Sonntag, 2. Oktober 2022

Auszug

Hel­lo, bon­jour und gu­ten Tag beim ers­ten deut­schen Weblog aus dem Ka­bi­nen­in­neren. Hier beschreibe ich Erlebnisse von Kon­fe­renzen und aus dem Büro, von Film­set oder Fes­ti­val, von Messen oder der Bau­stelle. Unter Wah­rung dienst­licher Geheim­nisse erzähle ich, was den Beruf ausmacht, und denke über allerlei Th­emen nach.

Zwiebel­muster auf dem Küchen­tisch
Heute ist mein eigener Ge­denk­tag. An einem 2. Ok­to­ber bin ich zum Studium nach Paris auf­ge­bro­chen. Ich nahm den Orient-Ex­press — ab Dorf im Schwä­bi­schen, wo die El­tern berufs­be­dingt hin­zie­hen muss­ten, doch streik­te die SNCF mal wie­der, der Zug fuhr ver­lang­samt, stand stun­den­lang in Metz rum, und die Lie­ge­wa­gen wa­ren auch nicht dabei.

Auf dem Weg zum Bahn­hof hat mein Vater ge­weint. Sein ers­tes Kind zog aus, frisch abituriert, den selbstge­fun­den Studien­platz in Paris wahr­neh­men. Es war vor dem Mau­er­fall, damit vor Erasmus und anderen Aus­tausch­pro­gram­men. Ich hatte mich ein Jahr zuvor allein in Paris zum Ein­stu­fung­stest an der Sorbonne begeben, dem ESEU (examen spécial d'entrée à l'université), und hätte sogar schon ein Jahr zuvor einen Studien­platz bekom­men können, habe dann das 13. Schul­jahr und das deut­sche Abitur doch noch gemacht.

Mein Vater war gleicher­maßen stolz auf mich, irri­tiert und großzügig. Die Hälfte meines Lebens­un­ter­halts in Paris konnten die Eltern bei­steuern, da­mals war unsere Mut­ter mit den drei Geschwis­tern noch zuhause, ein Teil kam vom Erbe der Oma, und ich habe rasch diverse Jobs ange­nommen, Teilzeit-Au-Pair gegen das Zim­mer, Stadt­füh­rungen (für deut­sche Jugend­grup­pen), Deutsch­unter­richt. Paris war da­mals schon ein teures Pflas­ter.

Mit der Voll­en­dung des 21. Lebens­jahrs, der er­wei­ter­ten Volljährig­keit, habe ich die erste Über­set­zer­prü­fung an der IHK Paris ab­ge­legt, worauf ich einen Job als Werk­stu­dentin in einem Pariser Vorort fand (einen Tag in der Woche).

Nach meinem Prak­ti­kum bei damaligen Sender Freies Berlin, weitere zwei Jahre später, konnte ich kurze Hör­funk­bei­trä­ge aus Frank­reich ver­kau­fen. Damals wur­den Wie­der­ho­lun­gen noch gut bezahlt, das war mein Trick: "bunte Stück­chen" wurde im Radio das genannt, was in einer Zeitung auf der letz­ten Seite unter "Ver­misch­tes" steht, in der Regel mit einem kriti­schen Blick auf die Ge­sell­schaft. Ich fand The­men, feil­te, nahm Akus­ti­ken auf, lern­te gut zu spre­chen. An­dere ARD-Ans­tal­ten über­nahmen gerne.

Mich über­rascht die Chuz­pe, mit der ich dieses Pro­jekt durch­ge­zo­gen habe, bis heute. Auf dem Weg zum Bahnhof weinte mein Vater. Und er er­zähl­te meiner Mut­ter und mir, wie es sich an­ge­fühlt hatte, als er mich zum ersten Mal im Kin­der­gar­ten unter Wild­frem­den aus­set­zen musste.

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Foto: C.E.

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