Mittwoch, 17. Januar 2024

Der Nürnberger Trichter

Sie le­sen hier in ei­nem Blog aus der Ar­beits­welt, ge­nau­er: aus dem All­tag ei­ner Dol­met­sche­rin. Meine Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Es gibt Kun­d:in­nen, die blei­ben au­ßen vor, weil sie sich die Zeit für Be­ra­tung nicht neh­men. Scha­de.

KI-Gemälde: Maschine, Trichter, oben fliegen Dokumente und Buchstaben rein
Die Über­set­zungs­ma­schine (gemäß der KI)
Wer Dol­met­sche­r:in­nen sucht, darf sich ein we­nig auf die Art, wie wir ar­bei­ten, ein­las­sen, da­mit wir ge­mein­sam die bes­te Lö­sung fin­den.

"Die Kun­din hat nicht viel Ah­nung von un­se­rer Bran­che, sie hat stän­dig ge­sagt, dass sie eine Syn­chron­über­set­ze­rin für ei­nen Vor­trag brau­che", sagt ei­ne Kol­le­gin am Te­le­fon, die mich auf Emp­feh­lung ei­ner an­de­ren Kol­le­gin an­ge­ru­fen hat. Die­se po­ten­zi­el­le Kun­din be­nö­tigt kei­ne Über­set­ze­rin für ein Dia­log­buch vor der Syn­chro­ni­sie­rung, son­dern zwei Si­mul­tan­dol­met­sche­rinnen, die im Wech­sel münd­lich über­tra­gen kön­nen. Es geht um einen Nach­mit­tag plus ei­nen gan­zen Tag, ir­gend­wo in Bay­ern, um Schu­lungs­soft­ware ei­ner nam­haf­ten Han­dels­ket­te.

Beratungsintensiv 

Wir erklären gerne ruhig alle De­tails und dass wir uns re­la­tiv schnell ein­ar­bei­ten kön­nen, da­zu aber Ma­te­ri­al im Vor­feld be­nö­ti­gen. Wir fah­ren ger­ne auch dort­hin, wo die Schu­lung statt­fin­den wird. (Zug- und Un­ter­kunft­skos­ten kämen zum Ho­no­rar hin­zu.)

Die Kun­din aber, so er­fah­re ich am Te­le­fon, möch­te lie­ber re­mo­te schu­len, al­so aus der Fer­ne, das spa­re Zeit. Die Men­schen sol­len im Bü­ro vor ih­ren Rech­nern sit­zen, sie spricht Fran­zö­sisch und aus dem ir­gend­wie ge­ar­te­ten Off stellt sie sich eine Flüs­ter"über­set­zung" vor. Mehr weiß sie nicht. Nein, für eine Kon­fe­renz­soft­ware, die ei­nen zwei­ten Ton­ka­nal bie­tet, ist sie nicht ge­wil­l­t zu be­zah­len. Auch nicht für Rei­sen oder zwei Dol­met­scher:in­nen, die sich wie bei Si­mul­tan­dol­met­schen üb­lich ab­wech­seln wür­den. Also soll es ei­ne Per­son ma­chen, not­falls in Pau­sen hin­ein und nein, das Sys­tem kön­ne lei­der nicht im Vor­feld zum Ken­nen­ler­nen be­reit­ge­stellt wer­den. Das sei ein Rech­te-, aber vor al­lem ein Zeit­pro­blem! 

Lösungsansätze

Wir schla­gen vor, dass we­nigs­tens eine kon­se­ku­tiv dol­met­schende Per­son ge­mein­sam mit der Re­fe­ren­tin vor Ort sein sol­le, um am ers­ten hal­ben Tag die Soft­ware ken­nen­ler­nen zu kön­nen so­wie sich bei Rück­fra­gen un­mit­tel­bar be­merk­bar ma­chen zu kön­nen, da­mit, falls z.B. et­was nicht so­fort über­trag­bar sein soll­te, wei­te­re Er­klä­run­gen di­rekt er­be­ten wer­den kön­nen. Au­ßer­dem wer­de bei die­ser Dol­met­schart die Ver­an­stal­tung län­ger dau­ern bzw. man müs­se In­halt kür­zen, denn durch das Dol­met­schen in dafür nö­ti­ge Sprech­pau­sen hin­ein ver­län­ge­re sich das Gan­ze, so mei­ne Kol­le­gin.

Die Ant­wort der po­ten­zi­el­len Kun­din kommt am En­de des Ta­ges: Das sei doch al­les ein we­nig zu kom­pli­ziert und dro­he, län­ger als nö­tig zu dau­ern. Man ha­be nun die Schu­lung ver­kürzt und brau­che über­haupt kei­ne Dol­met­sche­rin mehr.

Chance vertan

KI-Gemälde: Kopf, in den in Trichterform verschiedene Sprachen in unterschiedlichen Farben reinfließen
Nürnberger Trichter (der KI zufolge)
Wie auch im­mer das ge­stal­tet sein soll, wir ha­ben da un­se­re be­rech­tig­ten Zwei­fel. Was ich eher be­fürch­te : Es darf ei­ne zu­fäl­lig zwei­spra­chi­ge Mit­ar­bei­te­rin "aus­hel­fen", die ih­re Sa­che die ers­ten Mi­nu­ten lang gut macht, dann wird es kurz­at­mi­ger, nach spä­tes­tens ei­ner hal­ben Stun­de ist die Luft raus. Oder je­mand ver­fiel auf die glo­ri­o­se Idee, die KI zu bemühen. Oder es auf Eng­lisch durch­zu­zie­hen (und dann be­herr­schen et­li­che schließ­lich doch nicht so gut die Spra­che Shake­speares ...) Es dürf­te zu ho­hen Über­tra­gungs­ver­lus­ten und -feh­lern kom­men. Um was ging es gleich noch­mal? Um Schulun­gen? Das droht am En­de sehr viel teu­rer zu wer­den, als wenn wir Sprach­pro­fis be­auf­tragt wor­den wä­re.

Ich schät­ze mal, die Part­ner auf deut­scher Sei­te kommen aus Nürn­berg, und heim­lich ha­ben sie den Nürn­ber­ger Trich­ter ent­deckt, mit dem sie das ma­chen wer­den. Iro­nie aus!
______________________________
Foto: Dall:e (im Stil von Henri Matisse)

Keine Kommentare: