Donnerstag, 12. Juni 2014

Sprachliche Leitfossilien

Ob Sie es be­­ab­­sich­­tigt ha­­ben oder nicht, Sie sind mit­­ten in mei­­nem di­­­gi­­­ta­­­len Log­buch aus der Dol­­met­­scher­­ka­­bine ge­­lan­­det! Herzlich will­kom­men! Hier schreibe ich über die Welt der Sprachen.

Manche Begriffe tauchen plötzlich auf, werden eine Zeitlang fast über­all ver­­wen­­det und ver­schwin­den dann ebenso plötzlich.

Spieleschachtel von "Denk Fix", große erweiterte Ausgabe, 1920-er Jahre
Fixdenker auf der Suche nach dem richtigen Wort
Ein Kongressfotograf, mit dem ich mich gestern länger unterhalten habe, nennt sie "sprach­li­che Leit­fos­si­li­en". Der Mann hat wirklich gut auf den Konferenzen zu­gehört, für die er seit Jahren fo­to­gra­fiert. Von Pa­ra­dig­men­wech­sel über Kon­ver­gen­z bis hin zur Nach­hal­tig­kei­t geht die Reise der aktuellen Floskeln.

Die Paradigmen und ihre Wechselei sind schon etwa 25 Jahre lang in der Mode, das Wort Synergieeffekte lässt sich in den bösen 90-er Jahren verorten, das ist Treu­hand­sprech, und es wird sicher bald sein Revival erleben. Mit großem Vergnügen sammeln wir diverse Vokabeln aus der Welt der Planer und Analytiker. Wir ver­schie­ben die Stellschrauben, damit die genderaffine (und klimaneutrale!) In­klu­sion aller Minoriäten aus der möglicherweise exponentiell latent wirk­sa­men Se­gre­ga­tion Teil einer zu­kunfts­fä­hi­gen Agenda wird, huch, jetzt ist mir ein Anflug von Sinn unterlaufen, war gar nicht geplant.

Besonders apart ist es immer dann, wenn eine Konferenz einen Begriff gefunden hat, der für alle irgendwie von Bedeutung ist. Er muss gar nicht besagen, was er für die Dauer eines Events beinhaltet, die Aufladung findet über zwei, drei Tage statt, am Ende herrscht großes Einverständnis. Wer aber am letzten Tag anreist, reibt sich die Augen. Und nachschlagen sollte das Wort auch niemand.

Gerne genommen werden in solchen Kontexten übrigens auch echte englische Be­grif­fe oder Pseudoenglisch. Wobei bad simplified English ohnehin leider bei et­li­chen Zusammenkünften die Lingua franca zu werden scheint; das natürlich zu meiner großen Missbilligung, denn es gefährdet Jobs. Außerdem gefährdet es die intellektuelle Reiseflughöhe solcher Veranstaltungen. Der Fotograf meinte auch prompt: "Was dann in einer Kleinster-gemeinsamer-Nenner-Sprache besprochen wird, ist oft belanglos."

Aber auch das halte ich, wie manche sprachliche Leitfossilie, für ein Phänomen einer bestimmten Zeit.

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Foto: C.E.

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