"Machine head" |
Die täglichen Anforderungen, die an einen beruflich wie privat so gestellt werden, nehmen immer mehr zu, während der Tag bei 48 Stunden bleibt und die Nacht dazu, um's mal salopp zu sagen. Wo ich auch hinsehe, beobachte ich eine zunehmende Ent-Professionalisierung. In meiner Branche hapert es auf Seiten der Kundennachfrage.
Wenn Unfähigkeit und Unwissenheit auf gesunkene Standards trifft, das berühmte "gut genug", sind Katastrophen programmiert.
Immer seltener treffe ich auf Leute, die wirklich zuhören und differenziert erfahren möchten, was wir machen, wie und warum ... und was der Anteil der Kunden am Gelingen unserer Arbeit ist, nämlich uns rechtzeitig mit Hintergrundmaterial zu versorgen. 80 Prozent der Dolmetscharbeit sind Vorbereitung, hier spreche ich von uns menschlichen Dolmetscher:innen, den echten.
Denn das "Gut genug" und "Technik ist so toll" treibt gerade sehr gefährliche Blüten, und zwar mit einer "Dolmetschtechnik", die die werten Kunden nicht ständig mit der Mailnachfrage zu mehr Hintergrundinfo nervt (wie wir's tun). Ist ja super praktisch. Mit einer Technik, die auch nachts verfügbar ist, die keine Essenspausen braucht und überhaupt, die ja sooo wenig kostet.
In Minnesota, einem US-amerikanischen Bundesstaat, wird jetzt für die Übersetzung von Offiziellem auf die KI "OpenAI" gesetzt, wie Slator.com berichtet. Damit könne die Kommunikation schneller und kostengünstiger werden. Das System sei für "kulturelle Relevanz" optimiert worden, man habe "Tabellen mit kulturell relevanten Begriffen und Übersetzungen erstellt und (...) integriert", um das "kulturelle Bewusstsein" zu "verbessern." Das Ganze könnte auch eine Antwort auf den Streik der Spracharbeiter sein, die im Januar 2024 um bessere Honorare gekämpft hatten.
Zudem berichtet Slate über die Existenz eines "begrenzten Pilotprojekts mit einer anderen staatlichen Behörde", das zur Aufgabe habe, "den Einsatz der Sprachfunktionen von ChatGPT für Echtzeit-Dolmetschen zu testen“.
(Ich überlege gerade, was Nichtechtzeit-Dolmetschen sein soll.)
Ziel sei natürlich, die Lage jener im Behördenaustausch zu verbessern, die kein Englisch beherrschen.
Der Artikel vermengt in Wort und Bild unterschiedslos die Arbeitsfelder "Übersetzen" und "Dolmetschen". Es kann nicht bestätigt werden, dass dieser Netzartikel von einer Maschine erstellt worden ist.
Ich fürchte, dass damit so manche Katastrophen programmiert sind. Meine Branche darf jetzt in fast jedem Gespräch mit der Außenwelt, beruflich oder privat, im Chor, in der Familie oder im Zug, die Fehlerquote der KI hervorheben und die Tatsache, dass hier eine Zwei-Klassen-Justiz droht, denn wo der "Normalfall" die Maschine ist (möge die "Probezeit" kurz sein), können sich Begüterte Menschen mitbringen.
KI-gestützte Übertragung ist unzuverlässig und liefert ohne menschliches Zutun nicht selten den größten Nonsens — und ja, neben guten Partien und auf den ersten Blick möglicherweise guten Sätzen. Die Outputs sind heterogen. Das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Jene, die das Gegenteil behaupten, sind entweder nicht informiert, korrupt oder verdienen am Verkauf der KI-Lösungen, die keine "Lösungen" sind, denn die Reparatur kostet oft ein Vielfaches. Im Bereich Asylrecht oder Gesundheit eingesetzt, kosten schon jetzt Nichtprofis und die KI Menschenleben.
Der internationale Dachverband der Übersetzer- und Dolmetscherverbände hat darauf in einem Positionspapier hingewiesen und neben diesen menschlichen auch die finanziellen Kosten hervorgehoben: "Den vermeintlichen finanziellen und budgetären Vorteile müssen im Fall eines Scheiterns den Folgekosten gegenübergestellt werden, die den Preis für eine sach- und fachgerechte Implementierung der KI in die Arbeit von Menschen bei Weitem übersteigen." (Arguments in its favour that derive from financial and budgetary considerations belie a false economy, as the costs associated with failure far outweigh the cost of appropriate implementation by humans.)
Von der EU heißt es auch gerade, dass die KI eigenständig Webseiten übertragen würde. Dem geht allerdings voraus:
1. Hochgradig kodifizierte Sprache
2. Diese Sprache wurde und wird in der EU kleinteilig definiert und abgegrenzt
3. Erstklassige menschliche Übersetzung aus mehreren Jahrzehnten
4. Wiederholt gegengelesene und korrigierte Ausgangstexte
5. Von Profis korrekturgelesene KI-Ergebnisse
Es handelt sich also nicht um "KI-Übersetzungen", wie an vielen Stellen zu lesen ist, sondern um Übersetzungen, die mit KI-Unterstützung von Menschen gemacht werden, also "KI in the loop".
Dabei ist es dermaßen leicht, schräge Töne in 'Übertragungen', wie ich "Übersetzungen" der KI nennen, hineinzubekommen. Hier zum Abschluss noch kleine Perlen aus der Praxis. Hier wurden Handelstexte zum Entwurf zwischen Verbänden "mal eben durch die KI gejagt" und die Ergebnistexte haben, vorsichtig ausgedrückt, für Irritationen gesorgt. Dabei war der Ausgangstext auf Französisch, die deutschen Teilnehmer:innen der Sitzung bekamen im Vorfeld eines Termins eine englische "Übelsetzung" zugeschickt.
Im Agrarkontex heißt "Bestandserhebung" auf Französisch recensement des effectifs, zurückübersetzt sowas wie 'die Köpfe zählen' oder, in bewusster Fehlübersetzung, 'Volkszählung der Angestellten'. Sprache hängt immer vom Kontext ab, gerade im Französischen hat ein Wort oft sehr, sehr, sehr viele Bedeutungen. Prompt hat die KI auch workforce census anstatt stock survey daraus gemacht. Wenn Tiere plötzlich mit Begriffen "gezählt" werden, mit denen sonst nur Menschen beschrieben werden ... Oder der "Butterabsatz", auf Französisch écoulement du beurre. Die KI macht aus dem Verkauf von Butter, butter sales mit leichter "Hand" mal eben butter disposal, das Vernichten, Wegschmeißen von Butter.
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Illustration: pixlr.com-Zufallsfund
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