Dienstag, 15. März 2022

Traumwohnung

Bien­ve­nue auf den Sei­ten einer Sprachar­bei­te­rin. Wir Über­setzerin­nen, Über­set­zer, Dol­metscherinnen und Dolmetscher ar­beiten seit Beginn der Pan­demie we­ni­ger als zu­vor, dafür mehr für Privat­kunden. Das ist nicht immer schön. Manchmal sind wir Überbrin­ge­rinnen schlech­ter Botschaften.

Es klingelt an der Tür, als ich am Tele­fon bin um noch die letzten Details einer an­ste­hen­den Veran­stal­tung zu klären. Ich über­höre das groß­zügig, denn je­der Werbe­pros­pekt­ein­werfer tastet sich bei uns ein­mal durch das hal­be Klingel­schild hin­durch. Nach zwei Mi­nu­ten klin­gelt es wieder, erst kurz, dann länger, dann immer drän­gen­der. Ich eile zur Ge­gen­sprech­an­lange. 

Wenig später sitze ich mit einer Stu­dentin und einem Tablett mit Kaffee­sachen im Hof. (Der Kaffee war vorher schon auf­ge­setzt gewesen.) Ob ich ihr als Dol­met­sche­rin helfen könne, hatte diese durch das Haus­te­lefon gefragt. Sie sei eigent­lich eine Nach­barin, hätte eine Woh­nung in meinem Kiez gemietet, stehe nun mit viel Ge­päck im Auto vor dem Haus — und der Schlüs­sel passe nicht.

Grundriss einer Miniwohnung
Traumwohnung für Studentin

Vielleicht habe es ein Miss­ver­ständ­nis gegeben, die Abspra­chen seien auf Eng­lisch erfolgt, beide Sei­ten, Vermie­ter und Mie­terin, hätten mit dem Idiom ihre Schwierigkeiten.
Ich höre mir alles an, sor­tiere, ve­rsuche kurz erfolg­los den Ver­mieter zu errei­chen, re­cher­chie­re. Mei­ne Be­fürch­tung er­weist sich als richtig, weil ich von der Betrugs­masche schon gehört hat­te: Gewisse beson­ders üble Subjekte kochen auf der Woh­nungs­krise ihr übles Süpp­chen mit der Hof­fnung der Neu­an­kömm­linge.

Da hatte also jemand via Netz kom­mu­ni­ziert, er wolle seine frisch ge­kauf­te Ei­gen­tums­woh­nung ver­mieten, da er für zwei Jahre zu einem For­schungs­ei­nsatz ins Ausland gehen würde. Die Woh­nung sei gut gelegen, sogar ein klei­nes, son­nen­ver­wöhn­tes Hof­gärt­chen mit Mini-Ter­ras­se pries die An­zeige an. Da­für sei die Woh­nung klein und vor allem über­ra­schend günstig: 250 Euro Netto­miete, 145 Euro Ne­ben­kosten, 395 Euro tutti quanti für gut 30 Qua­drat­meter. 

Die franzö­sische Aus­tausch­stu­dentin in spe hatte gleich zuge­schla­gen, Papiere für eine el­ter­liche Bürg­schaft über­setzen und be­glau­bigen lassen (ohne zu ahnen, dass dies in Deutsch­land nicht in ähn­li­cher Weise gefordert wird wie in Frank­reich), den Miet­vertrag aus­ge­druckt, un­ter­schrie­ben und zurück­ge­sandt, ebenso die be­glau­big­ten Aus­weis- und Bank­do­ku­mente, einen Last­schrif­teinzug auto­ri­siert und Geld für die Kaution überwiesen. Im Gegen­zug fand sie die Schlüs­sel in ihrem Pariser Brief­kasten, denn der Ver­mieter war schon im Be­griff, selbst seine gro­ße Reise an­zu­treten. Angeb­lich.

Es passiert leider immer wie­der, dass ein Paar Schlüs­sel aus ba­na­lem rost­freiem Sonst­was zum Preis gol­dener Schlüs­sel ver­hökert wird. Über­all im Netz sind War­nungen zu finden. Aber das Gefühl, dass hier un­er­war­tetes Glück winkt und man schnell sein muss, damit einem das Schnäpp­chen nicht durch die Lappen geht, macht all­zu­oft die Men­schen blind.

Im Netz finde ich nach etwas Re­cher­che, dass der Grund­riss mit Photo­shop ge­än­dert wurde und eigent­lich zu einer anderen Wohnung aus der Nach­bar­schaft zu ge­hö­ren scheint: Ein­zim­mer­woh­nung, 40 Qua­drat­meter, 755 Euro. 19 Euro den Qua­drat­meter, Alt­bau, eng und un­möb­liert, die ha­ben doch nicht mehr alle Tas­sen im Schrank!

Ein Blick in Google Maps hätte übrigens aus­ge­reicht um festzustellen, dass nicht nur die Sache mit den vie­len Son­nen­stun­den im Hof­gar­ten ein Mär­chen sein musste: Der Hof der an­ge­ge­benen Adresse umsteht von allen vier Seiten eng ge­bau­tes Mauerwerk. Das Wort "Traum­woh­nung" erhält einen an­de­ren Bei­ge­schmack.

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Grafik:
Wohnungsbetrüger

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