Schreiben ist nur bei völliger Ehrlichkeit sich selbst und den anderen gegenüber möglich. — Dieser Satz fiel bei den von mir soeben verdolmetschten Dreharbeiten für den Arte-Film über deutsche Literaten regelmäßig. Ich halte mich dran.
Mein nächster Mitarbeiter beim Dreh ist oft der Tonmann. Er zeichnet auf, was ich dolmetschend von mir gebe. Ansonsten hänge ich oft mit der Interviewerin und bei diesem Dreh mit der Leiterin der Filmreihe zusammen: Wir diskutieren Inhalte, stellen Überschneidungen oder Widersprüche fest, gehen Lesenotizen und Fragen durch, suchen nach verbindenden Momenten, denn sie sind im Schnitt später mögliche Übergänge. Viele Fragen werden mir zu den
Vitae der Schriftsteller gestellt, offenbar steht da auf französischen Webseiten nicht so viel. Es ist also mein ureigenes Interesse, bestmöglich informiert zu sein ... (Von den 24 Büchern, die den Gesprächen zugrundegelegt wurden, habe ich am Ende 19 gelesen; etliche kannte ich auch schon, die habe ich nur intensiv durchgeblättert.)
Jedes Gewerk hält sich am Set für das Allerwichtigste. Das ist normal. Einmal, beim Einpacken, sagt Tonmann Hyacinthe beiläufig, dass die Tonleute immer
la cinquième roue du carosse seien, das fünfte Rad am Wagen, man vergesse ihn immer, es sei eine anstrengende Notwendigkeit, auch noch guten Ton aufnehmen lassen zu müssen. Eigentlich bekäme er nur dann
feed back, wenn was schiefgelaufen ist.
Was soll denn ich erst sagen als Vertreterin meines "Gewerks", das übrigens nicht als solches wahrgenommen wird. Ich stehe zwischen den Technikern und den Inhaltsarbeitern, und ich werde niemandem richtig zugerechnet. Wenn's ums Geld geht, schlägt man mich gern dem allgemeinen Team zu mit Einheitstarifgage ... und vergisst dabei, dass ich je Arbeitstag auf mindestens einen Vorbereitungstag
komme, bei diesem Dreh über deutsche Literatur ist es 1:2,5. Kurz: Verhandlungsspielraum gab es bei den Honorarverhandlungen wohl nicht, ich bekomme also ein Drittel dessen, was die Technikkollegen bekommen, und davon geht noch das Geld für die Bücher ab, von denen ich doch etliche gekauft hatte (Stichwort: Randnotizen).
Wenn dann nach einem halbtägigen Intervieweinsatz alle in Richtung Restaurant aufbrechen, bekomme ich freundlich signalisiert, dass meine Arbeitszeit zuende sei, da bin ich dann plötzlich wieder die Externe. Ich entgegne dann immer ebenso freundlich wie bestimmt, dass ich jetzt auch als Privatmensch nichts anderes tun würde als eine Mahlzeit einzunehmen, und garantiert nicht erst zu Hause angesichts der anstrengenden Arbeit.
Ich denke nicht, dass das Ganze böswillig gemeint ist, es ist nur einfach gedankenlos.
Und es spiegelt eine gewisse Nichtbeachtung von Intellektuellen wider, die offenbar hoffähig geworden ist, selbst in Frankreich. Wer vier, fünf Stunden lang Technik auf- und abbaut und zwischendurch auch bedient, arbeitet ganz offensichtlich hart; dass ich in den meist ein- bis eineinhalbstündigen Interviews als Dolmetscherin die gleiche Menge Kilokalorien verbrenne wie "die Jungs von der Technik" am halben Tag, ist auf den ersten Blick auch nicht zu sehen.
Bin ich jetzt das sechste Rad am Wagen? Ist ein Filmdreh dann ein Sportwagen mit sechs Rädern?
Und natürlich bin ich als Dolmetscherin die Allerwichtigste, ist doch klar, oder?!
;-)
Im Ernst, ohne meine Verdolmetschungen, mein Nachfragen, meine Zuarbeit und mein Mitdenken wären wohl keine sinnvollen Interviews möglich. Das bildet meine Position am Set (und manchmal auch leider mein Honorar) nicht ab.
P.S.:
1. Darf ich so eindeutig über meine Jobs schreiben? Ja, ich darf. Ich klage nicht an, ich beschreibe nur Trends, letztendlich auch Berufsanfängern zur Warnung, die meist falsche Vorstellungen haben. Und meine lieben Franzosen können es auch nicht lesen, die automatische Übersetzung bringt's nicht. Allein der erste Satz: Aus "Tonmann" wird ein Mann aus Ton (nicht zu verwechseln mit dem Mann aus Marmor). Super! Für den Restzweifel: Siehe einleitende Sätze.
2. Mir hat die Arbeit große Freude gemacht, und ein bis zwei Drehs im Jahr muss ich 'machen', sonst bin ich unzufrieden. Aber TV-Produktionen im Kulturbereich
haben jedes Jahr weniger Geld.
3. Für den Dolmetscherenergieverbrauch gibt es über das hinaus, was unsere Dozenten an der Uni verlautbarten, leider keine Quellen, oder aber ich fand sie nicht im Netz. Wer hier mehr weiß (oder erforschen möchte), bitte melden! Das gleiche betrifft die vielzitierte Stressstatistik der WHO, der zufolge wir nach Jetpiloten und Fluglotsen den drittstressigsten Beruf innehätten.
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Foto: C.E.