Mittwoch, 2. Oktober 2024

KI-Murks (5)

Aus dem Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­sche­rin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten ei­ni­ges er­fah­ren. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te haupt­säch­lich mit Fran­zö­sisch, ein we­nig mit Eng­lisch. Wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen ha­ben un­se­re Haupt­spra­chen, da­bei ist die A-Spra­che die Mut­ter­spra­che, B steht für die Haupt­ar­beits­spra­che, C für die so­ge­nann­te pas­si­ve Spra­che. Heu­te folgt der KI-Mitt­woch.

Abstrahierte Grafik: Maschinenteile im blutroten Kopf, unten die Worte KI, fear, death
"Machine head"
Die KI wird der­zeit von Nerds un­be­dacht für den Ein­satz mit Spra­chen­ be­wor­ben, ger­ne auch oh­ne "Hu­man in the loop", und das, oh­ne auf die Stim­men von uns Pro­fis zu hö­ren. Wie kommt es zu die­sem Wan­del, dass die Stim­me von Pro­fis nicht mehr viel zählt? Wie kommt es ganz all­ge­mein zu im­mer mehr Schlud­rig­keit?

Die täg­li­chen An­for­de­run­gen, die an ei­nen be­ruf­lich wie pri­vat so ge­stellt wer­den, neh­men im­mer mehr zu, wäh­rend der Tag bei 48 Stun­den bleibt und die Nacht da­zu, um's mal sa­lopp zu sa­gen. Wo ich auch hin­se­he, be­ob­ach­te ich ei­ne zu­neh­men­de Ent-Pro­fes­sio­na­li­sie­rung. In mei­ner Bran­che ha­pert es auf Sei­ten der Kun­den­nach­fra­ge.

Wenn Un­fä­hig­keit und Un­wis­sen­heit auf ge­sunk­ene Stan­dards trifft, das be­rühm­te "gut ge­nug", sind Ka­ta­stro­phen pro­gram­miert. 


Im­mer sel­te­ner tref­fe ich auf Leu­te, die wirk­lich zu­hö­ren und dif­fe­ren­ziert er­fah­ren möch­ten, was wir ma­chen, wie und war­um ... und was der An­teil der Kun­den am Ge­lin­gen un­se­rer Ar­beit ist, näm­lich uns recht­zei­tig mit Hin­ter­grund­ma­te­ri­al zu ver­sor­gen. 80 Pro­zent der Dol­metsch­ar­beit sind Vor­be­rei­tung, hier spre­che ich von uns mensch­li­chen Dol­metscher:­in­nen, den ech­ten.

Denn das "Gut ge­nug" und "Tech­nik ist so toll" treibt ge­ra­de sehr ge­fähr­li­che Blü­ten, und zwar mit ei­ner "Dol­metsch­tech­nik", die die wer­ten Kun­den nicht stän­dig mit der Mail­nach­frage zu mehr Hin­ter­grund­in­fo nervt (wie wir's tun). Ist ja su­per prak­tisch. Mit ei­ner Tech­nik, die auch nachts ver­füg­bar ist, die kei­ne Es­sens­pausen braucht und über­haupt, die ja sooo we­nig kos­tet.

In Min­ne­so­ta, einem US-ame­ri­ka­ni­schen Bun­des­staat, wird jetzt für die Über­set­zung von Of­fi­zi­el­lem auf die KI "O­pen­AI" ge­setzt, wie Slator.com berichtet. Da­mit könne die Kommunikation schnel­ler und kos­ten­güns­tiger werden. Das Sys­tem sei für "kul­tu­rel­le Re­le­vanz" op­ti­miert wor­den, man ha­be "Ta­bel­len mit kul­tu­rell re­le­van­ten Be­grif­fen und Über­set­zun­gen er­stellt und (...) in­te­griert", um das "kul­tu­rel­le Be­wusst­sein" zu "ver­bes­sern." Das Gan­ze könnte auch ei­ne Ant­wort auf den Streik der Sprach­ar­bei­ter sein, die im Ja­nu­ar 2024 um bes­sere Ho­no­ra­re gekämpft hat­ten. 

Zu­dem be­rich­tet Slate über die Exis­tenz ei­nes "be­grenz­ten Pi­lot­pro­jekts mit ei­ner an­de­ren staat­li­chen Be­hör­de", das zur Auf­ga­be ha­be, "den Ein­satz der Sprach­funk­ti­on­en von ChatGPT für Echt­zeit-Dol­metschen zu tes­ten“. (Ich über­lege ge­ra­de, was Nicht­echt­zeit-Dol­metschen sein soll.) Ziel sei na­tür­lich, die La­ge je­ner im Be­hör­den­aus­tausch zu ver­bes­sern, die kein Eng­lisch beherrschen.
 
Der Ar­ti­kel ver­men­gt in Wort und Bild un­ter­schieds­los die Ar­beits­fel­der "Über­set­zen" und "Dol­metschen". Es kann nicht be­stä­tigt wer­den, dass die­ser Netz­ar­ti­kel von ei­ner Ma­schi­ne er­stellt wor­den ist. 

Ich fürchte, dass da­mit so man­che Ka­ta­stro­phen pro­gram­miert sind. Mei­ne Bran­che darf jetzt in fast je­dem Ge­spräch mit der Au­ßen­welt, beruflich oder privat, im Chor, in der Fa­mi­lie oder im Zug, die Feh­ler­quo­te der KI her­vor­he­ben und die Tat­sa­che, dass hier ei­ne Zwei-Klas­sen-Ju­stiz droht, denn wo der "Nor­mal­fall" die Ma­schi­ne ist (mö­ge die "Pro­be­zeit" kurz sein), kön­nen sich Be­gü­ter­te Mensch­en mit­brin­gen.

