Montag, 30. Juni 2014

Das einfache Leben

Bon­­jour, bien­ve­nue, wel­come auf den Sei­­ten mei­nes di­­­gi­­­ta­­­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Hier schrei­be ich als Über­setzerin und Dolmetscherin für die fran­zö­sische Sprache (sowie aus dem Englischen) über meinen Berufsalltag. Heute: Einfachstes!

Geschenke aus meinem Garten von Barbara Krasemann (2012)
Zwei Sprachen, ein Buch
In unserer an Reiz­über­flu­tun­gen überreichen Zeit sehnen sich alle nach Vereinfachung und Klarheit. Regalmeterweise stehen Rat­ge­ber­bü­cher in den Läden und warten auf Käufer, die das einfache Leben suchen. Das geht mit der Wahl äst­he­ti­scher Möbel aus edlem Ma­te­ri­al los.

Gute Gerichte kommen bei diesen Menschen mit wenigen, bestausgewählten Zu­ta­ten aus; sie tragen hochwertige Kleidung, die schön, individuell und haltbar ist und ohne Mätz­chen auskommt. Statt Chichi setzen sie auf Chi: Das darf dann Feng-Shui-optimiert durch Wohn-, Arbeits- und Schlafzimmer strömen.

Zeitgemäß ist es auch, Arbeitsabläufe zu modernisieren. Zei­tungs­sei­ten werden von den sie mit Texten füllenden Journalisten lektoriert, bevor ein Mausklick sie den Druckmaschinen im outgesourcten Printing Department übermittelt, Buch­seiten übersetzt irgendwo ein freier Unternehmer, der von Luft, Liebe und einigen Cent Honorar leben und perfekte Übertragungen anfertigen darf.

Und am Abend schauen wir auf den Haus­halt, der sich leider noch nicht auf Knopf­druck wie von selbst erledigt, und blättern im Buch vom einfachen Leben. Die schönsten Dinge im Leben kosten nichts, und kostenlos sind auch die allerbesten "Ge­schen­ke aus meinem Garten", so heißt jedenfalls ein Buch von Barbara Kra­se­mann, das neulich auch auf Tschechisch erschien. Dieses Buch inspiriert schön illustriert zum Säen und Gärtnern, Einkochen und Einlegen.

Draufsicht auf eine Küchenspüle: Salat, Kräuter, schwarze Johannisbeeren und Haushaltschemie
Natron und Soda, ein anders Natriumprodukt
Nach getaner Arbeit dann ein Bad. Doch bevor die geschätzten tschechischen Leser sich ins Rosenblütenbad legen oder zur Ringelblütenseife greifen dürfen, sollten sich dieselben an ihren Chemieunterricht er­in­nern. Denn leider hat sich in die Über­setzung ein unschöner Fehler ein­ge­schli­chen: Statt "Natron" (genauer: Na­tri­um­bi­car­bo­nat à la Kaiser Natron, die Amis sa­­gen 'ba­­­king so­da' da­zu) wurde offenbar das Wort für die Substanz ge­wählt, mit der Na­tron­lau­ge gemacht wird (Na­tri­um­hy­droxid), auch Ätznatron ge­nannt.

Und das ist eben, was Lauge nun einmal ist: Es laugt aus und ab einer gewissen Kon­zen­tration wirkt es ätzend.

Als der Fehler bekannt wurde, hat der Verlag sein Buch zu­rück­ge­ru­fen. Was war passiert? Dürfen wir vermuten, dass das Honorar des Übersetzers eventuell nicht sehr hoch gewesen ist? Außerdem ist es durchaus vorstellbar, dass der tschechische Ver­lag das Lek­to­rat eingespart hat. Wie dem auch sei, die Antwort ist eigentlich einfach: Qua­li­täts­ar­beit von Über­setzern, Lektoren und Dolmetschern ist immer ihren Preis wert!

Das Buch ist es sicher auch. Der Traum vom einfachen Leben kann sehr schön sein, und Gartenglück gleicht immer wieder dem Wunder, das die Natur ist: ein riesiges Geschenk!


Hinweis gefunden bei: Nouvel Observateur / rue89
Weiterführende "Literatur" auf Englisch zu unserer informationellen Überfluss­ge­sell­schaft: infobesity.com. Der Begriff ist die geniale Kombination aus Info und obesity — Fettleibigkeit
______________________________  
Buchtipp Barbara Krasemann: Geschenke aus
meinem Garten, Kosmos Verlag, 2012

Sonntag, 29. Juni 2014

Belagerungshilfe

Hallo! Sie lesen hier im Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache, die in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Politik, Kultur und Bildung tätig ist. Heute sind wieder Sonntagsbilder dran, die Sams­tag­abend­bil­der sind!

Bitte unterstützt meine beiden Lieblingsbuchläden an der Ohlauer Brücke: Le­se­glück und Stadtlichter. Buchbestellungen funktionieren dort genauso komfortabel wie bei Amazon. Einfach Bestellung an den Laden mailen, der Versand erfolgt über Grossisten — bundes- und weltweit. Auf diese Weise erhalten die Buchläden ihre Provision. Hintergrund: Seit Tagen leiden die beiden Buchhandlungen unter einer Polizeiabsperrung, weil ein Schulgebäude von Asylflüchtlingen geräumt werden soll (Link zum Tagesspiegel-Ticker).

Die Ladenumsätze sind im freien Fall, da die Passanten nur mit Mühe durch die Bar­­rie­ren gelangen; Zutritt ist z.T. nur mit Ausweis möglich. Wie lange die Be­la­ge­rung noch andauert, ist offen. Daher meine Bitte um Un­ter­stützung — stationäre Buchläden haben es ohnehin schwer in Zeiten der In­ter­net­kon­kur­renz.

Gestern Abend war ich nochmal dort. Das "Leseglück" liegt hinter einer Kreuzung, die total gesperrt ist. Nur eine Seite ist noch offen, das ist der Weg über den Nach­bar­be­zirk. Und auch bei diesem Zuweg sperren an diesem Abend auf Höhe der Brücke Polizeiwagen die Stra­ße ab. Man muss also außerhalb parken oder nach der Umleitung den Bus ver­las­sen und dort hinpilgern. So geht Laufkundschaft verloren.

Dafür gehört die Straße derzeit den Skatern, Radlern und Rudelguckern. Zwi­schen­durch ist Wachablösung. Vor Ort ist grün-, blau- und schwarz­uni­form­ier­tes Schutz­per­so­nal. Die Eis- und Crêpesverkäuferinnen an der inneren Ab­sper­rung berichten, dass die Menschen in der Schule regelmäßig von außerhalb mit Essen versorgt wer­den. Wenigstens das. Soundscape: Ghetto-birds (He­li­kop­ter), Mar­tins­horn und Fuß­ball­ge­joh­le vermischt sich, dazu die spitzen Schreie der Mau­er­seg­ler und die Kirchenglocken, die den Sonntag einläuten.

______________________________  
Fotos: C.E. (In ein zweites Fenster geladen, lässt
sich die Collage durch Anklicken vergrößern.)

Samstag, 28. Juni 2014

Rhabarber, die Dritte

Hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin. Das Wochenende ist privat; samstags folgt mein Link der Woche, am Sonntag folgen Sonntagsbilder.

Auch diesen Sommer wird in Berlin im Sommer viel Rhabarberschorle getrunken. Das Wort Rhabarber erinnert mich an meine Anfänge als jemand, der über Sprache nachdenkt. Das ging los, bevor ich in die Schule kam (und wurde durchs Schrei­ben­ler­nen verstärkt): Wer hat festgelegt, welche Klänge in welchen Sprachen etwas be­deu­ten und welche sinnlos sind? Wie kommt es zu Überschneidungen? Und wie reiste Sprache vor Erfindung von Schrift und Kas­set­ten­re­kor­dern (der Technik jener Jahre) über den Globus?

