Die Salons dieser Republik sind engelfreie Zonen.
Soweit meine Erkenntnis vom gestrigen Arbeitstag, das war mein Selbstgespräch, als ich einmal wieder einen Ort der Diplomatie und des politischen Diskurses verließ.
Arbeitsfrühstück: Die Dolmetscherin erscheint gefrühstückt, sitzt an einem eigenen Platz mit Namensschild und allem drum und dran - so muss ich nicht, wie in manchen Runden üblich, auf einem Stuhl hinter den Stühlen Platz nehmen. Zum Drum-und-Dran zählt: Ein Glas frischgepresster Orangensaft, eine Kaffeetasse, ein Joghurt/Grieß-Flammerie/Vanillequark im Glase, Mini-Gebäckwaren nebst Belag und ein wunderschöner Obstteller. Die Dolmetscherin fängt an zu arbeiten, die anderen lassen sich's schmecken. Die Gäste dieses Morgens sprechen und essen im Wechsel. Die Dolmetscherin spricht immer.
In Frankreich sagen die Menschen, wenn bei Tisch Stille eintritt: Un ange passe, ein Engel geht vorbei. Hier geht kein Engel vorbei. Es gibt zwischendurch ein paar Zuhörensmomente, wo ich erst begreifen muss, worauf ein neuer Sprecher hinauswill, bevor ich ansetzen kann mit der Verdolmetschung. Da nippe ich vier Mal am Kaffee, um die Stimme anzufeuchten, dann spreche ich gleich weiter.
An den Orangensaft traue ich mich während der Arbeit nicht ran. Ich hatte vorletzte/letzte Woche einen grippalen Infekt, huste noch gelegentlich, der Saft könnte zu sauer sein für den Hals. Nach einigen Statements tritt das Arbeitsfrühstück in ein lockeres Gespräch ein. Und noch immer kein Engel in Sicht. Die Erdbeeren lachen mich an, ich spüre den süß-säuerlichen Geschmack der Physalis auf der Zunge, fühle die krissige, papierartige Konsistenz ihrer Blätter zwischen den Fingerkuppen. Offenbar arbeitet jetzt nicht nur mein Sprachzentrum, Geschmacksrezeptoren und die für die Verarbeitung haptischer Gefühle zuständige Hirnregionen sind jetzt auch wach.
Plötzlich läuft das Gespräch in seine Zielgerade ein. Dankesworte, das Frühstück wird gelobt (welches Frühstück?, quatscht ein von mir nicht näher benennbares Hirnareal frech rein), man verabredet weiteren Gedankenaustausch. Dann entsteht ein kurzer Moment des Sammelns, bevor alle fast zeitgleich aufstehen. Jetzt! Ich brauch' keinen Engel für Orangensaft. Ich nippe vorsichtig, ja, der tut gut! Alle Gechmacksnerven stehen auf Empfang: Ein ganzer Orangenhain entsteht vor meinem inneren Auge.
Nun schnell aufbrechen und der Versuchung widerstehen, die Physalis oder das Namensschild einzustecken, denn Orte wie diese hier sind ja fotografierfreie Zonen, also gibt's kein Bild zum Blogeintrag. Dann mit allen in einer Bewegung aufgestanden, verabschiedetdankeaufbald und durch die Tür. Raus aus der engelfreien Zone.
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