Bonjour ! Seit vielen Jahren arbeite ich als Dolmetscherin und Übersetzerin. Es ist mein zweiter Beruf. Hier können Sie meinen sprachbetonten Alltag mitverfolgen.
Manchmal ärgere ich mich über meinen Nachnamen.
Elias, das ist der Name eines Propheten aus dem alten Testament. Mitunter habe ich das ungute Gefühl, auf nahezu prophetische Art und Weise mehr zu wissen, als ich eigentlich wissen kann.
Das erlebe ich erst heute früh wieder. Ich
schlage die Zeitung auf und weiß schon, was drinsteht. Ich meine jetzt nicht dieses
"Neulich in der Kabine, heute in der Zeitung", das dadurch entsteht, dass wir Dolmetscher manchmal schneller als die Presse auf dem Laufenden sind, weil wir jenen zuarbeiten, die hinter den Schlagzeilen stehen.
Das Phänomen reicht weiter. Und es ist für mich, da ich im ersten Beruf (gelernte) Journalistin war, paradox, denn in der Vorbereitung der Dolmetscheinsätze kommt mir diese
Erstausbildung zugute: Ich beobachte regelmäßig die News zu meinen Themen und
frage gezielt nach, wenn ich am Rand einer Meldung einen Halbsatz
höre, der nicht in das sonstige Bild passt. Indem ich die Nachricht hinter der Nachricht suche oder dem Mainstream widersprechende Informationen, bereite ich mich auf oft kontrovers geführte Disskussionen nach Konferenzbeiträgen vor. (Und im Grunde mache ich damit etwas, wozu viele Journalisten heute mangels Zeit = Geld oft nur noch unzureichend kommen.)
Dieser Tage darf ich öfter zum Thema der 'dualen Berufsausbildung' deutschen Typs arbeiten, die häufig als DIE Lösung der europäischen Jugendarbeitslosigkeit präsentiert wird. Die heutige Berichterstattung von Le Monde über die deutsch-französische Konferenz in Paris zu diesem Thema beinhaltet einen kurzen Artikel über Zahlen, die wir neulich bereits im selbst hergestellten Vorbereitungsmaterial hatten.
Unter der Überschrift Le faible chômage des jeunes, un miracle en trompe-l'œil (sehr frei übersetzt: "Die geringe Jugendarbeitslosigkeit, Wunder oder optische Täuschung?") werden die deutschen 6-8 % Arbeitslosen unter den 15-24-jährigen vor dem Hintergrund erläutert, dass hierzulande der Geburtenknick schon seit längerem spürbar ist. Die Unternehmen müssten sich also ernsthaft um ihre die Mitarbeiter von morgen bemühen. Nicht, dass ich das Modell nicht selbst sehr attraktiv fände, aber um seine Qualität wirklich mit den Statistiken anderer Länder vergleichen zu können, wäre zunächst die Umrechnung der Zahlen erforderlich.
Ich fand diese zuvor selbst angestellten Gedanken bereits am 8. Mai in einer Pressemeldung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wieder. DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke wird hier noch dahingehend zitiert, dass Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland überwiegend ein Problem der Qualifikation sei, da die
Ausbildungsquote (wie ja auch die Schulerfolgsquote) von sozialer Herkunft und Wohnort abhängen würde.
Und so geschah es eben erst in Berlin, dass die hier berichterstattende Dolmetscherin in ihrer Kabine ganz nervös wurde, weil sie am liebsten einen Tipp zur Arbeitsweise gegeben hätte, wo sie doch offenbar über Informationen verfügt hat, die außhalb der Kabine nicht bekannt waren. Wie schön, dass diese dann kurz darauf in den Medien stehen.
Vielleicht gingen sie auch gestern in die Gespräche der Pariser Zusammenkunft ein. (Hier ist ein Link zur einer Videodokumentation der Veranstaltung mit den Stimmen aus der Englischkabine; also, bei der nächsten Vorbereitungsrunde zum Thema ...) Mal sehen, wann wir hier in Berlin für die nächsten Konferenzen zu diesem Thema verpflichtet werden, das mich seit Wochen wiederholt beschäftigt.
Also: Recherchieren wie Journalisten, alles schnell verarbeiten und "sprechen" wie Dolmetscher — unsere Berufspraxis lebt idealerweise von dieser Dualität, meine ganz gewiss.
Vokabelnotiz: la formation (professionnelle) en alternance — duale Ausbildung
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Fotos: C.E.
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