Dienstag, 2. April 2024

Reise durch Raum und Zeit

Bon­jour, hel­lo und gu­ten Tag auf dem ers­ten Web­log Deutsch­lands aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bi­ne. Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin­nen rei­sen nor­ma­ler­wei­se viel, hin­zu kom­men pri­va­te Ver­pflich­tun­gen. Mein All­tag be­steht oft aus Rei­sen.

Abend­rou­ti­nen und Mor­gen­rou­ti­nen, die kom­men stets in den Kof­fer mit rein, wenn es auf Dienst­rei­se geht.

Reisefertig

Ich ha­be ein Köf­fer­chen, das im­mer fer­tig ge­packt auf Kurz­ein­sät­ze in der "Ab­sei­te" über dem Wohn­ungs­ein­gang war­tet, da­rin al­les, um von Kopf bis Fuß vor­be­rei­tet zu sein, als da wä­ren: mein klei­nes Rei­se­kis­sen, frisch be­zo­gen und mit zwei­ter Hül­le, so­wie Bau­stel­len­schu­he für be­son­de­re Ein­sät­ze, in der Plas­tik­tü­te ei­ner Buch­hand­lung. Plas­tik­tü­ten wer­den lang­sam sel­ten. Die­ses Ex­em­plar ist recht alt, aber nicht so alt, wie es aus­sieht, denn es sind Frak­tur­buch­sta­ben drauf­ge­druckt.

Packta­schen

Im Kof­fer be­fin­den sich auch tex­ti­le Pack­ta­schen für Wä­sche, dün­ne Le­der­haus­schu­he aus Ma­rok­ko in ei­ner Wachs­tuch­ta­sche so­wie ein klei­ner "Kul­tur­beu­tel" mit Zahn­putz­ta­blet­ten in ei­nem win­zi­gen Dös­chen, da­zu ein klei­ner Tie­gel Haut­creme, ein hand­ge­säg­ter Horn­kamm, Oh­ro­pax und die Schlaf­ma­ske.
In ei­nem Me­tall­dös­chen steckt das über Wo­chen klein ge­wor­de­ne Stück Haar­sei­fe aus Kreuz­küm­mel­öl so­wie ein ähn­lich re­du­zier­ter fes­ter Deo-Cube aus na­tür­li­chen Zu­ta­ten der fran­zö­si­schen Fir­ma La­ma­zu­na (oh­ne un­nö­ti­ge Ver­packung).

Schulbuchfigur Grete auf dem Weg ins Bett, im Bad, beim Anziehen
Häus­li­cher All­tag



Vor Dienst­rei­sen wer­fe ich nur noch ein, zwei, drei Klei­dungs­stü­cke in die Pack­ta­sche, im Som­mer flache Schu­he in eine ge­son­der­te, Sie ah­nen es, Schuh­ta­sche, packe die Zahn­bürs­te in die Bam­bu­s­röh­re, in der sie auf Rei­sen wohnt, dann be­fül­le ich Trink­fla­sche und Vor­rats­box (bei­des aus Edel­stahl). Ich brau­che dafür et­wa fünf Mi­nu­ten. 

 Einfaches Packen

Frü­her war mei­ne Pack­zeit be­reits auf 25 Mi­nu­ten ge­schrumpft, aber in den Jah­ren des Pen­delns in der Fa­mi­li­en­zeit ha­be ich das op­ti­miert. Auf Rei­sen hat al­les sei­nen Platz, so­gar, was die La­ge im Kof­fer an­geht. In der klei­nen Vor­der­ta­sche sind Re­gen­schirm, Stoff­tü­cher, Des­in­fek­ti­ons­gel und Mund­schutz (plus Vor­rat), ich weiß ja nie, wem ich un­ter­wegs so be­geg­ne, die ak­tu­el­le Lek­tü­re kommt hin­zu, fer­tig!

Schnel­lig­keit

Auch im Ruck­sack hat al­les sei­nen an­ge­stamm­ten Platz. Das al­les mag ma­ni­sch wir­ken, es geht mir hier aber nur um Rou­ti­nen und Schnel­lig­keit. Ich fin­de so­gar im Halb­dun­kel ei­nes Ta­xis mit einem Griff, was ich su­che. Und mit Rou­ti­nen und Schnel­lig­keit ha­be ich ja im Dol­met­schen gu­te Er­fah­run­gen ge­macht, das Gan­ze schlicht er­wei­tert. (In der Wohn­ungs­ord­nung bin ich noch nicht so weit, träu­me aber da­von.)

