetscher von der Arte-Zentrale!

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Fotos: C. Elias

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