Das Wort Rhabarber wird, ganz oft hintereinander gesprochen, zum schönen Frauennamen Barbara. Das war auch für jemand anderen eine Inspiration. Auf Ausländer macht der Film sicher den gleichen Eindruck wie folgender Zun­gen­bre­cher auf ungeübte deutsche Englischsprecher: “James, while John had had ‘had’, had had ‘had had’; ‘had had’ had had a better effect on the teacher." Of course, it's only in German that you can describe with the single noun, "Rha­ba­rber­bar­ba­ra­bar­ba­ren­bart­bar­bier­bier", a kind of beer consumed by some bearded ber­bers in a bar called "Bar­ba­ra's", the owner of which was known for her famous rhu­barb-pie".





Rhabarber, die Erste: Alles Rhabarber
Rhabarber, die Zwote: Rhabarber und Apotheke
______________________________  
Film: winmic7

Donnerstag, 26. Juni 2014

Museum der Wörter 6

Hallo, hier bloggt eine Spracharbeiterin. Ab und zu erinnere ich an Begriffe, die wir den jüngeren Generationen erklären müssen. Heute werde ich funkisch.
            
          S
endeschluss, Bandsalat, Anheber (*).

   

______________________________  
Idee: H.F.
(*) Erklärung folgt Ende nächster Woche

Mittwoch, 25. Juni 2014

kill your darlings

Was Dol­­­met­­­scher und Über­­­setzer ma­­­chen, ist der brei­­­ten Öf­­­fent­­­lich­­­keit oft nicht ge­­nau be­­kannt. Hier schrei­­be ich da­­rü­­ber. Heute: Was liegt auf dem Schreibtisch? Außerdem: Zeit für einen Rückblick.

Heute lese und höre ich: Wohnproblematik, Immobilienwirtschaft, sozialer Woh­nungs­bau, Stadtentwicklung, urban Gardening, Gentrifzierung und was derlei Stich­wor­te mehr sind. Das bedeutet, dass ich kaum aus der Studierstube raus­kom­me. Nächste Woche betreuen wir eine Konferenz zum Thema.

Zwischendurch fragt eine Kollegin: "Was waren eure lustigsten oder au­ßer­ge­wöhn­lich­sten Begebenheiten beim Dolmetschen?"

Set in der Ohlauer Straße
Dreh in Kreuzberg
Eine meiner be­son­de­ren Dol­metsch­si­tu­a­ti­o­nen war diese: Für einen deutschen Fern­­seh­film hatte der Ko­pro­du­zent einen fran­zö­si­schen Nebendarsteller ver­pflich­tet, daher durfte ich eine Woche lang an den Set, um zu dolmetschen. Wir drehten einen Gangsterfilm, das "Motiv" (= Dreh­ort) war der wunderschöne Parkgarten einer Wann­see­vil­la, der "Gangster" (mein di­rek­ter Dol­­metsch­kun­de) gab im Film eine Party, dann kam die Polizei per Hub­schrau­ber ein­ge­flo­gen.

Für die Partybilder wurden wir alle ge­schminkt und aufgerüscht. Ich durfte neben dem Dolmetschen eine Journalistin spielen, die den Gastgeber interviewte.

Dazu ließ sich das Team sogar einige Fragen einfallen, die ich gestellt habe. Als dann die Luftaufnahmen gedreht wurden, lagen wir alle schon am Boden, vom Vorabkommando der Polizei dazu befohlen. Es war ein schöner Augusttag ... nur leider kletterte das Thermometer knapp über 17 Grad — in der Sonne. Ich trug ein leichtes Sommerkleid, Sandalen, und damit die Bilder mit den vorherigen "Ein­stel­lun­gen" "auf Anschluss" gehen würden, durfte sich niemand etwas drüberziehen.

Inzwischen war auch der Nachmittag fast vorbei, die Sonne erreichte unsere Ecke im Garten auch nicht mehr. Also dolmetschte ich, auf akkurat unter mich ge­scho­be­nen Teilen einer Erste-Hilfe-Rettungsplane aus Metall ruhend, im Liegen mit Blick aus der Käferperspektive auf den Wannsee. Und dann kam auch noch der Wind vom Rotorblatt des Helikopters hinzu. Es folgte eine wilde Schie­ßer­ei­. Die Interviewszene ist am Ende leider aus dem Film rausgeflogen.

Nicht, weil sie nicht gut ge­we­sen wäre, so der Regisseur, aber der Sender wollte mehr von der teuren Technik sehen, die hier und an anderer Stelle extra auf­ge­bo­ten worden war. Ich erlebe auch oft bei der Übersetzung von Drehbüchern, dass zwischen zwei Versionen mir liebe Sze­nen raus­flie­gen. Kill your darlings nennen das die Dramaturgen: Schnei­de das raus, was du am liebsten hast, erst dann kommst du weiter, denn es verstellt dir den Blick.

"Kill your darlings" steht in roten Lettern auf einem alten Fenster, das an einen Baum gelehnt wurde.
An einem anderen Straßenrand in Kreuzberg
Der frühere Paris-Korrespondent von Radio Canada, Maxence Bilodeau, nannte das immer tuer les chiots, Welpen um­bringen.
Den Abend nach dem Dreh am Wannsee ver­brach­ten wir in der Hotelsauna. Den Film habe ich noch auf ir­gend­ei­nem alten Spei­cher­me­di­um. Als Archivarin bin ich bes­ser, was Texte, Worte und Fotos angeht. Bewegtbild ist so sper­rig.

______________________________
Fotos: C.E.

Dienstag, 24. Juni 2014

Fundbüro (1)

Hallo! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin. Manchmal muss es schnell gehen, besonders mit Zufallsnotizen: Fundbüro! 

Leinwand, Mikro, Computer mit Untertitelliste
Film und Text, Beschreibung hier
Die englische Sprache kennt bekannt­lich kein Sie­zen. Wie ist sprachliche Distanz­nah­me, wie wir sie kennen, auf Englisch möglich?

By the way, Untertitler, die Englisches ins Deutsche übertragen und die Sitten und Sprachgebräuche gleich mit transferieren, haben folgende Regel für die Entwicklung vom Sie zum Du: Im deutschen Untertitel wird geduzt, sobald die Protagonisten mit­ein­an­der im Bett waren.

______________________________  
Foto: C.E. (Archiv. Bild kann in ein zweites Fenster geladen und vergrößert
werden.)

Montag, 23. Juni 2014

Das Runde und das Eckige

Ob Sie es be­­ab­­sich­­tigt ha­­ben oder nicht, Sie sind mit­­ten in mei­­nem di­­­gi­­­ta­­­len Log­buch aus der Dol­­met­­scher­­ka­­bine ge­­lan­­det! Herzlich will­kom­men! Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag.

Nicht alles endet dieser Tage auf Fußball
Das ist mal wieder die Quadratur des Kreises. Ich verstehe den Ausgangstext nicht, an dem eine Kollegin rumfrickelt, obwohl er in meiner Mutters­pra­che ge­schrie­ben wurde. Als Teil eines Netz­werks habe ich auch Pflichten wie das Gegenlesen von Übersetzungen oder eben das Er­klä­ren von Texten. Es han­delt sich um einen Schachtelsatz von Proustschen Ausmaßen: Zwei Punkte finden sich auf der Din A 4-Seite, dazu etliche Einschübe, Gedankenstriche, Klammern; ein Semikolon. Ein echter Kopfschmerztext.

Ich nehme farbige Stifte in die Hand, markiere und sortiere neu. Es ist, als legte ich mir Spuren durchs Labyrinth.

Im Grunde müsste ich den Textteil reformulieren. Ich zögere. Ich muss ihn um­schrei­ben. Ich starte einen Versuch. Das Ergebnis gefällt mir. Ich bespreche mich mit der Kollegin, wir schreiben den Kunden an. Seine Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Er ist hocherfreut, schreibt, dass diese Seite ihm auch enor­me Bauch­schmer­zen bereitet habe, freut sich über die neuen Zeilen (den Inhalt hatte ich wohl richtig erfasst, naja, ich hab mich ja auch vorher im Netz informiert). Er bittet da­rum, die Extraarbeit gesondert in Rechnung zu stellen.

