Donnerstag, 23. Mai 2013

Rumms-schlurps-klickedieklack

Hallo! Sie lesen im ersten deut­schen Web­log aus dem In­ne­ren einer Dol­­met­­scher­kabine. Hier kön­nen Sie Ein­blick in un­se­ren Ar­beits­all­tag ne­hmen.
 
Es gibt Tage im Dolmetscherleben, die würde ich am liebsten aus demselben streichen. Sogar dann, wenn es wie heute am Ende extra Applaus für uns Wesen in den Kabinen gibt. (Naja, wenn es denn Kabinen gibt ... über das Leben außerhalb der schallisolierten Kästen schrieb ich bereits.)

Wir Sprachmittler sind hellhörige Wesen, sprechen leise bis halblaut, während wir unsere Arbeit verrichten, das gehört zur Inhaltsvermittlung, ohne das geht es nur bei Gebärdendolmetschern, solche waren nicht einbestellt wor­den. Dafür steht Flüstersimultan in einem Vortragssaal auf dem Programm. Wir sitzen also zu zweit hinter zwei Kunden, eine andere Dame sitzt neben uns und hört mit halbem Ohr rein. Wenn sie was hört.

Zwei Herren stehen vorne in großer Entfernung zum Mikro; in einer hinteren Reihe schreibt eine männliche Hand etwas auf, ein weiblicher blonder Kopf ist in Flüsternähe zu nämlichem Mann.Wir hören teilweise auch nicht so viel ... von den Vorträgen. Der junge Mann hin­ten links lässt die Mine seines Ku­gel­schrei­bers immer wieder raus- und rein­schnap­pen, bis ihn ein böser Blick von mir ereilt. Er wirft einen Ent­schul­di­gungs­blick zurück. (Eine halbe Stun­de später wird er am Kuli nu­ckeln (sic!), was auch nicht ohne Be­gleit­ge­räu­sche geht.)

Direkt hinter uns Getuschel, ich feuere wieder einige Blicke ab. Neben uns die Tür ist nur angelehnt, wir hören, wie draußen Tische gedeckt werden. Als die Kol­le­gin dran ist, schließe ich die Tür. Und weiß dann, warum sie vorher leicht verkeilt "an­ge­lehnt" war: Jedes Mal, wenn jetzt jemand den Raum betritt oder verlässt, setzt es ein lautes Rumms, ganz zu schweigen vom Klickediklack der schicken Hacken­schuhe, für die sich heute ungefähr der Hälfte der anwesenden Damen entschieden hat. Hatschi!, wieder gibt's ein Tonloch, zwei Reihen vor uns agiert ein Kampf­blät­terer, leider erreichen ihn meine Blickpfeile nicht.

Die Kollegen einer anderen Sprachrichtung, die überwiegend aus In­for­ma­tions­gründen mit­ge­kom­men waren, werden später sagen, dass bei der beschriebenen Ver­an­stal­tung erster Teil, Außentermin eines EU-Seminars, auch ohne diese Stör­ge­räusch­arie die leise sprechenden Redner oft kaum verständlich gewesen seien.

Soviel fürs Setting. In dieses akustische Ambiente hinein dürfen wir flüster­dol­met­schen. Aber wir können gar nicht so leise sprechen, wie es nötig gewesen wäre, um die jeweiligen Redner durchgehend zu verstehen. Wir haben natürlich auch Respekt für unsere direkten Dol­metsch­kli­en­ten, die entspannt vor uns sitzen sollten, denen am Ende wir aber fast auf dem Schoß hocken.

Die Sache war heterogen. Einmal überlege ich gerade, in wessen Ohr ich jetzt hin­ein­krie­chen soll, da tritt ein Redner auf den Plan, der offenbar vorab von kun­di­gen Wesen in den Gebrauch eines Mikrofons eingewiesen worden ist. Aber auch hier ist die Lautstärke bald im Sinkflug. Gibt es vorne irgendwelche akustischen Artefakte, ein Echo wie im Cinéma Paris?

Um die Sache klarzustellen: Unserer Not ist unsereiner nicht vollständig aus­ge­lie­fert. Wir arbeiten zu zweit, eine dolmetscht, die andere notiert Zahlen, Namen, Kürzel ... und geht im Bedarfsfall eine Runde mosern. Der Angesprochene gibt die Sache mit einigem zeitlichen Abstand an den Haustechniker des Gastgebers weiter, der sich bei uns erstmal ausführlich erkundigt, was denn los sei, anstatt selbst zu hören, selbst zu sehen und selbst zu urteilen.

Entsprechend gibt es erstmal ein My mehr Lautstärke — und erneut ausführliche Nachfragen durch nämlichen Haustechniker, sodass es mir fast schon leid tut, dass wir überhaupt etwas gesagt haben. Wir hätten natürlich die ganze Veranstaltung kurz unterbrechen und Sitzplätze in Reihe eins und zwei einfordern können, was unsere Dolmetschklienten aber explizit nicht wollten. (Sowas ist auf in­ter­na­tio­na­lem Parkett immer ein wenig delikat; die Angst, als etwas zwischen ein wenig selbstüberschätzend und nicht polyglott genug wahrgenommen zu werden, über­wiegt.)

Am Ende, welch' Glück, ergreift eine junge Auszubildende das Mikrofon, die Heldin des Tages, und bedient es sachgerecht. Es tut gut, ungestört dolmetschen zu dürfen.

Der Rest des Tages brachte weitere Kataströphchen, aber es lief dann doch OK ab, so dass wir am Abend, nach mittäglichem Umzug ins Kongresshotel und damit in die sicheren Gefilde der Kabinen, sogar eine extra Danksagung mit lang­an­hal­ten­dem Applaus erhielten. Das aber ist eine andere Geschichte.

______________________________  
Foto: C.E.

Keine Kommentare: