Montag, 21. März 2022

Gemütliches Küchendolmetschen

Bien­ve­nue auf den Sei­ten einer Sprach­ar­bei­te­rin. Seit 2007 berichte ich hier in loser Folge über das Ar­beits­le­ben von Über­setzerin­nen, Über­set­zern, Dol­met­scherinnen und Dol­met­schern. Unser Beruf kann sogar auch mal gemütlich sein.

Für Handys gibt's kaum stabile Stative
Bei einer Euro-Be­triebs­­rats­sit­zung wird gemeinsam ein Text for­mu­liert. Die Schrei­benden sitzen auf mehrere Länder verteilt: Zypern, Grie­chen­land, Frank­reich, Belgien, die tschech­ische Re­publik und in Deutsch­land. Wir Dol­met­scherin­nen und ein Dol­met­scher sind per Kon­fe­renz­soft­ware pandemiebedingt aus den ei­ge­nen Büros zu­­ge­­schal­tet.

Die Sitzung dauert drei Stunden. Vier oder fünf län­gere Gesprächs­phasen gibt es, in der Zwi­schen­zeit wird for­mu­liert, um Ver­ben gerun­gen, werden Kom­mata ge­setzt, Neben­sätze ge­löscht. Dann ge­hen al­le in eine kurze Pau­se. Da habe ich Zeit, in die Küche zu flüch­ten, weil neben dem Büro Türen abge­schlif­fen wer­den. 

Damit ich gut mit­lesen kann, lege ich mir den Text auf den Klapp­rechner und die Kon­fe­renz aufs Handy, Stich­wort se­cond screen, denn das Tablet ist in der Repa­ratur.

Alle haben zeit­gleich ihre Hände auf den Tastaturen. Das gesprochene Wort tritt hinter dem Ge­schrie­be­nen zurück. Was für eine Erholung, ver­gli­chen mit man­chen Kon­ferenztagen, an denen uns über­mo­ti­vier­te Pro­mo­ven­d:in­nen ihre ganze Dis­ser­ta­tion auf 20 Minuten redu­ziert zumuten! Das sind Menschen, die noch so wenig Abstand zur eigenen Arbeit haben, dass sie alle Aspekte der eigenen Forschung in die kurze Redezeit hin­ein­pres­sen möchten. 

Das klappt natürlich nicht, weil sie, statt wohl­for­mu­lierte Sätze zu sprechen, mit verbalen MG-Salven um sich feuern. Sie reden so schnell, dass sogar Mut­ter­sprach­ler in der Ausgangssprache nicht mit­kom­men, und sie überziehen gerne ihre Vor­trags­zeit. Wie sollen wir Dol­metscher:innen das leis­ten, zumal wir in solchen Fäl­len vor­ab oft we­der eine In­halts­­zu­sam­­men­fas­sung noch das Ma­nu­s­kript er­hal­ten haben? Da stoßen wir an die Gren­zen unserer Kunst und brauchen eine Erholung.

Gut, wenn dann Mo­de­ra­to­ren wie beim letzten Vor­fall die­ser Art sa­gen: "Jetzt ist nach drei fünf­mi­nü­tigen Vorträgen eine gute Stunde vergangen, und nach ihrem sportlichen Ein­satz haben unsere Dolmetscherinnen eine Pause verdient."

Anders heute: Wir haben viel Schweigen verdolmetscht und Nachdenk­pau­sen. In der Zwi­schen­zeit ließen sich Glossare vervoll­stän­digen. Eine bezahl­te Atem­pause für uns. Wun­derbar.

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Foto:
C.E.

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