Dienstag, 19. Oktober 2010

Streik ...

Dolmetscher brauchen Nerven wie Stahlseile, hat eine Dolmetschprofessorin mal zu uns gesagt - und sie müssen immer eine Lösung finden. Ich weiß jetzt, was ich in den letzten Berufsjahren gelernt habe.

Herbstferien in einem streikenden Land zu machen, ist schon merkwürdig. Wenn dann auch aus anderen Gründen vieles erstmal nicht klappt, gilt es Ruhe zu be­wah­ren, vor allem vor einem Sechsjährigen. Der junge Mann hat (wie in seinem Alter üblich) nicht nur das Talent zum control freak, er hat auch einen Reizmagen, also übe ich mich in der Ankündigung von Varianten (die einem auch erstmal ein­fal­len müssen), beweise innere Ruhe, lese vor, bis ich kaum noch Stimme habe, denn vom Lesen bei Zugruckeln, so der Mini, würde ihm schlecht. Zum Glück reisen wir mit dem dicken roten Cannes-Koffer - in dem sich bis zur Rückfahrt 18 (in Worten: achtzehn) Bücher angesammelt haben. Leser halt ...

Anders als geplant war es schon mit Beginn der Reise. In Berlin trug kein Schlaf­wa­gen­wagon die Nummer 98, der war kaputtgegangen, sondern ein Liegewagen. Adieu eigenes Badezimmer auf Zugrädern, Luxus für eine Nacht, um den Kleinen auf den Geschmack zu bringen! Dann flackerte beim Empfang der Abschieds-SMS das Handydisplay ein letztes Mal auf - und machte damit auch den Zugriff auf Telefonnummern unmöglich. Den wir hätten gebrauchen können, als unser Zug verspätet war und der Anschlusszug wegen Bauarbeiten zehn Minuten zu früh abfuhr - auch das gibt's. Aber es gibt ja für alles eine Lösung ...

Was wir nicht wussten: Wir hatten nur für die Rückfahrt aus den Ferien geübt. Der Mittagszug nach Paris fuhr nicht, also blieben wir länger in Blois. Im Hintergrund skandierten die Demonstranten ihre Parolen, die Jungs spielten nochmal Fußball im Schlosspark, ich las Zeitung und tat damit, was Dolmetscher auch im Urlaub machen: sich fortbilden. Am nächsten Morgen ging's nach Paris und abends dann erstmal nicht weiter. So wurde jeder Streckenabschnitt zur Tagesreise.

Zum Glück kenne ich mich in Paris aus und die Interessen meiner kindlichen Rei­se­be­glei­tung passten perfekt zum Kiez des Ankunftsbahnhofs: Dinos ansehen, im Botanischen Garten (jardin des plantes) picknicken und toben, Imbiss im salon de thé der Pariser Moschee einnehmen (Junior fasziniert Exotisches), dann in der Arena von Lutetia spielen, Paris' ältestem Bauwerk...

Der Rest der Rückreise dauerte ein wunderbares Kinderbuch lang (Mörfi von An­dre­as Schlüter), dazu kamen zwei Nickerchen, etliche Gänge zum Speisewagen und Pläuschchen auf dem Gang. Wunderlich ist nur, dass die deutsche Bahn of­fen­bar von der Streiksituation völlig überrascht war und keine weiteren Wagons oder Züge bereitstellte, denn die Züge aus Paris waren übervoll.

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Foto: C. Elias

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