So macht die Arbeit Spaß. Dazu gleich noch ein Zitat: "Nun kommt der Übersetzer. Im Netz seiner Zusammenhänge sollte wohl stehen 'übersetze funktionsgerecht!'
— Das heißt unter Umständen auch: Vertexte teilweise neu, bis die Sache für den intendierten Zielrezipienten verständlich ist! — Ein Übersetzer sollte keine Angst haben, schlecht verfaßte Ausgangstexte zur Erfüllung seines gesetzten Ziels neu zu vertexten!"

Quelle: Vermeer, Hans J. 1994: "Übersetzen als kultureller Transfer." In: Snell-Horn­by, Mary [Hrsg.] Übersetzungswissenschaft — Eine Neuorientierung. Zur In­te­grie­rung von Theorie und Praxis. Tübingen/Basel: Francke. S. 21f. Die veraltete Recht­schrei­bung stammt aus dem Original.

______________________________
Foto: Archiv

Sonntag, 22. Juni 2014

Sommeranfangs(lese)freude

Willkommen auf den Seiten meines virtuellen Arbeitstagebuchs. Hier schreibe ich über den Berufsalltag von Sprachmittlern. Einmal in der Woche werde ich privat: Sonntagsbilder!

Familien- statt Ehegattensplitting fordern derzeit viele
Wir Spracharbeiter prak­ti­zie­ren jeden Tag unsere Idiome — und hal­ten uns auch zu un­se­ren Schwer­punk­ten à jour.
Gestern in einem der Buch­lä­den meines Vertrauens: Zwei große Re­mit­ten­den­kisten bo­ten Spe­zialpreise an, Bü­cher im Drei­er­pack waren gün­­sti­­ger zu haben. Ich fand drei und dann prompt noch mal drei. Im Weg­ge­hen ent­deck­te ich das sie­ben­te Buch.

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen: Typisch! So begab ich mich also zur Kas­se und frag­te freundlich nach einem Extrabonus für Viellesen: Ob ich das Zu­satz­buch nicht geschenkt bekommen könne? Der Buchhändler grinste jetzt auch von einem Ohr zum anderen. Ja, aus zwei Gründen gehe das klar, erstens müsse man ja wohl Vielleser fördern, und zweitens sei die Frage mutig und Mut wäre auch zu unterstützen. Ich bedankte mich gleich zweifach, einmal für den Ver­kauf, ein­mal fürs Extrabuch.

Zuhause, beim Einsortieren des Belegs in die Buchhaltung, sehe ich, dass nur sechs Bücher auf der Rechnung stehen. Das dritte Grinsen: Wie würden Juristen das jetzt einschätzen? Genehmigte Buchentwendung? Oder war das analog zum Mundraub ein Augenraub?

Der weltbeste Patensohn und ich sind beide heavy readers. Als solche wird man sehr schnell verbucht, ab acht Büchern per annum. Damit kommen wir nicht einmal durchs Frühjahr!

Bei den erworbenen Werken fällt ein Sachbuchschwerpunkt auf, darunter Umwelt-, Wirtschafts-, Bildungs- und Familienthemen, z. B. Familiensteuerrecht und ge­sell­schaft­li­che Gerechtigkeit, aber auch Bücher zum (Über)Leben im 3. Reich. Ich schreibe ja auch. Mein (über)nächstes Kinderbuch spielt zum Teil in dieser Zeit. (Das zweite Buch ist schon fertig, mir fehlen nur der Schluss­stein und die Il­lustra­ti­o­nen. Das erste Buch war das hier: Les paquets mystérieux.)

______________________________  
Foto: C.E. (Bild vom kühlen Sommeranfang)

Samstag, 21. Juni 2014

Musikfest

Bon­jour — gu­ten Tag! Hier kön­nen Sie No­ti­zen ei­ner Über­setzer­in und Dol­met­scher­in lesen. Oft bringt es der All­tag mit sich, dass ich mei­ne bei­den Haupt­län­der ver­glei­che, Frankreich und Deutschland.

FETT DE LA MUSIQUE
Berlin, 2014
Eine schöne Tradition, den Sommer zu begrüßen, hat Anfang der 1980-er Jahre der französische Kulturminister Jacques Lang begründet: die fête de la musique. Das Fest der Musik gibt es seit etlichen Jahren auch in Deutschland, sogar mit einer Webseite, die Städte und Ver­an­stal­tun­gen auflistet.

Das Fest wird weltweit an mehr als 500 Orten begangen; der Schwerpunkt liegt in Europa. Früher gab es beim fran­zö­si­schen Lo­go der Party, deren eigentliche Ei­gen­schaft mit dem deutschen Slogan "umsonst und draußen" zusammengefasst werden kann, ein Wortspiel: faites de la musique ist die Aufforderung zum Mu­si­zie­ren.

Faites de la MUSIQUE
Paris, 1989
Heute fiel mir in Berlin, wo das Fest zum 20. Mal begangen wird, ein deut­sches (unvollständiges) Plakat auf, das der Wort­spiel­tra­dition huldigt. Der Gleich­klang der Wör­ter fête und Fett ist mir noch nie auf­ge­fallen! Das mehr­spra­chi­ge Hirn trennt sauber.


______________________________  
Logo: Ministère de la Culture. (Das Wortspiel wurde lei-
der gestrichen, das ist wohl der Preis des Exporterfolgs.)
Foto: C.E.

Mittwoch, 18. Juni 2014

Go with the flow

Willkommen, bienvenue, welcome! Sie lesen in einem elektronischen Ar­beits­ta­ge­buch einer Sprachmittlerin. Ich übersetze und dolmetsche in Berlin, Paris und dort, wo mich meine Aufträge hinführen.

Neulich habe ich hier die übermäßige Nutzung der Sprache Shakespeares in Deutsch­land gescholten.

Tretboot mit Entenkopf von oben, es strampeln zwei junge Damen in kurzen Hosen
In Stromrichtung geht's schneller
Heute überschreibe ich meinen Blogeintrag auf Englisch. Ich meinte (und meine) in meiner Kritik vor allem die übermäßige Verwendung eines stark ver­ein­fach­ten bis fehlerhaften eng­li­schen Idioms, Basic Simplified English (BSE) genannt, und von jeglicher Form merkwürdigen Mischmaschs, außer näm­li­chem Wort, das aus mi­schen + to mash something zu bestehen scheint (*).

Und für go with the flow fällt mir so schnell auf Deutsch nichts Passendes ein, außer vielleicht: "Stemm' dich nicht gegen den Wind." Das Wort flow mag ich sehr gern, was am gleichnamigen Effekt liegt. Dieser stellt sich ein, wenn ich richtig schön konzentriert bin, dann erledigt sich die Arbeit fast wie von alleine, dann werke ich in tiefster Versunkenheit vor mich hin. Aber aus dem Wort kann ich auch keine Auf­for­de­rung basteln. "Lass' dich in deiner Versunkenheit treiben" klingt zu morbid und zu aleatorisch, dabei wohnt dem entschieden knappen Einsilber go kein Anflug von Zufälligkeit inne. Go with the flow — vier einsilbige Begriffe, ein kleiner Binnenreim, für derart vielsagende Knappheit liebe ich die englische Spra­che, das kann kein anderes mir vertrautes Idiom.

So, ich strebe dann mal weiter höchste Glücksgefühle bei der Arbeit an.


(*) Plural: Die Mischmasche. Das Wort ist kein Wort der beliebten Sprache "Deng­lisch", sondern eine Re­du­pli­ka­tion, genauer: Eine Ablautdoppelung des Wort­stamms von mischen aus dem 16./17. Jahrhundert. Soviel mal wieder zur These, dass Englisch ein Kre­ol­di­a­lekt des Deutschen mit romanischen Einflüssen ist.
______________________________  
Foto: C.E., BSE war wiederholt mein Thema.

