Sonntag, 5. September 2010

Akustik!

Wo ist der Ausknopf? Nach langen Arbeitstagen als Dolmetscherin hört mein Kopf manchmal einfach nicht auf: Worte strömen durch ihn hindurch, die sich zu mehr oder weniger sinnvollen Sätzen formieren, und leicht zeitversetzt beginnt das entsprechende Hirnareal mit dem automatischen Auswurf des dazu passenden anderssprachigen Idioms. Zuhause komme ich im privaten "Spa" schnell wieder runter - mit Meersalz und Aromen im Badewasser, bei Kerzenschein und Musik von Mittelalter bis Barock (anderes höre ich zu anderen Zeiten). Oder aber ich ziehe die Vorhänge vor und fleze mich mit einem guten Buch in den Ruhesessel. Auf diese Weise "drehe" ich langsam die vor sich hin brabbelnden Wortgeneratoren im Oberstübchen leise, bis sie von alleine ausgehen. Einen Ausknopf suche ich indes weiter.

So, wie das eigene Stimmengewirr im Kopf stört, erleben die meisten von mir befragten Dolmetscher auch fremdes Stimmengewirr als problematisch. Die Ursache dafür ist rasch erklärt. Wir müssen ja immer, wenn wir 'dran' sind oder uns im Wartemodus befinden, mit halbem Ohr zuhören, um gleich übernehmen zu können. Die Begabung, das dem zugrunde liegt, und der daraus erwachsene Professionalismus bestehen im vollen Erfassen von auch nur halb wahrgenommenen Situationen. Der Kopf hat eine Art Rückspulfunktion, ich kann im gewissen Rahmen 'zurückholen', was grade als Echo im Raum verebbt, um eine Info zu vervollständigen.

Zu einem richtigen Problem kann sich dieses "Talent" auf Dienstreisen auswachsen. Beispiel: laute Restaurants. Der Typ vom Nebentisch labert seine Holde mit so unerträglichem Stuss zu, dass ich es kaum ertrage. Ein Kind stellt an einem anderen Tisch laute(r) Fragen, die unbeantwortet bleiben. Und im Eck rätseln zwei Weitgereiste - deutlich hörbar für mich, weil in einer meiner Arbeitssprachen - was ein Gericht wohl bedeuten möge, das auf der Speisekarte steht.

Beherrschung ist hier alles, Weghören gar nicht so einfach, auch der Leisestellknopf ist leider unbekannt. Ich liebe Restaurants mit vielen leeren Tischen und Vorhängen, in denen es nicht hallig ist und die keinen Terrakotta- oder Betonboden haben (klickedieklackedieklickedieklack...)
Habe ich keine Wahl und findet zum Beispiel die Mittagspause einer Konferenz an einem solchen Ort statt, breche ich nach dem Essen rasch auf, weil hier Nervosität und Gereiztheit minütlich steigen.

Privat habe ich meine No go areas, neben verrauchten Orten sind das also auch laute. Für meine allernächsten Mitmenschen macht mich das gelegentlich zur unentspannten Zeitgenossin. Ich deute das Desaster nur an: es kann dauern, bis wir über die Reihe meiner Lieblingsorte hinaus neue Stätten ausmachen, die ich für akzeptabel halte.

Aber eigentlich weiß ich gar nicht, was ihr habt, wenn Luft und Akustik stimmen, kann ich doch sehr, sehr entspannt sein. Wer fragt hier nach Leisestell- oder Ausknopf? Aber ich bin doch keine Maschine!

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