Dienstag, 1. März 2022

Kü­chen­es­ka­pis­mus

Herzlich will­kom­men! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was wir Sprach­ar­bei­te­r:in­nen ma­chen, wie wir ar­bei­ten und leben, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema. Der Co­ro­na­vi­rus hatte aus mei­nem Ar­beits­ta­ge­buch ein COVIDiary ge­macht. Das Vi­rus ist noch nicht ende­misch, da hat schon ei­ne neue Ära be­gon­nen.

Stehpult für Rückengesundheit
Neue Wörter: Kü­chen­es­ka­pis­mus und Nicht­ar­bei­ten­kön­nen­ar­beits­tage. Als eins­ti­ges Ost-West-Kind, mit den El­tern wa­ren wir im Westen, eine Oma, Groß­tante und zwei er­wach­sene Cou­sins ebenso, die Groß­fa­mi­lie indes im We­sent­lichen in der ehe­ma­li­gen DDR, und als je­mand, die in ei­nem frü­he­ren Be­rufs­le­ben Jour­na­listin war, bin ich bis heute fast schon ein News­jun­kie.

Ukraine­krieg: Nach 1989 und dem 11. Sep­tem­ber 2001 könnte das der drit­te his­to­risch blei­bende Moment sein, den ich in mei­nem Leben wach mit­be­kom­me, den ara­bi­schen Früh­ling, die Pan­de­mie und die Fi­nanz­kri­sen mal kurz außen vor­ge­las­sen. (*) Also flie­he ich aus dem Ar­beits­zim­mer in die Kü­che und ver­bes­sere ei­ge­ne Stan­dard­re­zepte, schrei­be Men­gen­an­ga­ben auf, opti­mie­re. Heu­te: Ama­ranth-Ge­mü­se­brat­lin­ge, auch Löffel­brat­lin­ge oder Gold­taler ge­nannt. (Mal schauen, wel­cher Be­griff sich durch­setzen wird.)

Unten im Hof ist das Frühjahr mit Ka­ra­cho aus­ge­brochen. Fried­lich spie­len Kinder dort, malen auf die son­nen­er­wärmten Pflastersteine, flitzen quer durch das Gar­ten­teil, was hier nie­man­den auf­regt: In erster Linie wach­sen hier Kin­der auf, an zwei­ter Stelle folgt der Hofgarten, das Hobby von zwei bis drei Mit­strei­te­rin­nen und mir.

Was ich jetzt zwischendurch mache:
⊗ Arbeits­mails von der Groß­baustel­le des der­zei­ti­gen Haupt­kun­den ge­gen­lesen, die grup­pen­in­tern automatisch übersetzt werden
⊗ Technik­pla­nung für die Ver­dol­met­schung einer Autoren­lesung im Berliner En­sem­ble im Früh­jahr
⊗ Einen Kosten­vor­an­schlag für Ende April erstellen, 30 Minu­ten Online­dol­met­schen zu einem The­ma, das ich letzten Herbst einen Tag lang vor Ort ge­macht habe, das ich also gut kenne

Dann dürfen Stoff­tiere aufs Wäschereck, die Nachbarkinder gesammelt haben. Die Kuscheltiere werden Bei­ladung. Der Hei­mat­ver­band, ein Film­ver­band schließt sich einem Kon­voi an, der Fest­plat­ten, Com­puter, Rou­ter, Kame­ras etc. in die Ukraine bringt. Andere suc­hen Schutz­wes­ten auch für den ei­ge­nen Be­darf über die News­group. Mir schnürt es den Hals zu.

Ich bin übri­gens für eine Ber­liner Luft­brücke mit Lebens­mit­teln, me­di­zi­ni­schem Ma­terial etc. in die Ukraine.

Gemüsebratlinge
Was im Post­fach fehlt, und das passt (noch) zu mei­ner re­du­zier­ten Kon­zen­tra­tions­fä­hig­keit: Kon­fe­renz­an­fragen in er­heb­li­chem Umfang. Nor­maler­wei­se wür­den die Bu­chun­gen für die Früh­jahrs­sai­son längst lau­fen. Noch ist es er­schreckend still.

Die Men­schen sind weiter un­si­cher wegen der Pan­demie, und jetzt schauen sie auch noch wie ich be­sorgt in Rich­tung Ukra­ine ... oder aber sie schrei­ben ihre Pro­gramme um und ver­tagen er­neut? Wer weiß das schon. Oooooommmmm sagen.


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Fotos: C.E.
(*)
und eigentlich hoffe ich noch immer da-
rauf, dass jemand Putin rasch entmachtet

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