Dienstag, 17. Juni 2014

Bon appétit!

Hallo! Sie lesen die Blogseiten einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin. Hier berichte ich aus Berlin, Paris und Cannes oder Marseille, Mün­chen und Mar­burg über be­son­de­re Momente des Arbeitslebens, aber auch darüber, wie uns der Beruf verändert: Wir hören wirklich überall hin und fangen im Geiste an zu dol­met­schen.

Ohren auf beim Berliner Bäcker: "Vier Schrippen, zwei Weltmeisterbrötchen, zwei Schusterjungen und einen halben Hausfreund hätt' ick jern."

Pain au chocolat 0,90 €
Diese Auslage stammt nicht vom Berliner Bäcker
Ich darf grinsen. Seit wann gibt es die Welt­meister­bröt­chen? Ist das ein Versuch, um den lieben Kleinen den Ver­zehr von Kör­ner­bröt­chen na­he­zu­brin­gen? Und wer aus der Fa­mi­lie ver­speist zum Früh­­stück lie­ber kleine, un­schul­di­ge Lehr­­lin­­ge (oder Söh­ne) von Vertretern des Besohl- und Fuß­be­klei­dungs­hand­werks? Und was bit­te ist ein Haus­freund, egal ob halb oder ganz?

Oh Mysterien des Alltags! Ich liebe die Geheimnisse, die sich andeuten, wenn ich Mitmenschen beim Einkaufen belausche. (Meine Uroma kaufte noch in den 60er Jahren in Sachsen Kai­ser­sem­meln ein, das bot andere Abgründe.) Und nein, jetzt folgen keine französischen Über­setzungs­ver­su­che di­ver­ser deut­scher petits pains.

______________________________  
Foto: C.E. (Archiv)

Montag, 16. Juni 2014

Unterkunft

Was wir Dol­­met­­­­scher und Über­­­­setzer ma­­­­chen, ist der brei­­­­ten Öf­­­­fent­­­­lich­­­­keit oft nicht ge­­­nau be­­­kannt. Hier schrei­­be ich da­­rü­­ber. Meine Arbeitssprachen sind Fran­zö­sisch, Deutsch und Englisch (dieses Idiom nur als Ausgangssprache). Wir arbeiten überall dort, wo wir gebraucht werden.

Kofferauspacken ist mal wie­der angesagt. Das mag ich sehr. Im Gegenzug hassliebe ich Kofferpacken. Ich mag nur das Reisen. Bevor es losgeht, wird mir immer schlecht. Aber ich bin wenigstens so gut trai­niert, dass ich bei spontanen Aufträgen ganze 21 Minuten brauche, um reisefertig zu sein. Neulich durfte ich das erst testen.

Und jedes Mal vor Reiseantritt der bange Gedanke: Hoffentlich ist das Hotel gut.

Was ich hasse: Zimmer direkt über dem Eingang, der zugleich Aus­gang fürs Ho­tel­restau­rant ist; dort quatschende Menschen, gerne auch Raucher; helle oder dann auch noch flackernde Leuchtbuchstaben über dem Eingang, das habe ich so­gar in gu­ten Häusern in Süd­frank­reich erlebt; Zimmer direkt am Fahrstuhl; Zimmer über einer "Bundeskegelbahn"; Klimaanlagen mit Grundrauschen, die sich nicht ab­dre­hen lassen; fragwürdiges Bettmaterial, ich werde ungern genauer; OK, eins doch noch: Plastikkopfkissen; Hotelfrühstücke mit gezuckerten Müslis, unfrischen Früch­ten und Weißmehlbrötchen; Hotels, die zwar viele Sterne haben, aber trotzdem für einen W-Lan-Voucher 5, 15 oder 20 Euro für eine, zwölf oder 24 Stun­den for­dern; schmutzige Hoteltelefone; Hotels, bei denen in den Gastzimmern der Fern­se­her läuft und alles Licht brennt, egal zu welcher nächtlichen Stunde ich an­kom­me; Häuser ohne nennenswertes Zeitungsangebot; wenn ich trotz "bitte nicht stö­ren"-Schil­des bei der Arbeit gestört werde; wenn Handtücher und Bett­wä­sche täg­lich gewechselt werden, obwohl keinerlei Textil dezidiert auf dem Ba­de­zim­mer­fuß­bo­den rum­ge­lüm­melt hat.

Was ich liebe: Schwimmbad, Hotelsauna, unterwegs sein. Und dann, wenn ich wieder zu Hau­se bin, die Freude des Auspackens!

______________________________
Foto: C.E. (Archiv)

Freitag, 13. Juni 2014

Tabelle sortieren

Bon­­jour, bien­ve­nue, wel­come auf den Sei­­ten mei­nes di­­­gi­­­ta­­­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Hier schrei­be ich als Über­setzerin und Dolmetscherin für die fran­zö­sische Sprache (sowie aus dem Englischen) über meinen Berufsalltag. Heute: Handwerkszeug!

accaparement des terres (agricoles) / acquisitions massives de terres - Land grabbing | agrocarburants (biocarburants) - Bio-SpritEine Fachwort­lexik ist nichts anderes als eine Tabelle auf einem Word-Do­ku­ment. Wir drucken uns für die Dol­met­scher­ka­bine immer so viele Exemplare aus, wie es Ausgangssprachen geben wird, hier sind es nur zwei.

In der Erstellungsphase vermischen sich noch all­ge­mein­sprach­li­che Re­de­wen­dun­gen mit den Fach­ter­mi­ni.
référentiels de bonnes pratiques - Leitlinien der bewährten Verfahren (Good practices) | tuyaux d'irrigation goutte-à-goutte - Tropfbewässerungssystem / tropfenweise Bewässerung
Bei meinem Beispiel ist Französisch die Ausgangssprache und steht in der ersten Spal­te. Dann klicke ich "Tabelle" und "sortieren" an, so erhalten die Spalten ihre alphabetische Folge. Eine Kopie der Tabelle dient zum Tausch der Spalten für die Liste mit Deutsch als Aus­gangs­spra­che.

Beim Bauen von Tabellen prä­gen wir uns bereits viel ein.

biodégradable-biologisch abbaubar | désherbant - Unkrautvernichtungmittel | le fourrage - Einfahren der Ernte | l'irrigation - Bewässerung
So wie links sieht die Tabelle FR>DE zwi­schen­durch aus. Wir arbeiten nicht nur in der Kabine im Team, sondern auch in der Vorbereitung. Jeweils ein Mut­ter­sprach­ler pro Sprache ist ideal.

Am Ende reduzieren wir oft die Fachwortlexik auf das Wesentliche. Re­de­wen­dun­gen und Begriffe angrenzender Bereiche, die den Kopf ins Dolmetscherhirn ge­fun­den haben, fliegen raus. Denn während des Dolmetscheinsatzes wird sie ohnehin wieder länger.

______________________________  
Illustrationen: C.E. mit Word (durch An-
klicken werden die Bilder vergrößert)

Donnerstag, 12. Juni 2014

Sprachliche Leitfossilien

Ob Sie es be­­ab­­sich­­tigt ha­­ben oder nicht, Sie sind mit­­ten in mei­­nem di­­­gi­­­ta­­­len Log­buch aus der Dol­­met­­scher­­ka­­bine ge­­lan­­det! Herzlich will­kom­men! Hier schreibe ich über die Welt der Sprachen.

Manche Begriffe tauchen plötzlich auf, werden eine Zeitlang fast über­all ver­­wen­­det und ver­schwin­den dann ebenso plötzlich.

