Dienstag, 11. Oktober 2022

Das Prinzip der Waagschalen

Hal­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Ein­blicke in das Le­ben einer Sprach­ar­bei­te­rin kön­nen Sie hier er­hal­ten. Ich bin Dol­met­sche­rin für die fran­zö­si­sche Spra­che mit Deutsch als Mut­ter­spra­che. Ich über­set­ze auch aus dem En­g­li­schen, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Sprache. Derzeit bin ich seltener auf Kon­fe­ren­zen an­zu­tref­fen. Die Pan­de­mie ist noch nicht vor­bei: Es fin­den we­ni­ger Ver­an­stal­tun­gen statt.

1923 wie 2022: Büroarbeit
Daher reihen sich jetzt Büro­tag an Büro­tag. Das wird sich in der nächs­ten Zeit kaum än­dern. Heute: Nach­denken zum Thema Über­setzungen ... mit den Hän­den auf der Tas­ta­tur.

Gerade über­setze ich einen Es­say. Die Autorin geht stel­len­weise sehr kreativ mit Sprache um, bringt verständ­li­che Be­grif­fe, die aber zum Teil ei­ge­ne Subs­tan­ti­vie­run­gen sind, gerne auch in Ver­bin­dung mit na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ad­jek­ti­ven. Wie­der­holt fin­de ich, wenn ich online recher­chiere, nur diese eine Er­wäh­nung im weltweiten Netz (es wurden dort Buchaus­schnit­te publi­ziert). Auch pflegt sie eine Art verba­len Denk­mal­schutz, der mir sehr ver­traut ist, ich nut­ze selbst ger­ne vom Aus­ster­ben be­droh­te Be­grif­fe.

Sie stammt aus einem Kul­tur­be­trieb, mit dem ich Fran­zö­sisch ge­lernt habe, dem Hör­funk­sender France Cul­ture. Also lauter gute Voraus­setzungen für eine gute Übertragung.

Erst habe ich gefremdelt. Wollte ihre An­spie­lungen und Anklänge immer im Aus­gangs­satz un­ter­brin­gen, verbiss mich in Halb­sätze.

Dann habe ich mich an mein Prinzip der Waag­schalen erinnert, in einer Se­mi­nar­ar­beit 1987/88 be­schrie­ben: Aus­gangs- und Ziel­text sollten gleich viel "wiegen", und hier spreche ich von Rhyth­mus, Inter­punktion, Anspie­lungen, Al­li­te­ra­tio­nen, Schnör­kel oder Schnör­kel­lo­sig­keit, Bildern und Aus­rufen! Was ich im aktu­ellen Satz nicht unter­bekomme, schreibe ich auf, die Liste hilft mir, die Sachen später wieder einzupflegen, Punkt für Punkt darf ich im Lauf der Arbeit wieder ausstrei­chen.

Damals hatte ich zusammen mit einem er­fah­renen Übersetzer Lyrik und Theater über­setzt, und zwar eher aus Neu­gierde denn mit Gewinn­er­zie­lungs­ab­sicht. Der gute Name des bekann­ten Übersetzer hat damals leider einen hef­ti­gen Schlag für mich bekommen, er hat nämlich (entgegen seiner Zusagen) meinen Na­men bei der Ver­öf­fent­li­chung unter den Tisch fallen lassen. Unschön.

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Foto:
Fotoarchiv Elias Lossow

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