Montag, 4. Juni 2012

Preis pro Seite

Guten Tag! Sie sind mit­ten im Ar­beits­ta­ge­buch einer Ber­liner Über­setzerin ge­­lan­­det, die außerdem als Französischdolmetscherin für Politik, Wirtschaft und Ge­sell­schaft, Medien und Medienökonomie arbeitet. Heute dürfen Sie mir auf den Schreibtisch schauen, es geht um Preiskalkulation.

In einer französischen Bäckerei: Pain au chocolat - 0,90 €
Bei einem französischen Bäcker
Der Mann am Telefon ist un­ge­halten. "Sie müssen doch einen Standardpreis haben!", belehrt er mich, "so den üblichen Preis pro Seite!" — "Nein, tut mir leid", antworte ich, "den habe ich nicht. Jeder Text ist einzigartig, und warum sollten Sie z.B. für einen einfachen Text, der zu 100 % meiner Spezialisierung entspricht, den ich einfach so runterübersetze, mehr be­zah­len?"

Mein Gesprächspartner ist unsicher: "Und wie kalkulieren Sie das?"

Kalkulationen sind meinstens einfach: Blick drauf, die Erfahrung hilft weiter, im Zweifelsfall Stichproben übersetzen und Zeit stoppen. Dann hochrechnen, die Treffgenauigkeit wuchs mit den Jahren. Kleine Abweichungen sind immer in­be­grif­fen. Meine letzte Kundin hat sich sehr gefreut, als ich 5 % unter dem Kosten­vor­an­schlag bleiben konnte.

Denn die Arbeit von Übersetzern ist keine Fabrikarbeit, es ist nicht immer die gleiche Geste, auch wenn's von außen so aussieht. Jeder Text hat andere Inhalte, das ist ungefähr so wie bei Brötchen. Im einen stecken drei Mehlsorten, in dem daneben nur eine, ein Fach höher liegen die mit den Sonnenblumenkernen drauf — zwischen Mohn- und Sesambrötchen. Und jedes Mal ist der Preis anders, weil die Zutaten unterschiedliche Preise haben.

Und sich auf manche Texte einzuschwingen, im Netz diesen oder jenen Begriff rauszusuchen, kann eben länger dauern und damit mehr kosten.

"Senden Sie uns Ihren Text zu, dann wissen wir mehr!" Fünf Minuten später macht's "pling!" im elektronischen Briefkasten. Der Auftrag kam später ebenso fix.

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Foto: C.E.

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