Spieleschachtel von "Denk Fix", große erweiterte Ausgabe, 1920-er Jahre
Fixdenker auf der Suche nach dem richtigen Wort
Ein Kongressfotograf, mit dem ich mich gestern länger unterhalten habe, nennt sie "sprach­li­che Leit­fos­si­li­en". Der Mann hat wirklich gut auf den Konferenzen zu­gehört, für die er seit Jahren fo­to­gra­fiert. Von Pa­ra­dig­men­wech­sel über Kon­ver­gen­z bis hin zur Nach­hal­tig­kei­t geht die Reise der aktuellen Floskeln.

Die Paradigmen und ihre Wechselei sind schon etwa 25 Jahre lang in der Mode, das Wort Synergieeffekte lässt sich in den bösen 90-er Jahren verorten, das ist Treu­hand­sprech, und es wird sicher bald sein Revival erleben. Mit großem Vergnügen sammeln wir diverse Vokabeln aus der Welt der Planer und Analytiker. Wir ver­schie­ben die Stellschrauben, damit die genderaffine (und klimaneutrale!) In­klu­sion aller Minoriäten aus der möglicherweise exponentiell latent wirk­sa­men Se­gre­ga­tion Teil einer zu­kunfts­fä­hi­gen Agenda wird, huch, jetzt ist mir ein Anflug von Sinn unterlaufen, war gar nicht geplant.

Besonders apart ist es immer dann, wenn eine Konferenz einen Begriff gefunden hat, der für alle irgendwie von Bedeutung ist. Er muss gar nicht besagen, was er für die Dauer eines Events beinhaltet, die Aufladung findet über zwei, drei Tage statt, am Ende herrscht großes Einverständnis. Wer aber am letzten Tag anreist, reibt sich die Augen. Und nachschlagen sollte das Wort auch niemand.

Gerne genommen werden in solchen Kontexten übrigens auch echte englische Be­grif­fe oder Pseudoenglisch. Wobei bad simplified English ohnehin leider bei et­li­chen Zusammenkünften die Lingua franca zu werden scheint; das natürlich zu meiner großen Missbilligung, denn es gefährdet Jobs. Außerdem gefährdet es die intellektuelle Reiseflughöhe solcher Veranstaltungen. Der Fotograf meinte auch prompt: "Was dann in einer Kleinster-gemeinsamer-Nenner-Sprache besprochen wird, ist oft belanglos."

Aber auch das halte ich, wie manche sprachliche Leitfossilie, für ein Phänomen einer bestimmten Zeit.

______________________________  
Foto: C.E.

Mittwoch, 11. Juni 2014

Stilübungen im Drehbuch

Was Sie hier durch­­blät­­tern, lie­­be Le­­ser­­in, lie­­ber Le­­ser, ist mein di­­gi­­ta­­les Ar­beits­­ta­­ge­­buch. Ich be­schäf­ti­ge mich täg­lich mit Spra­chen und Inhalten, und zwar als Dolmetscherin und Übersetzerin.

Drehbücher zu übersetzen bedeutet, für einen bestimmten Zeitraum in die Haut eines anderen Autors zu schlüpfen. Mir kommt das, ähnlich wie das Dolmetschen, immer wie eine Art Rollenspiel vor. Ich mag diese Arbeit, nein, ich liebe beide Varianten des Sprachmittelns.
Passanten, ein Müllauto, der Pariser Boulevard ist zur frühen Stun­de noch fast leer. Schwenk über eine Fassade hoch über die Karyatiden, die ohne große Anstrengungen einen massiven, aus Stein gehauenen Bal­kon der Bel­etage in die Höhe stemmen. Die Balkontür steht offen. Dahinter liegt ein Büro, schwarze Designmöbel auf Fischgrätparkett, es ist groß und luftig. Von draußen klingt der nun ferne Lärm der Stadt herein. Das leise Echo eines klingelnden Telefons ist jetzt eindeutig erkennbar. In einer Bodenvase ein Strauß langstieliger Lilien: Auf der wei­ßen, pelz­ar­ti­gen Oberfläche einer der Blüten zeichnen sich Blutstropfen ab.
Gerne hätte ich bei der Verfilmung des Buches dieser Tage die Kommunikation des deutschen Hauptdarstellers mit dem Team erleichtert. Leider ist ein zentral am Film Beteiligter so schwer erkrankt, dass der Dreh auf unbestimmte Zeit ver­­­scho­­­ben worden ist. Es handelt sich um einen Streifen, in dem auch die Po­li­zei er­mit­telt. Dazu lerne ich Polizeijargon und Begriffe, die ich sonst nicht brauche (siehe unten).

Der Wille zum Einarbeiten in die jeweilige Filmthematik ist beim Dreh­buch­über­setzen immer entscheidend.

Handschriftliche Notizen mit vielen Durchstreichungen (les ratures).
Komplexe Texte brauchen ihre Zeit
Ich höre gerne dem Volk aufs Maul, so­gar den verschiedensten Völkchen, die Tür an Tür in den verschiedensten Ge­bie­ten und Gegenden wohnen. Ich habe mich schon im Jugendfreizeit­heim eines Pro­blem­kie­zes rumgetrieben (meine Ein­tritts­kar­te war Abi­vor­be­rei­tung fürs Schreiben von französischen Aufsätzen, die ich gegeben habe), bin in Hin­ter­zim­mern von Kneipen zocken gegangen (mit et­was Spiel­geld und dem am Leib ver­steck­ten Diktiergerät), habe über Hydra ver­mit­telt mit jungen Prosti­tu­ier­ten ge­spro­chen, den Ver­ein kannte ich von einer jour­na­listi­schen Recherche für Radio Canada, und was derlei Abenteuer mehr sind.

Was ist wichtig für Sie als Kunden? Aus aktuellem Anlass bringe ich hier erneut mein

Merkblatt Drehbuchübersetzung 
— Weniger ist mehr: Ermitteln Sie bitte die Länge ihres Dokuments (wenn Sie nicht wissen, wie das geht, klicken Sie hier). Wir legen die Anzahl der Zeichen in­klu­sive Leerzeichen zugrunde. Ein Übersetzer schafft in guter Qualität bei an­spruchs­vol­len Texten 10-12.000 Anschläge täglich, bei einfacheren Texten bis zu 15.000. 'Übersetzt' bedeutet das: zwischen 10 und 15 Seiten eines in Final Draft erstellten Dokuments. Hier gilt: Jeden Tag konzentriert weniger Zeilen zu über­tra­gen ist bes­ser als Akkordarbeit.

Vier-Augen-Prinzip: Idealerweise arbeiten immer zwei Kollegen an einem Pro­jekt, und zwar jeweils ein native speaker für die Ausgangs- und die Ziel­spra­che. Der Muttersprachler der Zielsprache ist federführend bei der Übersetzung, der andere liest gegen, leitet das Projekt und ist Ihr Ansprechpartner. Kommen mehr Sprachen im Drehbuch vor, erhöht sich entsprechend die Anzahl der Mitarbeiter.

Internes Lektorat: Korrektoren und/oder Fachleute lesen gegen — diesen Ser­vice bieten nur wenige an, fragen Sie deshalb bitte nach. Möglicherweise können aber auch Mitarbeiter Ihrer Firma diese Aufgabe übernehmen, dann müssen Sie sie nicht extern einkaufen.

— Talent und Sachkenntnis: "Nicht jeder kann ein Drehbuch schreiben". Dieser Satz ist für Sie vermutlich eine Selbstverständlichkeit. Aber nicht jeder kann auch ein Drehbuch übersetzen. Die beschreibenden Passagen sind oft von literarischer Qua­li­tät, die erhalten werden muss.

Gesprochene Sprache darf nicht nach raschelndem Papier klingen, weder im Original noch in der Übersetzung.

Erfahrung: Fragen Sie nach der Vorerfahrung. Besteht keine, haken Sie bitte nach, ob eventuell jemand mit Fachkenntnis den Nachwuchs 'an die Hand nimmt'.