Frak­tur­schrift

Zu­rück zur Frak­tur, den al­ten go­ti­schen Buch­sta­ben auf der Plas­tik­tü­te fürs gro­be Schuh­werk. Die Bil­der­fol­ge oben zeigt die klei­ne Gre­te aus einem Schul­buch für das Fach Deutsch, das aus Frank­reich stammt, ge­druckt im Jahr des Mau­er­baus, also 1961. Eini­ges scheint dort noch alt­ba­cke­ner, als wir uns die frü­hen 60-er vor­stel­len. Und ir­gend­wie ein we­nig falsch.

Be­son­ders ir­ri­tiert mich näm­lich, dass die­ses Schul­buch in Frak­tur­schrift ge­setzt wor­den ist. Und die Schul­buch­lerntex­te sind auch be­fremd­lich. Ich ha­be den Text trans­kri­biert, mit dem Maus­zei­ger über das Bild ge­hen und er taucht auf.
Soll­te das nicht funk­tio­nie­ren, bit­te aufs Mi­ni­bild klicken ... 

75. — Gretes Morgentoilette. 1. Gestern Abend war Grete sehr müde. Sie ging früh zu Bett. Sie kleidete sich aus. Sie drehte das Licht aus und schlief sogleich ein. 2. Es ist 6 1/2. Grete erwacht. Sie springt rasch aus dem Bett. Sie geht ins Badezimmer, wäscht sich und bürstet ihre Zähne. Sie nimmt den Kamm und kämmt ihre Haare. 3. Nachher wird sie sich ankleiden. Sie wird ihren Rock und ihre Bluse, ihre Strümpfe und ihre Schuhe anziehen. Sie wird den Hut aufsetzen und zur Schule gehen.
A­bend- und Mor­gen­rou­ti­nen

Kritik am Inhalt

Das Licht dreht heu­te nie­mand mehr aus, hier fun­zelt noch das Öl­lämp­chen so­wie der Dreh­schal­ter lei­se mit, den die In­ge­nieu­re bei der Er­fin­dung von "elek­trisch Licht" zu­nächst bau­en lie­ßen. Heu­te ma­chen wir das Licht aus. Um 6 1/2 steht heu­te kei­ner mehr auf. Wie war das da­mals? Stand man wirk­lich um sech­sein­halb auf, oder doch eher wie heu­te um halb sie­ben? Auch Zäh­ne­put­zen vor dem Früh­stück er­scheint ir­gend­wie doof, un­nütz, außerdem heißt es 'Zäh­ne putzen' und nicht 'Zä­hne bürs­ten', auch wenn die Zahn­bürs­te wirk­lich so heißt. Das Wort "sich an­klei­den" ist al­ter­tüm­lich und kommt ge­spro­chen ma­xi­mal im "An­klei­de­zim­mer" (kurz: die An­klei­de) vor. Ich schät­ze mal, dass be­reits An­fang der 1960-er Jah­re "sich an­zie­hen" ge­sagt wur­de.

Mit dem Hut in die Schu­le, auch frag­lich. Bei Do­ku­men­tar­auf­nah­men der 1920-er und 30-er Jahre tra­gen in der Tat fast al­le ei­ne Kopf­be­de­ckung. Aber es­sen müs­sen Schul­bruch­gre­ten of­fen­bar nicht, ih­re be­son­de­re Stoff­lich­keit lässt sie zwar mü­de, nicht aber hun­gri­g wer­den.

Kritik an der Form

Vor al­lem ir­ri­tiert mich, dass fran­zö­si­schen Schul­kin­dern da­mals Frak­tur zu­ge­mu­tet wur­de, auch 'alt­deut­sche Schrift' ge­nannt. Die hat­ten die Nazis im Zug ih­rer Er­obe­rung Eu­ro­pas doch längst ab­ge­schafft ge­habt, sie sei, so der völ­ki­sche Hoch­mut, al­len au­ßer den Men­schen von 𝔱𝔢𝔲𝔱­𝔰𝔠𝔥𝔢𝔪 𝔊𝔢­𝔟lü­𝔱𝔥𝔢 nicht zu­mut­bar.

Mein Va­ter durf­te als Kind da­her gleich zwei­mal schrei­ben ler­nen. Nach ei­ner kur­zen Netz­re­cher­che ha­be ich auch das Da­tum: 3.1.1941. Die­se Herr­schaft­en be­zeich­ne­ten die Let­tern üb­ri­gens als "go­ti­sche Schrift", so wie sie heu­te auf Fran­zö­sisch noch hei­ßen, let­tres go­thi­ques.

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Il­lus­tra­tio­nen:
L. Bo­de­vin, P. Isler, Collec­tion
Deutsch­land, Vol. 1, Mas­son et Cie., Pa­ris
Schrift: www.font-ge­ne­ra­tor.de
Merci beau­coup à Di­dier Schei­be et à son épo­use !

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