"Unsere Schule ist eine Ganztagsschule!", sagt die Direktorin und führt stolz durch ihre nigelnagelneue Schulkantine. Die Schule betreut ihre Schüler erst seit kurzem auch nachmittags. Ich übertrage, es wird ein µ (My/Mü) länger, die französischen Gäste nicken, als wäre das nichts Besonders. In Frankreich ist das nichts Besonderes. Und das Wort bereitet mir genau deshalb Probleme. Ich bilde es angelehnt an "ganztags arbeiten" — travailler à plein temps: école à plein temps, eine Silbe mehr. Wir sind in Berlin, es treffen Kollegen aufeinander und tauschen sich über best practice aus, wie es auch hier auf Managerneudeutsch heißt.
Auf Französisch gibt es das Wort "Ganztagsschule" nicht, denn die ist dort die Regel. Ich weiß, dass ich bei Gelegenheit noch einflechten sollte, dass es sich hier um eine Abweichung von der in Deutschland bis dato sakrosankten Halbtagsschule handelt und dass die Ganztagsschule hierzulande langsam zur Norm werden soll. Ich sage es nicht gleich, hier habe ich nicht viel Zeit, aber an anderer Stelle, als mal Luft dazu ist. Ach ja, die Pariser Lehrer und Erzieher nicken, das haben sie schon mal irgendwo gehört.
Ähnlich verhält es sich mit dem Selbstverständnis französischer Eltern und Mütter. Bei unserem Nachbarn ist das Wort "Rabenmutter" zum Beispiel unbekannt. Aber auch dort passt nicht alles in vorgefertigte Schemata. Nicht alle kleinen Franzosen werden werktags zu 100 % fremdbetreut. So berichten die Lehrer aus der französischen "Provinz", das sind bei in Frankreich alle Regionen, die nicht zum Großraum Paris zählen, dass immerhin 30 % der französischen Schüler in den jüngeren Jahren zu Hause zu Mittag essen würden und die Kantinen entsprechend kleiner seien (und diese Zahl bezöge sich jetzt auf ganz Frankreich).
Die Provinz ist es auch, die an den langen französischen Ferien
Mein heutiger Beitrag hat zwei Schlusspointen. Die erste: Einer der französischen Erzieher erzählt etwas von einem élève avec la clé autour du cou qui rentre seul à la maison (Schüler mit einem Schlüssel um den Hals, der allein nach Hause zurückkehrt) — 18 Silben auf Französisch für drei deutsche: "Schlüsselkind".
Zweite Pointe. Einst, als ich am Schüleraustausch teilnahm, lernten wir in Frankreich auch eine uns bis dato unbekannte Schulkantine kennen. Sie hatte keinen guten Ruf. "Moppelkotze" hieß unter uns Gastschülern ein etwas komischer Eintopf, den es dort gleich zweimal gab. Nur so richtig übersetzbar war das nicht, ich hangelte mich durchs Wörterbuch, klärte es mit Lehrern ab ... und kam auf vomi d'un dodu. Das klingt für mich nicht ganz so umgangsspachlich wie auf Deutsch. Hat jemand einen besseren Vorschlag?
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Foto: C.E. (Für die "Erklärungen mit der Maus aufs
Foto gehen. Jeder Dolmetscher landet am Ende bei
seiner eigenen Notizentechnik. Bei mir sind Tage
jours, Wochen weeks, Jahre years, das liegende
E, hier nicht zu verwechseln mit einem zu eilig
geschriebenen "w", ist Europa oder europäisch ...)
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