Gute Zeitplanung: Ihr Drehbuch entstand nicht in einer Woche — Zeit ist auch für den Übersetzer wichtig, siehe den ersten Punkt. Gefragte Leute sind oft aus­ge­bucht, und wenn's auf den Dreh einer internationalen Koproduktion zugeht, tritt jedes Projekt nochmal kurz in die "heiße Phase" und bindet Kräfte. Also fragen Sie bitte rechtzeitig an, damit die Übersetzer ihren 'Workflow' planen können.

Wenn Sie weitere Fragen haben, sind wir gerne für Sie da. Bitte wenden Sie sich direkt über Mail an uns.


Vokabelnotiz
clouter une affaire [argot]— einen Fall abschließen
une arme blanche eine Stichwaffe
une déliquance en col blanc — white-collar-criminality die An­zug­trä­ger­ver­bre­chen [Versuch] ... oder etwas mit Schreibtischtäter, wenn das Wort nicht so sehr mit der deutschen Geschichte verbunden wäre.
______________________________ 
Foto: Archiv

Dienstag, 10. Juni 2014

Reisezeiten

Ab­sicht­lich oder zu­fäl­lig ha­ben Sie mei­nen Blog an­ge­steuert. Hier schreibe ich re­gel­mä­ß­ig über mei­nen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin, aber auch ganz all­ge­mein über die Arbeit von Sprachmittlern.

Wir Dolmetscher arbeiten im­mer dort, wo wir gebraucht werden. Das ist mit An­fahrts­we­gen verbunden. Bei Kon­fe­renz­ta­gen in Berlin und Pots­dam sind diese Fahrtzeiten in der Regel mit dem Ta­ges­ho­no­rar abgegolten. Bei Einsätzen außerhalb des Ber­li­ner Groß­raums kann es vorkommen, dass ich untätig ver­brach­te Zeit berechnen muss.

Zum Beispiel in der Regel dann, wenn ich für einen Tageseinsatz ganze zwei Ta­ge un­ter­wegs bin, denn in der Reisezeit kann ich ja keine anderen Aufträge an­neh­men.

Manchmal arbeite ich an längeren Übersetzungen und kann diese allerdings un­ter­wegs fortführen. Dadurch reduziert die untätig verbrachte Zeit ent­spre­chend, ich be­rechne sie dann auch nicht. Das sowie der Umweltaspekt ist ein Grund da­für, warum ich für viele Strecken, zum Beispiel nach Köln, lieber den Zug nehme als das Flugzeug. Hier kann ich ununterbrochen arbeiten, sitze gerne im Spei­se­wa­gen und freue mich, nicht ständig Schlange stehen und Koffer, Tasche etc. durch­leuch­ten lassen zu müssen.

Denn wenn ich (wie es öfter mal vorkommt) mit einem Kof­fer vol­ler Dol­metsch­tech­nik reise, darf ich ihre Funktionsweise schön regelmäßig den Zoll- und Si­cher­heits­be­am­ten vorführen, was das erste Dutzend Mal noch lustig war.

Und keine Regel ohne Ausnahme: Für Kulturvereine, deren Mitglied ich bin, für et­li­che NGOs und kleine, aber spannende Projekte, die zum Beispiel ge­ra­de der Film­hoch­schu­le entwachsen sind, reise ich immer wieder auch ohne, dass ich dabei auf die Uhr sehe. Da sind dann natürlich auch die Honorare andere, als für Industrie- und Medienkunden.

______________________________  
Foto: C.E. (Archiv)

Sonntag, 8. Juni 2014

Abendstimmung

Will­kom­men beim ersten Blog Deutsch­lands, der in der Dol­met­scher­ka­bine ent­­steht. Hier den­ke ich (an man­chen Ta­gen auch vom Über­setzer­schreib­tisch aus) über un­se­ren All­tag als Sprach­mittler nach. Sonn­tags wer­de ich privat.

Der Berliner Stadtteil Kreuzberg hat seine beschaulichen Seiten, seine Bewohner und Gäste gehen regelmäßig im Freien schönen Abendbeschäftigungen nach.
Dazu hier meine Sonntagsbilder.

______________________________  
Fotos: C.E. (Die Collage lässt sich, in ein zweites
Fenster geladen, durch Doppelklick vergrößern.)

Freitag, 6. Juni 2014

Heute mach ich blau ...

Hallo! Sie haben zu­fäl­lig oder ab­sicht­lich eine Seite meines digitalen Ar­beits­ta­ge­buchs aufgeschlagen. Ich bin Dolmetscherin und Übersetzerin für Politik, Wirt­schaft, Me­dien, Soziales und Kultur. Jeden Tag denke ich über mei­ne Spra­chen nach, auch frei­tags nach eins.

Ein Holztisch und -stuhl steht inmitten quietschgrünen Blattwerks
Lauschiges Plätzchen im Grünen
Heute mach' ich blau. Ach nein, ich mach' grün. Die Re­dens­ar­ten in di­ver­sen Fremd­spra­chen, die von Farben handeln, fin­de ich be­son­ders lie­bens­wert. Wer blaumacht, bleibt dem Arbeitsplatz fern. Wer blau ist, hat zuviel Al­ko­hol ge­nos­sen. Wenn bei­des zu­sam­men­trifft und die Ge­schich­te auf­fliegt, kann er oder sie sich am En­de grün und blau ärgern.

Oder aber sie ärgern sie sich schwarz. A propos schwarz wie die Nacht, wenn Fran­zo­sen einmal nachts partout nicht schlafen konnten, war diese une nuit blan­che, eine wei­ße Nacht, selbst wenn man sich im dunklen Schlaf­zim­mer wie ei­ne Tur­bi­ne im Bett gedreht hat. Wer aus den USA stammt und eine white lie vor­bringt, eine weiße Lüge, der hat eine Notlüge ver­wen­det, die niemandem wirklich wehtut. Wer eine rosarote Brille trägt, die oder der trällert in Frankreich la vie en rose. Das ist das Gegenteil von schwarz sehen, auf Französisch broyer du noir, nur Schwarzes vermahlen.

Dass ich heute blaumache is not a white lie, ich verlege nur später den Ar­beits­platz nach au­ßer­halb des Arbeitszimmers, je vais me mettre au vert, ich begebe mich ins Grüne.

______________________________
Foto: C.E.

Donnerstag, 5. Juni 2014

Mal wieder: Faktor Zeit

Will­­kom­­men, bien­­ve­­nue & hel­lo beim ersten deut­­schen Web­­log aus dem In­­ne­­ren der Dol­­met­­scher­­ka­­bine. Hier denke ich über unsere Arbeit nach.

Leseecke mit gemütlichen Sitzgelegenheiten, vielen Büchern im eingebauten Holzregal, angeschnitten ein Kamin
Leseidylle
"Wie machen Sie das nur? Sie wussten ja, was ich sagen wollte, noch ehe ich fer­tig­ge­spro­chen hatte?" Das war der Eindruck eines meiner Kunden vorgestern. Diesen Satz kennen wir in allen Variationen. Wir freuen uns jedes Mal sehr.

Mit uns freut sich derjenige, für den wir dolmetschen. Ich sollte ihn vielleicht nicht "Kunde" nennen, sondern Klient, um das andere Wort frei zu haben. Hier der Ver­such der Ausdifferenzierung: Der Klient ist jener, mit dem ich die meiste Zeit ver­brin­ge, der Kunde derjenige, der am Ende zahlt. (Das Gleiche gilt natürlich für die Kli­en­tin, die Kundin usw., der ein­fa­che­ren Lesbarkeit wegen variiere ich sparsam.)

Oft weiß der Kunde nicht, was im Raum mit dem Klienten stattfindet. Das ist schade. So kommt es zu Anfragen wie dieser, die ich gerade auf dem Schreibtisch liegen habe. Dolmetschen soll ich ein längeres Interview, das ein Journalist im Auftrag eines renommierten Verlags führen wird. Der Verlag steht sehr gut im Geschäft, die Publikation ist erfolgreich.