KI-ge­stütz­te Über­tra­gung ist un­zu­ver­lässig und lie­fert oh­ne mensch­li­ches Zu­tun nicht sel­ten den größ­ten Non­sens — und ja, ne­ben gu­ten Par­tien und auf den ers­ten Blick mög­li­cher­wei­se gu­ten Sät­zen. Die Out­puts sind he­te­ro­gen. Das wird sich auch in ab­seh­ba­rer Zeit nicht än­dern. Jene, die das Ge­gen­teil be­haup­ten, sind ent­we­der nicht in­for­miert, kor­rupt oder ver­die­nen am Ver­kauf der KI-Lö­sun­gen, die kei­ne "Lö­sun­gen" sind, denn die Re­pa­ra­tur kos­tet oft ein Viel­fa­ches. Im Be­reich Asyl­recht oder Ge­sund­heit ein­ge­setzt, kos­ten schon jetzt Nicht­pro­fis und die KI Men­schen­le­ben. 

Der in­ter­natio­na­le Dach­ver­band der Über­set­zer- und Dol­metscher­ver­bän­de hat dar­auf in ei­nem Po­si­ti­ons­pa­pier hin­ge­wie­sen und ne­ben diesen mensch­li­chen auch die fi­nan­ziel­len Kos­ten her­vor­ge­ho­ben: "Den ver­meint­li­chen fi­nan­zi­el­len und bud­ge­tä­ren Vor­tei­le müs­sen im Fall ei­nes Schei­terns den Fo­lge­kos­ten ge­gen­über­ge­stellt wer­den, die den Preis für ei­ne sach- und fach­ge­rech­te Im­ple­men­tie­rung der KI in die Ar­beit von Men­schen bei Wei­tem über­stei­gen." (Ar­gu­ments in its fa­vour that de­ri­ve from fi­nan­cial and bud­get­ary con­si­de­ra­tions be­lie a false e­co­no­my, as the costs as­so­cia­ted with fai­lure far out­weigh the cost of ap­pro­pria­te im­ple­men­ta­tion by hu­mans.)

Von der EU heißt es auch ge­ra­de, dass die KI ei­gen­stän­dig Web­sei­ten über­tra­gen wür­de. Dem geht al­ler­dings vor­aus­:
1. Hoch­gra­dig ko­di­fi­zier­te Spra­che
2. Die­se Spra­che wur­de und wird in der EU klein­tei­lig de­fi­niert und ab­ge­grenzt
3. Erst­klas­sige mensch­li­che Über­set­zung aus meh­re­ren Jahr­zehn­ten
4. Wie­der­holt ge­gen­ge­le­sene und kor­ri­gier­te Aus­gangs­tex­te
5. Von Pro­fis kor­rek­tur­gele­sene KI-Er­geb­nis­se

Es han­delt sich al­so nicht um "KI-Über­set­zun­gen", wie an vie­len Stel­len zu le­sen ist, son­dern um Über­set­zun­gen, die mit KI-Un­ter­stüt­zung von Men­schen ge­macht wer­den, also "KI in the loop".

Da­bei ist es der­ma­ßen leicht, schrä­ge Tö­ne in 'Über­tra­gun­gen', wie ich "Über­set­zun­gen" der KI nennen,  hin­ein­zu­be­kom­men. Hier zum Ab­schluss noch klei­ne Per­len aus der Pra­xis. Hier wur­den Han­dels­tex­te zum Ent­wurf zwi­schen Ver­bän­den "mal eben durch die KI ge­jagt" und die Er­geb­nis­tex­te ha­ben, vor­sich­tig aus­ge­drückt, für Ir­ri­ta­ti­onen ge­sorgt. Da­bei war der Aus­gangs­text auf Fran­zö­sisch, die deut­schen Teil­neh­mer:­in­nen der Sit­zung be­ka­men im Vor­feld ei­nes Termi­ns eine eng­li­sche "Übel­set­zung" zu­ge­schickt.

Im Agrar­kon­tex heißt "Be­stands­er­he­bung" auf Fran­zö­sisch re­cen­se­ment des ef­fec­tifs, zu­rück­über­setzt so­was wie 'die Köp­fe zäh­len' oder, in be­wuss­ter Fehl­über­set­zung, 'Volks­­zäh­lung der An­ge­stell­ten'. Spra­che hängt im­mer vom Kon­text ab, ge­ra­de im Fran­zö­sischen hat ein Wort oft sehr, sehr, sehr vie­le Be­deu­tun­gen. Prompt hat die KI auch work­force cen­sus an­statt stock sur­vey dar­aus ge­macht. Wenn Tie­re plöt­zlich mit Be­grif­fen "ge­zählt" wer­den, mit de­nen sonst nur Men­schen be­schrie­ben wer­den ... Oder der "But­ter­ab­satz", auf Fran­zö­sisch é­cou­le­ment du beur­re. Die KI macht aus dem Ver­kauf von But­ter, but­ter sa­les mit leich­ter "Hand" mal eben but­ter dis­po­sal, das Ver­nich­ten, Weg­schmei­ßen von But­ter. 

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Il­lus­tra­tion: pixlr.com-Zu­falls­fund

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