Mir wird für das zweistündige Gespräch ein Honorar von 100 Euro angeboten. Der Ort, an dem das Gespräch stattfinden soll, ist ein kleines, feines Luxushotel im Grunewald. Für eine Strecke dorthin gibt mir die digitale BVG-An­fra­ge ei­ne durch­schnitt­li­che Reisezeit von 68 Minuten an. Mit dem üblichen Puffer auf dem Hinweg rechne ich 30+136, also knapp drei Stunden Fahrtzeit. Ich rech­ne wei­ter: Vor­ge­spräch mit dem Interviewer (so erbeten): 15-20 Minuten, plus anderthalb Stunden Interview, ich bin jetzt bei 273,50 Minuten.

Dazu kommt noch das Buch, um das es gehen soll, das mir der Verlag kostenfrei zuschicken wird. Konservativ geschätzt brauche ich 15 Stunden, um es zu lesen und zu verarbeiten. Zum Glück kenne ich frühere Werke der zu interviewenden Persönlichkeit. Trotzdem würde ich vorher noch das eine oder andere kurz zur Hand nehmen, also sagen wir mal 2,5 Stunden lang.

Ich lande bei einem Gesamtaufwand 22,06 Stunden. Rechne ich großzügig 100 Euro durch 20 Stunden, dann komme ich auf grandiose 4,42 Euro pro Stunde. Fürstlich. Logisch, das Luxushotel im Südwesten der Stadt will ja auch bezahlt sein. Und im Grun­de ar­bei­te ich ohnehin nur zum Zwecke meiner Allgemeinbildung, warum soll dafür ein Groß­ver­lag aufkommen? 

Ach so, noch ein O-Ton des Kunden: "Sie müssen das Buch doch nicht le­sen, Durch­blät­tern reicht völlig." Ob das der Klient weiß? Hm, viel­leicht ist die Dif­fe­ren­zie­rung Kli­ent/Kunde auch nicht sinnvoll, die Begriffe sind zu nah, können zu rasch verwechselt werden und derlei Differenzierung kennen Anwälte und Psychologen nicht. Der Text hier ist ein Versuchsballon, vielleicht fällt ja einer Leserin oder einem Leser ein besserer Begriff ein. Die Diskussion ist eröffnet.

Und für alle, denen die Pointe noch unklar ist: Dolmetschen lebt von Vorbereitung. Die Zeiten, in denen wir sichtbar sind, können wie hier einen Bruch­teil des Ge­samt­auf­wan­des darstellen. Und ich bin natürlich nicht in den Grunewald gefahren. Stattdessen habe ich mein Abo bei besagtem Periodikum gekündigt. Ich lese es lieber in der Beiz um die Ecke, da hat wenigstens auch die heimische Wirtschaft was davon.


P.S.: Mein Kostenvoranschlag sähe anders aus. Ich würde alles zu 100 % rechnen, auch die Fahrtzeiten, aber die Lesezeit nur zur Hälfte, denn ich kann Lesearbeit einschieben, wenn ich sonst Leerlauf habe, es blockiert keine gut­be­zahl­ten Ka­bi­nen­ta­ge. So komme ich auf einen Gesamtaufwand von 12,56 Stunden.

Da wir als Konferenzdolmetscherinnen in der Regel sechs Stunden pro Tag dol­met­schen, komme ich hier auf zwei Tage. Einen "Mengenrabatt" kann ich für gu­te Kun­den schon ab dem zweiten Tag geben, so dass ich mit 1400 Euro zu ver­han­deln an­fan­gen und nicht unter 1200 gehen würde, denn mein Output ist ja zur Ver­öf­fent­li­chung bestimmt, im Grunde müsste ich eine Urheberver­gü­tung von min­destens 25 % aufs Honorar draufschlagen. (Notiz an mich: Das so als Rechnung mit einem hö­he­ren Grund­ra­batt auszuweisen, ist sicher psychologisch kein schlech­tes Ar­gu­ment.) Korrekturlesen vor Drucklegung würde ich mit 75 Euro die Stun­de be­rech­nen. Das sind realistische Preise, die im obe­ren Mit­tel­feld des Marktes liegen.
______________________________  
Foto: C.E. (Hotelbibliothek in Schwerin)

Mittwoch, 4. Juni 2014

Weiter im Text

Uhr und Miniatureiffelturm auf dem SchreibtischBonjour! Sie haben eine Seite meines digitalen Arbeitstagebuchs angesteuert. Als Dolmetscherin und Übersetzerin bin ich in Berlin, Paris und (fast) überall dort tätig, wo meine Kunden mich hin­schicken. Wir blicken gleich noch einmal auf meinen Schreibtisch.

— Zwei Kostenangebote schreiben.

Wahlurne, Umschlag, Hände— Fremdsprachige Korrespondenz und weiterführende Recherche zu einem Dokumentarfilm, der für Arte entsteht.

— Korrekturlesen der Übersetzung einer Kollegin (PPT für einen Kongress).

— Nachbereitung des langen Wo­chen­en­des, das ich mit Architekten in Berlin verbracht habe.

Umlaufakte Ministerium plus Kopfhörer einer mobilen Dolmetschanlage— Lesen zu Fragen des Wahlrechts. Gewisse Persönlichkeiten mit Dop­pel­wohn­sitz in Europa haben mehrfach gewählt, man spricht von 8000 Stimmen, die Wahl könnte angefochten werden.

— Wiedervorlage: Sozialpoolitik.

______________________________  
Fotos: C.E. (Archiv)

Morgenroutine

BBC 4 ON AIR NOWBienvenue auf mei­nen Blog­sei­ten. Hier schreibe ich als Über­setzerin und Dol­met­scherin über meinen oft sehr bunten Alltag und ge­wäh­re Einblicke in die Arbeitsfelder und -weisen.

Dolmetscher lesen viel. Bei mir geht's los mit Radio, oft sogar schon im Bett.

Mein englischer Lieblingssender ist BBC 4. Ich höre oft noch im Halbschlaf, so sau­ge ich am besten neue Vokabeln auf. Wirtschaftssendungen und Hör­spie­le spei­che­re ich auf meinem MP3-Player und höre sie beim Joggen oder in der U-Bahn. Beim zweiten Anhören notiere ich Vokabeln und weiterführende Literatur (bei den Themensendungen).  

I'm a content-driven girl, Inhalte interessieren mich sehr. Vor vielen Jahren hätte ich eher abgebrochen mir anzuhören, was auf Deutsch ein "Feature" genannt wird, ei­ne um­fang­rei­che­re Reportage, als das, was auf Eng­lisch ein feature heißt, ein dra­ma­tur­gisch bearbeitetes Stück. Heute ist es an­ders­he­rum. Auf dem mobilen Gerät habe ich die Auswahl auch aus vielen französischsprachigen Sendungen zu meinen Fach­ge­bie­ten. Die Morgenroutine geht dann nach dem Frühstück mit dem Aufschreiben von Vokabeln und dem Nachschlagen eines grammatikalischen Problems weiter.

gezeichnetes Krokodil mit zerhäckselter Schnauze
Arbeitet immer mit dem Schutz
Mindestprogramm selbst in vollgepackten Wochen ist das Anhören der Nach­rich­ten. Da ich Nachrichten auch in an­de­ren Sprachen höre (und lese), geschieht das Vokabellernen wie von allein.

Heute habe ich das Wort 'Sumpf' gelernt. Mich hat fol­gen­de Redewendung erfreut: draining the swamp, not bea­ting the crocodiles.

______________________________  
Illustrationen: BBC / C.E.

Dienstag, 3. Juni 2014

Fast schon Rewriting

Was Dol­­­met­­­scher und Über­­­setzer ma­­­chen, ist der brei­­­ten Öf­­­fent­­­lich­­­keit oft nicht ge­­nau be­­kannt. Hier schrei­­be ich da­­rü­­ber. Heute: Blick auf den Schreibtisch.

What rules the world
Mit Kol­legen tau­sche ich Kor­rek­tur­le­sen, denn vier Au­gen se­hen mehr als zwei. Manch­mal kom­men auch kur­ze Tex­te rein, die ver­bes­sert wer­den dür­fen, hier: das Miet­­min­­de­­rungs­­schrei­­ben eines Buch­ladens.

Entwurf: Wie Sie wissen be­steht seit ei­nem hal­ben Jahr auf dem Grund­stück ...stra­ße ... ei­ne Bau­­stel­­le.

Auf­grund der da­raus fol­gen­den stän­di­gen Staub­ent­wickvlung, Lärmbelästigung, die dazu führen, einerseits die Kunden abzuschrecken und andererseits normale Be­ra­tungs- und Ge­schäfts­gespräche zu führen, sowie der ein­ge­schränk­ten Mög­lich­kei­ten unseren Laden zu fin­den bzw. zu erreichen und der dem­ent­spre­chen­den Re­du­zie­rung der Laufkundschaft und der daraus folgenden Umsatzeinbüßen, die wir erleiden, möchten wir Sie davon in Kenntnis setzen, dass wir ab dem ...  bis zum Ende der Belästigung die Miete um 25% mindern werden. 

Ich musste sehr lachen, als ich das las. Ich sah vor meinem inneren Auge ei­ne Bau­stel­le, in der die Luft so staubbelastet ist, dass die Kunden den Eingang nicht finden — und so­gar die Buch­händ­ler das nur mit Mü­he schaffen. Die Sache ist tragisch und ernst für den Laden. Meine Kollegin meinte trocken, dort sähe es aus wie auf dem Filmset, Motiv: Berlin, am Morgen nach dem Bombeneinschlag. Zum Glück war ich kurz zuvor zufällig dort vorbeigelaufen und hatte eine va­ge Vor­stel­lung vom Desaster.

Ergebnis: Wie Sie wissen, wird seit einem halben Jahr auf dem Grundstück neben unserem Ladengeschäft ein Neubau errichtet. 

Diese Baustelle ist nicht nur sehr laut, sie ist auch mit hoher Staubentwicklung verbunden. Das beeinträchtigt den Geschäftsverkehr zweifach: Gelingt es mal wieder einem Kunden, unsere Buchhandlung am Rande der Baustelle (und hinter Baustellenfahrzeugen und Materiallager) zu finden und trotz sie aller Widrigkeiten auch heilen Fußes zu erreichen, erschwert bis verhindert der Lärm jedes normale Beratungs- und Geschäftsgespräch. Die Laufkundschaft ist ent­sprechend zu­rück­ge­gan­gen. Ab dem ... werden wir deshalb bis zum Ende der Be­hel­li­gung die Brut­to­kalt­mie­te um 25% mindern.

______________________________
Foto: Jeremy Lynch

Montag, 2. Juni 2014

Architekturfranzösisch

Ab­sicht­lich oder zu­fäl­lig ha­ben Sie mei­nen Blog an­ge­steuert. Hier schreibe ich re­gel­mä­ß­ig über mei­nen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin, aber auch ganz all­ge­mein über die Arbeit von Sprachmittlern. Ich kehre gerade von einer Stu­dien­rei­se zurück, ihr Ziel war ... mein derzeitiger Wohnort Berlin!

"Die französische Sprache ist poetischer, die deutsche konkreter, technischer", sagt Tankred, ein junger Architekt aus Deutschland, der in Frankreich lebt, "so ist es mit den Übersetzungen nicht immer einfach." Ich nicke und flüstere Regina, einer zweiten deutschen Architektin, die in Frankreich lebt, rasch zu, was Holzpellets auf Französisch heißt, les granulés de bois, denn sie sucht nach der Vokabel, bevor sie mit einem Teil der französischen Gruppe einen Heizkeller besichtigt.

Sonst bin ich diejenige, die ständig Vokabeln nachfragt, denn ich bin ein ver­län­ger­tes Wochenende lang mit Architekten, Ingenieuren und anderen Baufachleuten auf Erkundungstour. Mal dominieren Fragen der Technik, es geht um Wände aus Leicht­be­ton (béton allégé) oder in Lehmbauweise (le pisé) gebaut, ein andermal liegt der Fokus auf Re­no­vier­ung und Umbau, wir besichtigen die Hufeisensiedlung und ein ehe­ma­li­ges Kran­ken­haus ("Am Urban").

Immer wieder wird bei der Art des gemeinschaftlichen Zusammenlebens nach­ge­hakt. Wir denken über genossenschaftliches Wohnen ebenso nach wie über in­di­vi­du­el­le Situationen und Baugemeinschaftsprojekte, Baugruppen genannt, die an­schlie­ßend eine mehr oder weniger in­ten­si­ve Form gemeinschaftlichen Zu­sam­men­le­bens anstreben.

Begriffliche Abgrenzungen beschäftigen uns bis in die Mittagspausen hinein. Ge­mein­sam mit einer Pariser Journalistin loten wir diese unterschiedlich intensiven Formen sprachlich aus und stellen fest, dass der bislang verwendete Begriff ha­bi­tat groupé, Gemeinschaftswohnen, allenfalls als Überbegriff taugt. Hier ist noch viel terminologische Arbeit zu leisten.

Ein schönes Beispiel gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens in seiner "vollen Aus­prä­gung" besichtigen wir dann in Johannisthal: Hier wird nicht nur gemeinsam Wär­me produziert, auch die Autos und den Garten mitsamt Festsaal nutzen alle. Und einige ältere Menschen, die schon im Ruhestand sind, kümmern sich als Wahl­ver­wandte mit um die Kinder der Be­rufs­tä­ti­gen.

Dann wenden wir uns wieder Fragen der Wärmedämmung zu. Meine Kritik der Wärmedämmverbundsysteme mit Styropor (im Baubereich: polystyrène expansé) trifft auf Zustimmung. Ich kenne jetzt Alternativen.

Weiter geht's im Text. Heute bereite ich weiter ein Arte-Projekt vor. In den kom­men­den Wochen folgt täglich eine Stunde lang die Nachbereitung dieser Bil­dungs­tour. Ziel ist die Erstellung einer Fach­wör­ter­liste sowie einer Sammlung von Texten und Links für die Kolleginnen. Die nächste Konferenz oder Stu­dien­rei­se zum Thema kommt bestimmt.


Vokabelnotizen
Das deutsche Wort Farbe ist nicht immer leicht zu übertragen.
die Farbe (Material) — la peinture
die Farbe (Farbton) — la couleur
Für Geländer gibt es auf Französisch Begriffe mit fließenden Ab­gren­zun­gen.
das Geländer — le garde-corps 
das Geländer — la balustrade
die Brüstung — la rambarde
der Handlauf — la main courante
______________________________
Collage: C.E. (Merci beaucoup à bâtir sain)

Sonntag, 1. Juni 2014

Bunker

Herz­­lich will­­kom­men beim Dol­­met­sch­web­­log. Hier be­­rich­­te ich von mei­­ner Ar­­beit als Dol­metscherin und Über­setzerin für Kun­den aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Bildung. Sonntags ist hier immer Platz für das Sonn­tags­bild, gerne auch im Plural.

In Berlin und Brandenburg gibt es viele Ecken, die Bände über die Geschichte erzählen. Der Zweite Weltkrieg hat besonders Berlin gezeichnet. Und auch noch nach vielen Jahres des Lebens in der deutschen Hauptstadt stolpere ich hier über Über­bleib­sel, von denen ich nicht einmal geahnt habe. Heute: Der Vatikanische Bunker. Den Eingang schmückt ein Tympanon, mir kam das doch reichlich obszön vor.

Wer weiß, an welcher Adresse dieser Bunker noch heute zu finden ist? Das Wort "finden" ist hier wörtlich zu nehmen; er liegt sehr versteckt.


______________________________  
Foto: C.E. (Merci beaucoup à bâtir sain)